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Gastkommentar

Der Fall Roshani

Da ist bekanntlich der Fall Canonica – die öffentliche Demontage des beim Tages-Anzeiger entlassenen Magazin-Chefredaktors war ja Thema in allen Medien.

Gottlieb F. Höpli am 10. März 2023

In den allermeisten Fällen in der Form einer biederen Nacherzählung des vierseitigen «Spiegel»-Textes seiner früheren, inzwischen ebenfalls geschassten Kollegin Anuschka Roshani. Mit dem Titel «MeToo im Schweizer Journalismus», der die Entlarvung eines helvetischen Harvey Weinstein erwarten liess, jenes amerikanischen Film-Moguls, der für Vergewaltigungen und dutzendfache sexuelle Übergriffe für Jahrzehnte hinter Gittern sitzt. Das war, wie sich herausstellte, eindeutig zu hoch gegriffen. Der «Spiegel» verzichtete auf nur halbwegs professionelle Überprüfung der Missbrauchs-Vorwürfe und wird sich hoffentlich noch vor Gericht dafür verantworten müssen.

Ein erweiterter journalistischer Suizid

Aber: Der Frontalangriff auf die Person des Kollegen, mit dem sie 20 Jahre eng zusammengearbeitet hatte, mit dem sie viele Jahre lang eng befreundet war, wird auch an Anuschka Roshani nicht ohne Blessuren abgehen. Weil sich zahlreiche ihrer Behauptungen nicht erhärten lassen, sich meisten auf acht bis zehn Jahre zurückliegende Ereignisse beziehen und zum Teil auch ganz einfach empörend falsch sind. Wie konnte eine hochintelligente Frau eine solche öffentliche Konfrontation suchen, in der sie – das ist abzusehen – selbst erheblichen Schaden nehmen wird? Die narzisstische Kränkung, die zum Kamikaze-Angriff führte, muss ungeheuer gewesen sein. So betrachtet, könnte man geradezu von einem erweiterten journalistischen Suizid sprechen, bei dem jene Person, die der Täterin am nächsten stand, in den Untergang mitgerissen werden soll. Ein bemitleidenswerter Vorgang, bei dem es nur Verlierer gibt. Und über den sich niemand freuen kann.

Denn die Geschichte, die Frau Roshani im «Spiegel» zum besten gibt, weicht von den Erinnerungen und Beobachtungen der meisten Beteiligten in massiver Weise ab. Was nicht besagen will, dass Finn Canonica von allen Vorwürfen reingewaschen werden soll. Etwa damit, dass es sich bei ihm um einen zwar hochtalentierten Schreiber und Ideengenerator, aber auch um einen chaotischen und launischen Chef gehandelt habe. Sodass neu hinzugekommene Mitglieder des – mit zehn Personen eher kleinen – Teams sich laut der Recherche des Branchenblatts «Schweizer Journalist:in» gefragt haben sollen, wer denn eigentlich der Chef sei. Und dabei des öfteren auf die dienstälteste Anuschka Roshani tippten. Nicht gerade ein schlagender Beleg für die Behauptung, Mobbing-Opfer gewesen zu sein…

Befreundet, bevorzugt – und Opfer?

Tatsächlich sprechen viele Augenzeug(inn)en, auch solche aus meinem eigenen privaten Umfeld, davon, dass noch vor zehn Jahren Canonica und Roshani allgemein als «best buddys» angesehen wurden. Auch Canonica bestätigt im Interview mit Roger Schawinski, dass er mit Roshani «eng befreundet» war. Wie sehr, wollen wir gar nicht so genau wissen. Das kontrastiert jedenfalls mit der Behauptung, dass Canonica nach seiner Ernennung zum Chefredaktor ein «Regime des Mobbings» aufgezogen habe, dem auch Roshani, wie sie 2023 schreibt, nicht entkommen konnte. Zeitweilig krank wurde, in die «innere Emigration» ging, Demütigungen und sexistische Sprüche über sich ergehen lassen musste. Roshani, die sich nun nicht mehr weiter äussern will, widerspricht nicht, dass sie von Canonica zum Teil eine Vorzugsbehandlung erfuhr, zum Beispiel in der Form eines bezahlten Sabbaticals. Und dass man die Texte stets vom angeblich monströsen Gegenpart gegenlesen liess und auch dessen Texte stets gegenlas, spricht nicht von einer total zerrütteten Beziehung, sondern eher «von verletzten Egos», wie es eine Zeugin formuliert.

Alte Geschichten rachsüchtiger Abgänger

Immer deutlicher stellt sich heraus, dass die «Spiegel»-Belege für das angebliche Mobbing-Regime von ehemaligen Magazin-Mitarbeitern stammen, die im Gefolge einer schmerzhaften Reduktion und Reorganisation die Redaktion in den Jahren 2014/15 verliessen. Auch der Versuch, die als Übergriffe empfundenen Ausbrüche Canonicas ins Sexuelle hinüberzuziehen, stammt offensichtlich aus dieser Ecke: So die Geschichte von einem Brustimplantat, über dessen Brustwarze Canonica im Gespräch mit jungen Frauen anzüglich gestrichen habe – eine Story, die sich inhaltlich und zeitlich als unhaltbar, ja recht eigentlich als Lüge erwies. Oder die angeblich sexuell aufgeladene Wortwahl, die sich als – allerdings inflationär – verwendeter Fluch «Fuck» entpuppt, dem kaum mehr etwas explizit Sexuelles anhaftete. Und die Seele einer Journalistin, die ihre Karriere beim Hamburger «Spiegel» begann und die Texte von Truman Capote herausgab, kaum verstört haben kann.

Ungeprüfte persönliche Abrechnung

Dass der «Spiegel» eine solche persönliche Rache-Aktion publizierte, ohne deren Wahrheitsgehalt gründlich zu überprüfen, ist unentschuldbar. Diese Recherche hat das Branchenblatt «Schweizer Journalist:in» (was für ein Name) verdienstvollerweise unternommen. Und dabei ebenso wie der 230 Seiten starke Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Rudin Cantieni zum Schluss kam, dass sich die meisten Vorwürfe Roshanis nicht bestätigten. Mindestens so schwer wie dieses vernichtende Urteil wiegt die Erkenntnis von «Schweizer Journalist:in», dass der «Spiegel» keine aktuellen Redaktionsmitglieder des «Magazins» befragt hat. Diese ergeben zwar kein einheitliches Bild, heben sich aber klar von der krass negativen Be- oder besser Verurteilung Canonicas durch Anuschka Roshani ab.

Die Sache mit dem Hakenkreuz

Punkten kann man in deutschen Medien immer, wenn man Nazi-Embleme ins Spiel bringt. Das weiss auch Frau Roshani. Und brachte von Canonica an den Manuskriptrand gekritzelte Hakenkreuze bei, mit denen er in der Schweiz unzulässige Teutonismen ahndete. Das ist gewiss eine grosse Dummheit. Aber es macht ja wohl doch einen Unterschied, ob Neonazis mit dem Hakenkreuz ihre Sympathie für die Hitlerei zum Ausdruck bringen oder ob ein linksliberaler jüdischer Abkömmling im internen Gebrauch damit ein scharfes «No-Go» signalisierte.

Schlechte Vorgesetzte gibt es im Journalismus zweifellos nicht wenige. Vielleicht sogar mehr davon als in anderen Branchen. Weil oft noch immer davon ausgegangen wird, dass der bessere Schreiber auch der bessere Chef sei. Aber wollte man jedem schlechten Chefredaktor vier «Spiegel»-Seiten widmen, dann bestünde die Gefahr, dass sich die Leserschaft von derlei monothematischer Selbst-Befriedigung abwendet. Und sollte erst jedes verletzte Ego künftig die Möglichkeit erhalten, sich öffentlich am beruflichen und menschlichen Ruin Anderer zu versuchen, dann wäre das Schicksal des Journalismus besiegelt: Tod durch Selbstmord, einfach oder erweitert.

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Autor/in
Gottlieb F. Höpli

Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.

1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.

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