Wenn Unternehmen sich gegenseitig Arbeitskräfte ausspannen, wenn Firmen sehr viel Geld in Employer-Branding-Kampagnen investieren, dann sind wir definitiv mitten im Kampf um Talente angelangt.
Auf dem Arbeitsmarkt ist nichts mehr wie noch vor ein paar Jahren. Die Generationen X, Y und Z haben die Babyboomer sukzessive abgelöst. Weil es der Wirtschaft in der Schweiz gut geht, ist die Arbeitslosigkeit tief, und die Zahl der offenen Stellen liegt auf einem Rekordhoch. Für die Arbeitnehmenden herrschen goldene Zeiten. Für die Arbeitgebenden heisst es spätestens jetzt: Umdenken und Handeln.
Fehlanreize beseitigen
Wer in alten Mustern denkt und den Arbeitskräftemangel allein über hohe Löhne lösen möchte, wird scheitern. Vor allem die Gen Z ist nicht erpicht, um jeden Preis Karriere zu machen und viel Geld zu scheffeln. Auch wenn zahlreiche gestandene Personen der Einfachheit halber von einer bequemen oder gar arbeitsscheuen Generation reden - es geht den jungen Arbeitskräften um mehr: Es geht ihnen in der Regel um Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Ja richtig, die Gen Z ist sich gewohnt, das zu erhalten, was sie sich wünscht. So erstaunt es nicht, dass gerade junge Leute ihr Arbeitspensum reduzieren, wenn sie eine Lohnerhöhung erhalten. Schliesslich kamen sie schon vorher gut zurecht mit ihrem Lohn. Das seit Kurzem grassierende Teilzeit-Bashing wird diese Verhaltensweise kaum verändern. Wichtiger wäre, dass die Politik endlich die hinlänglich bekannten systemischen Fehlanreize bei Steuern, Sozialversicherungsabgaben und Krankenkassenprämien beseitigt. Insbesondere Doppelverdiener werden für ihren Fleiss nach wie vor gleich mehrfach bestraft.
Wertschätzung und Vertrauen
In den nächsten Jahren wird sich der demografische Wandel weiter verschärfen. Das heisst, dass sich die Unternehmen darauf fokussieren müssen, ihr Personal zu halten. Um das erfolgreich zu meistern, sollte nicht nur die Personalabteilung umdenken. Was die jungen Arbeitstalente wollen, sind Wertschätzung, flache Hierarchien, Vertrauen, Flexibilität, Innovationskraft, Motivation, Visionen, Identifikation mit dem Unternehmen zum Beispiel in Bezug auf Verantwortung, Gleichstellung und Ökologie. Bei den älteren Mitarbeitenden geht es hauptsächlich um Wertschätzung, Verständnis und Förderung. Damit die 50plus-Generation digital agil bleibt, müssen deren Talente geschätzt, gefördert und entwickelt werden. Das erfordert Investitionen in die Mitarbeitenden. Gerade in grossen Konzernen hat man ältere Mitarbeitende in der Vergangenheit zu oft entlassen und es der Arbeitslosenversicherung überlassen, sie wieder fit zu machen für den Arbeitsmarkt.
Ob Weiterbildung oder Umschulung – dahinter sollte kein Druck, sondern Motivation und Freude stehen. Nur so wird es möglich sein, Mitarbeitende längerfristig zu halten, vielleicht sogar über das Pensionsalter hinaus.
Forderung nach höherer Arbeitszeit
Ob die Erhöhung der tatsächlichen Arbeitszeit - wie es der Arbeitgeberverband als Teil der Lösung vorschlägt – sinnvoll ist im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel, mag ich bezweifeln. Es gibt zu viele verschiedene Gründe, warum Frauen und Männer immer weniger bereit sind, eine Vollzeitstelle anzunehmen. Relevante Punkte sind unter anderem fehlende Flexibilität am Arbeitsplatz, schwierige Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, steuerliche Mehrbelastung oder eine schlechte Work-Life-Balance. Der Schweizer Arbeitsmarkt ist ein gut funktionierender Markt. Die Unternehmen sind deshalb im gegenwärtigen Umfeld gefordert, ihre Arbeitsbedingungen den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden anzupassen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Teilzeit statt Vollzeit dürfte künftig eher zusätzlich an Bedeutung gewinnen.
Vereinbarkeit von Job und Familie
Ähnlich ist es mit der Schaffung zusätzlicher Kinderbetreuungsplätze und deren staatliche Subvention - eine im Moment populäre politische Forderung. Allein damit ist es nicht getan. Mütter und Väter wissen sehr wohl, wie oft sie auf die Kita setzen wollen und wieviel Kinderbetreuungsarbeit sie selber übernehmen möchten.
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden oder allenfalls sogar der Wunsch nach längerer Arbeitszeit wird am ehesten dann erfolgen, wenn sich die Unternehmen auf die Wertschätzung sowie die Bedürfnisse und Präferenzen der Mitarbeitenden - aller Generationen - einstellen. Und wenn sich Mehrarbeit auch finanziell richtig lohnt. Ein Arbeits- und Fachkräftemangel bremst die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit. Das sollte sich die Schweiz nicht leisten.
Daniel Wessner ist lic. iur. HSG und Rechtsanwalt. Er leitet seit 2016 das Thurgauer Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) mit rund 200 Mitarbeitenden als kundenorientiertes Dienstleistungszentrum für die Wirtschaft, die Unternehmen und die Stellensuchenden. Er engagiert sich im Vorstand der Schweizerischen Arbeitsmarktbehören VSAA, in der Eidgenössischen Arbeitskommission EAK sowie in zahlreichen weiteren nationalen, kantonalen und grenzüberschreitenden Gremien. Vor seiner Tätigkeit im Kanton Thurgau war er in leitenden Funktionen in der Finanzbranche und in der Unternehmensberatung in Zürich tätig.
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