FDP-Politiker Jens Jäger präsidiert 2022/2023 den St.Galler Kantonsrat. Dass in der breiten Bevölkerung kaum jemand weiss, wer dieses Amt bekleidet, stört ihn nicht. Wie und wo aber will er trotzdem Akzente setzen?
Jens Jäger, würden Sie die aktuelle Phase auch als «Ruhe vor dem Sturm» bezeichnen?
Von Ruhe kann aktuell keine Rede sein in der Politik. Mit den Bundesratswahlen im Dezember und den Ständeratswahlen im März stehen zwei wichtige Wahlen an. Für die Schweiz und den Kanton St.Gallen.
Sämtliche Parteien bereiten sich auf die bevorstehenden Wahlen vor. Wann geht das eigentlich intern so richtig los? Ab wann beschäftigt man sich mit den entscheidenden Fragen?
Die Vorbereitungen für die Nationalratswahlen haben bereits vor Monaten begonnen. Auch die Ständeratswahlen wurden bereits intensiv diskutiert bevor bekannt wurde, dass im Frühling bereits Erneuerungswahlen für den Ständerat anstehen. Gut für die FDP – sie ist nämlich bereit für das Wahljahr 2024.
Ich mache mir nichts vor. Auf die Frage, wie gut die FDP gerüstet ist, werden Sie mir eine Standortantwort liefern. Entsprechend frage ich anders: Vor welcher anderen Partei muss man sich in Acht nehmen? Wem trauen Sie – abgesehen von der FDP – am meisten zu?
Es ist an den Wählerinnen und Wählern zu entscheiden, wer gut gerüstet ist. Noch wichtiger ist, welche Partei die besten Lösungen für unser Land und unseren Kanton hat. Mit ihren starken Werten Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt bringt die FDP die beste Basis für genau diese guten Lösungen mit.
Stehen Wahlen an, richtet sich der mediale Blick auf die Köpfe. Leidet darunter das Tagesgeschäft?
Es ist nicht wegzudiskutieren, dass in Wahljahren vermehrt versucht wird, das Profil zu schärfen. Das ist auch an der Zunahme von parlamentarischen Vorstössen ablesbar – ob in der Vereinigten Bundesversammlung oder auch im Kantonsrat. Dass das «Tagesgeschäft» darunter leide, glaube ich nicht. Die Sessionstage werden vielleicht einfach etwas länger – zumindest im Kanton St.Gallen (lacht).
Sie selbst sind derzeit noch mehr im Rampenlicht. Seit Mitte 2022 üben Sie die Funktion des Kantonsratspräsidenten aus. Was bringt dieses Amt – abgesehen von einer Vielzahl von Einladungen – mit sich?
Abgesehen von den vielen tollen Menschen, die ich treffen darf, bringt dieses Amt einen vertieften Einblick in die Funktionsweise unseres Parlaments und damit auch unserer Demokratie mit sich. Die Führung der Sessionen und auch an den Präsidiumssitzungen sind meine zusätzlichen Aufgaben. Es ist eine grosse Ehre und Verpflichtung, den Kantonsrat zu präsidieren.
Muss, will, soll man in dieser Funktion auch etwas bewegen, klare Akzente setzen?
Als Kantonsratspräsident macht man selbst keine Politik. Akzente setzt man damit, dass man den Rat kompetent und umsichtig leitet. Gerade dann, wenn aufgrund von emotionalen Themen die Diskussion etwas hitziger ist, muss man den Überblick und die Ruhe bewahren. Zudem kann man auch Akzente setzen, in dem man zwischendurch auch den Humor nicht zu kurz kommen lässt. Auch das ist in einem Parlament wichtig und gelingt mir hoffentlich.
Wenn man auf der Strasse Passantinnen und Passanten fragt, wer aktuell Präsident des Kantonsrats ist, wird man in 90% der Fälle wohl nur Schulterzucken als Antwort erhalten. Das dürfte Sie nicht wirklich erfreuen?
Dieselben 90% kennen vermutlich auch den Regierungspräsidenten nicht oder können nicht alle sieben Bundesrätinnen und Bundesräte aufzählen. Für mein Verständnis geht es beim Politisieren nicht um irgendeine Art Promistatus, sondern darum, etwas für die Menschen und die Wirtschaft im Kanton sowie in der Schweiz zu bewegen.
Wo sind Sie ein typischer Freisinniger?
Ich stehe für Freiheit und Selbstbestimmung ein. Ich stehe dafür ein, dass nicht nur der Staat Probleme löst, sondern auch die Zivilgesellschaft ihrer Pflicht nachkommt. Meines Erachtens braucht es einen schlanken, aber starken Staat. Das heisst: Der Staat muss die notwendigen Aufgaben effektiv lösen, dabei aber möglichst effizient sein. Zu guter Letzt bin ich auch der dezidierten Ansicht, dass die Steuerbelastung sinken muss und die Staatsquote nicht weiter steigen darf – um das zu erreichen, braucht es im Kanton einen tiefgreifenden Strukturwandel.
Und bei welchen Feldern könnte man Sie durchaus auch in anderen Parteien verorten?
Ich bin bei Themen, die den persönlichen Lebensentwurf sowie die Familie betreffend sicher eher konservativ. Das ist aber eigentlich eine ganz liberale Haltung. Der Staat soll mir nicht vorschreiben, wie ich zu leben habe. So, wie auch ich das niemandem vorschreiben will.
Blicken wir noch auf das nächste Jahr. 2023 wird für Sie politische ein erfolgreiches Jahr, wenn …
… die FDP des Kanton St.Gallen in den Ständerat zurückkehrt, beide Nationalratssitze souverän verteidigt und damit eine noch bessere Ausgangslage für die Kantons- und Regierungsratswahlen 2024 schafft.
Und persönlich?
Wenn ich weiterhin mit so viel Freude politisieren kann und ich meinen Beitrag leiste, dass der Kantonsrat gute Lösungen für die Menschen in unserem Kanton findet.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.