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Weiler im Thurgau vor Neuordnung

«Der Regierungsrat präsentiert sich als Ausführungsgehilfe des Bundes»

«Überprüfung der Kleinsiedlungen» heisst ein Projekt, das im Thurgau angelaufen ist. Mehrere Kantonsräte schlagen jetzt Alarm. Das Vorhaben sei keineswegs so harmlos, wie es klinge. Laut ihnen drohen «harte Umzonungen». Bauland werde zu Nichtbauland - und das am geltenden Recht vorbei

Stefan Millius am 25. Februar 2020

Der Anstoss zu der ganzen Sache kam vom Bund. Er hat den Kanton Thurgau aufgefordert, sich um die Thematik der im Kanton zahlreichen Weiler zu kümmern. Wie die Regierung vor wenigen Tagen bekanntgab, hat sie deshalb das Projekt «Überprüfung Kleinsiedlungen im Kanton Thurgau» freigegeben. In Zusammenarbeit mit den Gemeinden wolle der Kanton in den nächsten Monaten klären, welche Kleinsiedlungen künftig noch Bauzonen sein können.

Der Wortlaut suggeriert es deutlich: Es sollen in Zukunft weniger sein. Heute verteilen sich nach Angaben des Kantons rund 300 Siedlungen über den ganzen Kanton, «historisch bedingt», wie die Regierung schreibt. Das ist durchaus vorteilhaft, ein Teil der Thurgauer Kulturlandschaft wird von den Weilern geprägt. 60 dieser Kleinsiedlungen sind der Landwirtschaftszone zugewiesen, die anderen 240 mehrheitlich den Weilerzonen, zum Teil den Dorfzonen.

Der Knackpunkt: Weiler- und Dorfzonen gelten als Bauzonen, die Kleinsiedlungen in der Regel nicht. Schon 2010 hat der Bund den Kanton Thurgau aufgefordert, bei der nächsten Richtplananpassung die Weiler-Thematik anzugehen. Dabei sollte es um die zonenrechtliche Situation gehen. Also um die Frage: Welche Kleinsiedlungen dürfen Bauzonen bleiben - und welche nicht? Dieser Auftrag des Bundes wurde nun erneuert, nachdem der Bund den kantonalen Richtplan 2018 genehmigt hatte.

Ein erster Entwurf des Ergebnisses aus dieser Prüfung soll voraussichtlich im Sommer 2020 stehen. Der Kanton will dabei mit Gemeindevertretern zusammenarbeiten. Man wolle einen breit abgestützten Entwurf ausarbeiten, «welcher unter grösstmöglicher Wahrung der Thurgauer Interessen die bundesrechtlichen Vorgaben erfüllt und den zur Verfügung stehenden Spielraum bei der Festlegung der Änderungsmöglichkeiten an der bestehenden Bausubstanz grösstmöglich ausschöpft», wie es etwas sperrig heisst.

Letzterem scheinen einige Thurgauer Politiker aber nun nicht zu trauen. Konkret geht es um die SVP-Kantonsräte Pascal Schmid und Ruedi Zbinden mit Unterstützung der Kantonsräte David H. Bon (FDP) und Peter Schenk (EDU). Sie haben eine dringliche Interpellation eingereicht mit dem Titel «Vorpreschen des Kantons bei Weilern – wo bleiben Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Eigentumsgarantie?» Man sei in grosser Sorge, dass die Thurgauer Weiler demnächst «rechtlich in den Winterschlaf versetzt werden», schreiben die Politiker.  Hinter der harmlosen Bezeichnung «Überprüfung der Kleinsiedlungen» führe der Kanton eine raumplanerische Grossübung durch, die «in vielen Fällen zu harten Umzonungen führen soll: Bauland wird zu Nichtbauland.»

Geplant sei vom Departement für Bau und Umwelt offenbar, von 246 bestehenden Kleinsiedlungen 34 einer Landwirtschaftszone und 114 einer Erhaltungszone zuzuweisen  Für die betroffenen Eigentümer habe dies gravierende Konsequenzen, so die Kantonsräte: «Es drohen massive Wertverluste, Schadenersatzklagen sind absehbar. Rechts­sicherheit, Vertrauensschutz und Eigentumsgarantie werden mit Füssen getreten.»

Besonders stossend finden die Interpellanten, dass der Kanton die Umzonungen durch die Gemeinden gar nicht erst abwarten wolle. Obwohl keine Dringlichkeit bestehe, wolle er «mit einer Notverordnung vorsprechen» und so geltendes Recht «vorsorglich ausser Kraft» setzen. «Der Regierungsrat präsentiert sich als Ausführungsgehilfe des Bundes, statt als Verteidiger der Interessen der Thurgauer Bevölkerung», heisst es weiter. Es wäre zu wünschen, «dass er gegenüber Bern mutiger auftreten und die Spielräume des Bundesrechts besser ausnutzen würde.»

In der bewussten Interpellation werden dem Regierungsrat verschiedene Fragen zur Weiler-Thematik gestellt. Vor allem aber wird die dringliche Behandlung an der Sitzung des Grossen Rates vom Mittwoch, 26. Februar 2020 verlangt.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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