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UBS und CS «bestehen» ersten US-Stresstest

Der undurchdringliche Dschungel namens Eigenkapital

Sie können keine Bilanz lesen? Macht nichts, das können auch Fachleute nicht, wenn es um Banken geht. Unser Finanzexperte René Zeyer erklärt den US-Stresstest ohne Stress für Laien.

«Die Ostschweiz» Archiv am 29. Juni 2018

Auf niedrigem Niveau vor sich hindümpelnde Aktienkurse, begleitet von ungezügelter Gier in den Führungsetagen. So schaut es aus bei der UBS und der Credit Suisse.

Doch jetzt gibt es eine gute Nachricht: Ihre amerikanischen Töchter haben einen Soliditätstest der US-Notenbank Fed bestanden. Mit grosser Reserve auf das nötige Minimum. Trotz Annahmen von stark steigenden Arbeitslosenquoten, einbrechenden Börsen, absackenden Immobilienpreisen und Rezessionen blieben bei Credit Suisse Holding USA 17,6 Prozent und bei der UBS Americas Holding 16,4 Prozent Eigenkapitalquote übrig, gefordert ist eine Minimalreserve von 4,5 Prozent.

Also knallende Champagnerkorken, geöffnete Kaviardosen?

Eher nein.

Bei einer Person, auch einem KMU, ist es eine einfache und klare Sache: Eigenkapitalquote ist, wenn man das Eigenkapital auf der Passivseite der Bilanz ins Verhältnis zur Bilanzsumme setzt. Aber die Antwort auf die Frage: Wie gross ist dein Eigenkapital, absolut und als Prozentsatz vom Umsatz, verwandelt sich bei Banken in einen undurchdringlichen Dschungel.

Bei diesem Stresstest verbirgt sich hinter dem Begriff Eigenkapitalquote die «Common Equity Tier 1 capital ratio». Hä? Man muss ganz langsam und Schritt für Schritt vorgehen, um das zu verstehen. Allerdings, die schlechte Nachricht gleich am Anfang: verstehen tut das keiner.

Denn zunächst einmal sprechen wir bei Banken vom «risikogewichteten» Eigenkapital. Damit ist gemeint, dass die Eigenmittel ins Verhältnis zum Ausfallrisiko von Krediten gesetzt werden dürfen. Da nimmt man an, dass ein Hypothekarkredit weniger gefährdet ist als beispielsweise die Vergabe eines Firmengründungskredits. Soweit noch einigermassen nachvollziehbar, aber beispielsweise Staatsschuldpapiere gelten in den USA und in der EU als bombensicher, es muss faktisch kein Eigenkapital zur Risikoabsicherung vorgehalten werden.

Nun fragt sich der Laie sicherlich, wer denn nach welchen Kriterien diese «Risikogewichtung» ausrechnet. Ganz einfach: Die Banken selbst, nach eher schwammigen Vorgaben von Basel oder vom sogenannten «Swiss Finish» in der Schweiz. Aber damit des Aberwitzes nicht genug.

Es gibt zum Beispiel sogenannte CoCos, die dem Eigenkapital zugerechnet werden dürfen. Die Contingent Convertible Bonds werden bei gewissen Auslösern zwangsweise in Aktien umgewandelt. Seit diese Wettscheine zum ersten Mal in den 1990er-Jahren in Japan ausgegeben wurden, tragen sie den Übernamen «Todesspiralen»-Anleihen. Sie entheben eine Firma vom Problem, das Eigenkapital durch Aktienausgaben anheben zu müssen, da CoCos diesem zugerechnet werden dürfen, obwohl sie zunächst Fremdkapital sind.

So war die CS schon in den Jahren 2009 bis 2015 weltweit der grösste Emittent von CoCos mit einem Volumen von 19,3 Milliarden Dollar. Der Sinn der Sache: Umso kleiner das eigentliche Kernkapital ist, desto grösser wird im Verhältnis dazu der mit geliehenem Geld gehebelte Umsatz und damit der Bonus.

Ist damit die kreative Buchhaltung am Ende? Keineswegs, es gibt da beispielsweise noch die sogenannten Level-3-Verbindlichkeiten. Zitieren wir dazu kurz aus einem Geschäftsbericht: «Level 3: Nicht beobachtbare Eingabeparameter zum betreffenden Vermögenswert oder zur betreffenden Verbindlichkeit.

Diese Eingabeparameter entsprechen den eigenen Annahmen der Gruppe zu den Prämissen (einschliesslich der Prämissen zum Risiko), welche Marktteilnehmer zur Preisfestsetzung für den betreffenden Vermögenswert oder die betreffende Verbindlichkeit verwenden würden.» Auf Deutsch übersetzt bedeutet das, dass ein theoretischer Wert für diese Papiere «angenommen» wird. Man weiss schlicht nicht, wie viel sie wert sind.

Aber warum machen die Banken aus einer einfachen Rechnung ein dermassen kompliziertes, undurchschaubares Gebastel? Ganz einfach, möglichst klein gerechnetes Eigenkapital ermöglicht grosse gehebelte Spekulationen mit Fremdkapital, funktionieren die, rechnet sich der Bonus nach der Eigenkapitalrendite. Also wer mit 10 eigenen und 90 geliehenen Franken 10 Franken Gewinn macht, hat eine Eigenkapitalrendite von 100 Prozent. Macht er allerdings 10 Franken Verlust, dann ist das Eigenkapital weg, die Bank ist blank und muss die Bücher deponieren.

Ist der Verlust weniger schlimm, dann wird der Bonus auch umsatzabhängig berechnet, der Banker ist auch da auf der Gewinnerseite. Grundsätzlich ist Eigenkapital sozusagen tot, deshalb steht es auch auf der Passivseite einer Bilanz. Es ist eine Reserve, ein Puffer, eine Sicherheit für Notfälle. Solange keine Katastrophe eintritt, liegt es nur blöd rum. Ist sie aber da, wird es überlebenswichtig. Oder führt zum Exitus, wenn es zuvor zwar grossgerechnet, aber real winzig klein ist.

Also gibt es auch noch eine «Leverage Ratio», eine «Net Stabil Funding Ratio», eine «Common Equity Capital Ratio», Kernkapital Tier 1 und 2, sowie Kapitalinstrumente, die nicht mehr als Tier 1 oder 2 anerkannt werden. Näheres regelt dann IFRS 9, der International Financial Reporting Standard Version 9, eine Rechnungslegungsvorschrift mit Hunderten von Seiten und ständigen Ergänzungen.

Unglaublich, aber wahr: In diesem Dschungel schafft auch ein Stresstest keine Klarheit, wie stabil die internationalen Grossbanken sind. Selbst die in gröberen Schwierigkeiten steckende Deutsche Bank hat zumindest den ersten Teil bestanden, rasselte dann aber durch den zweiten. Nicht umsonst wird sie in einem Bericht des Internationalen Währungsfonds als grösstes Risiko für die weltweite Finanzstabilität bezeichnet. Und in Europa gibt es noch jede Menge Zombie-Banken, die als Untote leben, weil Nullzinsen und das Aufkaufen von Schuldpapieren durch die Europäische Zentralbank ihre Bilanzen im Lot halten. 

Bis zum echten Stresstest.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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