Die SP hat den Ständeratssitz an die SVP verloren. An sich nichts Überraschenderes. Weit bemerkenswerter ist die redaktionelle Nachsicht, mit der Paul Rechsteiner selbst bei seinem letzten gescheiterten Coup rechnen kann.
Dies gelesen: «Der letzte Coup des Paul Rechsteiner.» (Quelle: www.tagblatt.ch, 7.10.2022)
Das gedacht: Als Paul Rechsteiner seinen Rücktritt als Ständerat bekannt gab, huldigte ihm die Tagblatt-Redaktion mit einem übergrossen Starportrait auf der Frontseite und einem salbungsvollen Kommentar von Chefredaktor Stefan Schmid. Nach Schmid ging es Rechsteiner stets um die Sache. Anbiederung und Selbstinszenierung waren ihm fremd. Und, wie es sich für einen Politiker seines Kalibers gehört, so Schmid, ist selbst der Rückzug ein Schachzug.
In der Zwischenzeit ist das Resultat dieses Schachzugs bekannt. Die SP hat den Ständeratssitz an die SVP verloren. Und wieder ist es Stefan Schmid, der mit der Selbstsicherheit des Welterklärers das Wahlresultat einordnet. Esther Friedli hat ihren Sieg einer geschickten Inszenierung und der politischen Unfähigkeit der politischen Konkurrenz zu verdanken, so Schmid. Eine Banalisierung der Arbeit von Friedli, die bei einer linken Politikerin umgehend einen Sexismus-Vorwurf nach sich ziehen würde.
Unerwähnt bleibt die Rolle von Rechsteiner in diesem linken Debakel. Rechsteiner, der selbstlose Halbgott aller Tagblatt-Journalisten, hat dem St.Galler Stimmvolk kurz vor den nationalen Wahlen zwei zusätzliche Wahlsonntage beschert. Dies mit Folgekosten von mehreren hunderttausend Franken für die Steuerzahlenden und die Parteikassen. Einmal mehr zeigte Rechsteiner, mit welcher Selbstverständlichkeit er für die eigenen Interessen das Geld Dritter verbrennt.
Vor allem aber hat Paul Rechsteiner mit seiner Sesselkleberei den Sieg der SVP erst möglich gemacht. Vieles spricht dafür, dass Barbara Gysi bei den letzten ordentlichen Ständeratswahlen im Jahre 2019 intakte Chancen gehabt hätte, den SVP-Kandidaten Roland Rino Büchel zu schlagen. In der linken Parallelwelt hatte man jedoch übersehen, dass mit Esther Friedli, Susanne Vincenz-Stauffacher und Franziska Ryser eine jüngere Generation von Frauen alte politische Seilschaften herausfordert. Nicht nur die Liebe, auch der Erfolg macht blind.
Der von den Tagblatt-Medien gefeierte Schachzug von Paul Rechsteiner ist voll in die Hose gegangen. An sich nichts Überraschendes. Realitätsverlust ist das gemeinsame Merkmal aller Politikerinnen und Politiker, die sich nicht von ihrem Amt trennen können. Weit bemerkenswerter ist die redaktionelle Nachsicht, mit der Paul Rechsteiner selbst bei seinem letzten gescheiterten Coup rechnen kann. Ganz offensichtlich soll das herbeigeschriebene Heiligenbild keinen Kratzer bekommen. Eine Tatsache, die mehr über die politische Positionierung unserer Leitmedien aussagt als über Paul Rechsteiner.
Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.
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