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DG: DG: Politik

Der Wunsch ist der Vater des Gedankens

Wir werden zunehmend von Persönlichkeiten regiert, die in ihrem Leben nie etwas anderes als Konzepte, Studien, Berichte und Protokolle produziert haben. Hoffnung auf Besserung gibt es nicht. Mit Ueli Maurer verlässt der letzte Bundesrat mit einer Berufslehre die Regierung.

Kurt Weigelt am 15. November 2022

Dies gelesen: «Wenn sie es wollen, können sie das erreichen.» (Quelle: Bundesrätin Viola Amherd, zitiert in NZZ, 2.11.2022)

Das gedacht: Anfangs Jahr schickte das Bundesamt für Sport die überarbeitete Sportförderungsverordnung in die Vernehmlassung. Diese sah vor, dass sich bis Ende 2024 der Frauenanteil in den Gremien von Sportverbänden auf mindestens 40 Prozent erhöhen muss. Im Interesse der Gleichstellung der Geschlechter. Wer nicht spurt, bekommt vom Bund keine Beiträge mehr.

Eine absurde Idee. Nicht nur mit Blick auf traditionell männerlastige Sportarten. Insbesondere negierte das Bundesamt die Tatsache, dass bereits heute viele Verbände Mühe haben, ihre Gremien mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden zu besetzen. Die meisten Sportverbände können die Quotenforderung gar nicht erfüllen. Nur, dies interessiert die für das Bundesamt für Sport verantwortliche Bundesrätin Amherd nicht. Auf kritische Kommentare reagierte sie mit der lapidaren Bemerkung, dass alles nur eine Frage des Wollens sei.

In der Zwischenzeit wird diese versalzene Suppe nicht mehr so heiss gegessen, wir sie einst gekocht wurde. Die Vernehmlassung bei den Sportverbänden fiel derart negativ aus, dass selbst die quotenverliebte Oberwalliserin zurückrudern musste. Heute spricht das Bundesamt für Sport nur noch von «sachgerechten Vorgaben» und von einer Umsetzung mit «Augenmass».

Nun geht es bei der Frage, nach welchen Kriterien beispielsweise Swiss Badminton oder der Verband von Jungwacht und Blauring mit staatlichen Geldern ausgestattet werden, nur um einen Nebenschauplatz. Der ursprüngliche Plan von Amherd lässt jedoch tief blicken und erklärt vieles, was in Bundesbern aus dem Ruder läuft.

Dazu gehört die Verbindung von Umerziehung mit finanzieller Repression. Wer nicht gehorcht, wird finanziell abgestraft. Wer sich wohlfeil verhält und sich dem staatlichen Diktat unterwirft, wird belohnt. Mit dem Geld der Steuerzahlenden.

Vor allem aber ist es dieses dummdreiste «Man muss nur wollen», das uns die Zukunft verbaut. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Was zählt, ist die Absicht und nicht die Wirklichkeit.

Zum Beispiel in der Verkehrspolitik. Hier heisst das Zauberwort nicht Gleichstellung, sondern Umsteigen. In den vergangenen Jahrzehnten investierten wir auf Bundesebene mehr als 50 Milliarden Franken in die Eisenbahn. Dazu gehören der Lötschberg- und der Gotthard-Basistunnel und die Neubaustrecke zwischen Zürich und Bern. Ausgebaut wurden auch regionale Verkehrsverbindungen, beispielsweise die S-Bahn im Grossraum Zürich. Und selbst in der Stadt St.Gallen hat es bald einmal mehr Trolleybusse als Einwohner.

Während man Milliarden in den öffentlichen Verkehr steckte, machte man bei den Autofahrern die hohle Hand. Zusätzlich zu den Motorfahrzeugsteuern und den Abgaben auf Treibstoffen führte das Schweizer Stimmvolk die Autobahnvignette ein. Gleichzeitig erhöhten die Stadtregierungen in den Stadtzentren gnadenlos die Parkplatzgebühren.

Politisch mehrheitsfähig gemacht wurden all diese Massnahmen mit dem Versprechen, Menschen und Güter von der Strasse auf die Schiene zu bringen. Ein Plan, der voll in die Hose ging. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in der Schweiz – der sogenannte Modalsplit – stagniert. 2005 wurden 12 Prozent aller Wege mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt. Zehn Jahre später waren es 13 Prozent. Heute, nach Corona, sieht es nicht besser aus. Das vielbeschworene und mit Milliarden subventionierte Umsteigen findet nicht statt.

Nun ist es keinesfalls so, dass die Investitionen in den öffentlichen Verkehr nichts bewirkt haben. Im Gegenteil. Heute ist es möglich, in Zürich oder im Oberwallis zu wohnen und als Bundesbeamter in Bern zu arbeiten. Dank der S-Bahn vergrösserte sich das Einzugsgebiet der Stadt Zürich um ein Vielfaches. Der mit der Eisenbahn zurückgelegte Personenkilometer hat sich seit dem Jahre 2000 beinahe verdoppelt. Im Jahre 1990 arbeiteten 59% der Erwerbstätigen ausserhalb ihrer Wohngemeinde, heute sind es 71%. Was einst die Autobahn auslöste, erledigt heute die Eisenbahn: Die Zersiedelung der Schweiz.

Auch wenn dies niemand zugeben will: Gemessen an den ursprünglichen Zielsetzungen ist die ÖV-Politik der Schweiz ein krachender Misserfolg. Wenig überraschend. Nicht nur der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, auch die angesprochene Sportförderungsverordnung, die Energiewende oder die Raumplanung, hinter all diesen Vorhaben steht nicht der gelebte Alltag der Normalbürger, sondern stehen die Wunschvorstellungen realitätsferner Theoretiker. Wir werden zunehmend von Persönlichkeiten regiert, die in ihrem Leben nie etwas anderes als Konzepte, Studien, Berichte und Protokolle produziert haben. Hoffnung auf Besserung gibt es nicht. Mit Ueli Maurer verlässt der letzte Bundesrat mit einer Berufslehre die Regierung.

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Autor/in
Kurt Weigelt

Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.

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