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Zeyer zur Zeit

Der Medienskandal ums «Magazin»

Zuerst waren da Anschuldigungen gegen einen Ex-Chefredaktor. Sexismus, Mobbing, Intrigen. Daraus wurde ein «Magazin»-Skandal. Nun ist’s schon ein Konzern-Skandal.

«Die Ostschweiz» Archiv am 14. Februar 2023

Wie man von Anschuldigungen zu einer Affäre und dann mitten ins Schlamassel kommt, das führt gerade mal wieder Tamedia vor. Das ist der Herausgeber des «Tages-Anzeiger» samt «Das Magazin», und seinerseits Bestandteil des Tx-Konzerns, angeführt vom Vertreter der Coninx-Besitzerfamilie Pietro Supino.

Während dieser Skandal das breite Publikum nur mässig interessiert, können sich die Journalisten mal wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen. Den eigenen und fremde Bauchnabel betrachten, moralinsauer mit dem erhobenen Zeigefinger wackeln, kritisieren, beanstanden, alle besser wissen.

Doch der Reihe nach. Vorletzten Freitag erhob die ehemalige Redaktorin des «Magazin» schwere Vorwürfe im «Spiegel». Auf vier Seiten breitete Anuschka Roshani vor dem staunenden deutschen Publikum angeblich unglaubliche Zustände auf der Redaktion aus. Der letzten Sommer gefeuerte Chefredaktor Finn Canonica habe sie gemobbt, mit anzüglichen sexuellen Widerlichkeiten eingedeckt («der kleine Schwanz Deines Mannes»), gar Hakenkreuze neben Wörter gemalt, die die deutschsprachige Redaktorin statt lokaler Helvetismen verwendete.

Das habe Canonica nicht nur bilateral gemacht, sondern auch coram publico, also während Redaktionssitzungen. Überhaupt habe er ständig Anzüglichkeiten von sich gegeben, tiefe Einblicke in sein Sexualleben und «Tourette-artig das Wort ficken» verwendet. Allerdings liegen viele dieser Vorwürfe schon Jahre zurück, und man muss sich fragen, wieso das Roshani so lange ausgehalten hat. Zudem hat diese Anklage auf der grossen Plattform «Spiegel» wohl nichts mit ihrer Kündigung zu tun und der Behauptung in einem Untersuchungsbericht, dass sie sich während der Amtszeit von Canonica in einer Blindbewerbung um dessen Stelle bemüht habe.

In Deutschland begegnete dieser Bericht über Schweizer Zustände nur mässigem Interesse. Ganz anders bei den Eidgenossen. Die «Blick»-Redaktion war heilfroh, dass die Standleitung zwischen Bundesrat Alain Berset und dem Ringier-CEO Marc Walder endlich aus den Schlagzeilen verschwand. Auch NZZ, CH Media (das Wanner-Imperium, das auch das «Tagblatt» herausgibt), sogar «watson» warfen sich auf die Geschichte.

Tamedia reagierte so ungeschickt wie weiland der «Blick». Zunächst wurde mit Hinweis auf den Persönlichkeitsschutz jede Stellungnahme abgelehnt. Ausser dem Hinweis, dass man die Vorwürfe sehr ernst nehme, ihnen aber bereits nachgegangen sei und sie «grösstenteils» völlig haltlos seien. Bereits einen Tag später pfiff dann Tamedia auf den Persönlichkeitsschutz und zitierte genüsslich aus dem Untersuchungsbericht einer Anwaltskanzlei, der sowohl den ehemaligen Chefredaktor («fäkalisierte Sprache») wie auch die ehemalige Redaktorin («Vorwürfe konnten grösstenteils nicht erhärtet werden») abwatschte.

Dann meldete sich noch der Angeschossene mit einem «Brief an meine Freunde und Bekannte» zu Wort («alles gelogen»), in dem er zum ersten Mal Gendersprache «Freund:innen») verwendete und sich darüber beklagte, mit dem US-Grüsel und Mogul Weinstein auf eine Stufe gestellt zu werden, während sich seine Kinder kaum mehr auf die Strasse trauten.

Unvermeidlich meldeten sich auch anonyme Heckenschützen zu Wort («war alles noch viel schlimmer») als weiteres Beispiel für die um sich greifende Unsitte, dass Redaktionen «Quellen, die nicht namentlich genannt werden wollen», verwenden.

Einen besonderen Tiefpunkt setzte der Schweizer Split der angesehenen deutschen Wochenzeitschrift «Die Zeit». Da durfte eine Salome Müller vom Leder ziehen, dass es eine Unart hatte. Schon im Lead behauptete sie im Indikativ: «Eine Redakteurin des Schweizer "Tages-Anzeiger"-Magazins wird jahrelang vom Chef gemobbt, am Ende wird ihr gekündigt. Der Fall zeigt die Machokultur in der Medienbranche.» Dabei handelt es sich bislang um nur rudimentär belegte, bestrittene Vorwürfe. Aber das dient der Autorin, die schon als Rädelsführerin eines sogenannten Protestschreibens bei Tamedia unterwegs war, ihr Narrativ von der angeblichen Machokultur zu bedienen.

Obwohl am Schluss des Artikels ihre damalige Verwicklung transparent gemacht wird, ist es unverständlich, wie ein angesehenes deutsches Blatt eine offensichtlich voreingenommene Autorin zum Thema schreiben lässt, die ihrerseits auch auf «anonyme Quellen» zurückgreift, die dies und das behaupten.

In all dem wilden Getümmel und Sprachgewirr fällt allerdings auf, dass die übrigen Mitglieder der «Magazin»-Redaktion ein Schweigegelübde abgelegt haben. Das mag bei Angestellten, denen die Arbeitsplatzsicherung wichtiger ist als Zivilcourage zeigen und Zeugnis ablegen, noch verständlich sein. Nicht jeder ist zum Helden geboren, viele zum Heuchler. Aber auch ehemalige Mitarbeiter wie Daniel Binswanger, eng mit Canonica und heute Chefredaktor a.i. bei der «Republik», schweigt auch auf Anfragen verkniffen.

Allerdings gehen die Häme-Journalisten der Konkurrenz wie meist im heutigen Elendsjournalismus zu weit. Sowohl «Blick» wie CH Media müssen ganze Passagen oder gar Artikel löschen, auf Intervention der Anwälte des angeschossenen Chefredaktors und des Big Boss von Tamedia. Pietro Supino zwingt CH Media sogar dazu, eine «Richtigstellung/Entschuldigung» abzudrucken. Dort hatte eine Jungredaktorin, sich auf eine anonyme Aussage stützend, behauptet, Supino habe lange seine schützende Hand über Canonica gehalten. Das kommt halt davon, wenn man unverantwortlichen Boderline-Journalismus betreibt.

Eine «feministische Aktivistin» beklagt auch ganz allgemein die Machokultur und Männerherrschaft, die sich hier wieder mal zeige. Allerdings reagiert Franziska Schutzbach nicht auf die Anfrage, wieso denn ihr Lebenspartner und «Magazin»-Redaktor Mikael Krogerus jahrelang geschwiegen habe. Sie sei «familiär betroffen» und bitte daher um Verständnis, dass sie nicht «alle Anfragen» beantworte. Wieso soll sie betroffen sein? Wurde ihr Partner etwa auch verbal sexuell belästigt? Ohne sich zu wehren? Peinlich.

Mindestens so peinlich ist die Reaktion des Tamedia-Konzerns. Zuerst nix sagen, dann wegwedeln, dann beschönigen. Dann soll auf einer internen Mitarbeiterbesprechung Big Boss Supino gesagt haben, der Fall sei ordentlich abgewickelt worden, und er selbst wisse erst seit 2021 davon. Das ist auch schon ein Weilchen her. Zudem nährt eine Recherche der NZZaS Zweifel daran, denn bereits 2014 soll es Proteste und Kündigungen wegen des Sprachgebrauchs und Verhaltens des Chefredaktors gegeben haben.

Der habe seinerseits einen Redaktor beschuldigt, seinen E-Mail-Account geknackt zu haben. Solches Tohuwabohu soll dem obersten Chef verborgen geblieben sein? Unfassbar. Ebenfalls unfassbar ist die Tatsache, dass auch zehn Tage nach dem Bekanntwerden dieser massiven Vorwürfe die versammelte Recherchierkraft von Tamedia, vom sogenannten Investigativ Desk, nicht dafür ausreicht, zu analysieren und darzulegen, ob die Vorwürfe von Roshani zutreffen oder nicht. Oder welcher Teil verifizierbar ist, welcher Teil nicht. Offenbar ist da das Ausschlachten von gestohlenen Geschäftsunterlagen und ihre Verwandlung in «Leaks» oder «Papers» einfacher als klassische Aufdeckungsarbeit.

Massive Anschuldigungen, feiges Schweigen, mangelnde Aufklärung, übertriebene Häme bei der Konkurrenz, der Journalismus in der Schweiz gibt wieder einmal ein blamables Bild ab. Eine Mischung aus Heuchelei, Unfähigkeit, Opportunismus und einem völlig versagenden Krisenmanagement. Kein Ruhmesblatt, ein weiterer Sargnagel.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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