logo

Gastbeitrag

Der Kampf gegen den Fachkräftemangel

Wenn Unternehmen sich gegenseitig Arbeitskräfte ausspannen, wenn Firmen sehr viel Geld in Employer-Branding-Kampagnen investieren, dann sind wir definitiv mitten im Kampf um Talente angelangt.

Daniel Wessner am 04. Mai 2023

Auf dem Arbeitsmarkt ist nichts mehr wie noch vor ein paar Jahren. Die Generationen X, Y und Z haben die Babyboomer sukzessive abgelöst. Weil es der Wirtschaft in der Schweiz gut geht, ist die Arbeitslosigkeit tief, und die Zahl der offenen Stellen liegt auf einem Rekordhoch. Für die Arbeitnehmenden herrschen goldene Zeiten. Für die Arbeitgebenden heisst es spätestens jetzt: Umdenken und Handeln.

Fehlanreize beseitigen

Wer in alten Mustern denkt und den Arbeitskräftemangel allein über hohe Löhne lösen möchte, wird scheitern. Vor allem die Gen Z ist nicht erpicht, um jeden Preis Karriere zu machen und viel Geld zu scheffeln. Auch wenn zahlreiche gestandene Personen der Einfachheit halber von einer bequemen oder gar arbeitsscheuen Generation reden - es geht den jungen Arbeitskräften um mehr: Es geht ihnen in der Regel um Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Ja richtig, die Gen Z ist sich gewohnt, das zu erhalten, was sie sich wünscht. So erstaunt es nicht, dass gerade junge Leute ihr Arbeitspensum reduzieren, wenn sie eine Lohnerhöhung erhalten. Schliesslich kamen sie schon vorher gut zurecht mit ihrem Lohn. Das seit Kurzem grassierende Teilzeit-Bashing wird diese Verhaltensweise kaum verändern. Wichtiger wäre, dass die Politik endlich die hinlänglich bekannten systemischen Fehlanreize bei Steuern, Sozialversicherungsabgaben und Krankenkassenprämien beseitigt. Insbesondere Doppelverdiener werden für ihren Fleiss nach wie vor gleich mehrfach bestraft.

Wertschätzung und Vertrauen

In den nächsten Jahren wird sich der demografische Wandel weiter verschärfen. Das heisst, dass sich die Unternehmen darauf fokussieren müssen, ihr Personal zu halten. Um das erfolgreich zu meistern, sollte nicht nur die Personalabteilung umdenken. Was die jungen Arbeitstalente wollen, sind Wertschätzung, flache Hierarchien, Vertrauen, Flexibilität, Innovationskraft, Motivation, Visionen, Identifikation mit dem Unternehmen zum Beispiel in Bezug auf Verantwortung, Gleichstellung und Ökologie. Bei den älteren Mitarbeitenden geht es hauptsächlich um Wertschätzung, Verständnis und Förderung. Damit die 50plus-Generation digital agil bleibt, müssen deren Talente geschätzt, gefördert und entwickelt werden. Das erfordert Investitionen in die Mitarbeitenden. Gerade in grossen Konzernen hat man ältere Mitarbeitende in der Vergangenheit zu oft entlassen und es der Arbeitslosenversicherung überlassen, sie wieder fit zu machen für den Arbeitsmarkt.

Ob Weiterbildung oder Umschulung – dahinter sollte kein Druck, sondern Motivation und Freude stehen. Nur so wird es möglich sein, Mitarbeitende längerfristig zu halten, vielleicht sogar über das Pensionsalter hinaus.

Forderung nach höherer Arbeitszeit

Ob die Erhöhung der tatsächlichen Arbeitszeit - wie es der Arbeitgeberverband als Teil der Lösung vorschlägt – sinnvoll ist im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel, mag ich bezweifeln. Es gibt zu viele verschiedene Gründe, warum Frauen und Männer immer weniger bereit sind, eine Vollzeitstelle anzunehmen. Relevante Punkte sind unter anderem fehlende Flexibilität am Arbeitsplatz, schwierige Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, steuerliche Mehrbelastung oder eine schlechte Work-Life-Balance. Der Schweizer Arbeitsmarkt ist ein gut funktionierender Markt. Die Unternehmen sind deshalb im gegenwärtigen Umfeld gefordert, ihre Arbeitsbedingungen den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden anzupassen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Teilzeit statt Vollzeit dürfte künftig eher zusätzlich an Bedeutung gewinnen.

Vereinbarkeit von Job und Familie

Ähnlich ist es mit der Schaffung zusätzlicher Kinderbetreuungsplätze und deren staatliche Subvention - eine im Moment populäre politische Forderung. Allein damit ist es nicht getan. Mütter und Väter wissen sehr wohl, wie oft sie auf die Kita setzen wollen und wieviel Kinderbetreuungsarbeit sie selber übernehmen möchten.

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden oder allenfalls sogar der Wunsch nach längerer Arbeitszeit wird am ehesten dann erfolgen, wenn sich die Unternehmen auf die Wertschätzung sowie die Bedürfnisse und Präferenzen der Mitarbeitenden - aller Generationen - einstellen. Und wenn sich Mehrarbeit auch finanziell richtig lohnt. Ein Arbeits- und Fachkräftemangel bremst die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit. Das sollte sich die Schweiz nicht leisten.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Daniel Wessner

Daniel Wessner ist lic. iur. HSG und Rechtsanwalt. Er leitet seit 2016 das Thurgauer Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) mit rund 200 Mitarbeitenden als kundenorientiertes Dienstleistungszentrum für die Wirtschaft, die Unternehmen und die Stellensuchenden. Er engagiert sich im Vorstand der Schweizerischen Arbeitsmarktbehören VSAA, in der Eidgenössischen Arbeitskommission EAK sowie in zahlreichen weiteren nationalen, kantonalen und grenzüberschreitenden Gremien. Vor seiner Tätigkeit im Kanton Thurgau war er in leitenden Funktionen in der Finanzbranche und in der Unternehmensberatung in Zürich tätig.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.