«Es gibt Stimmen, welche den LSD-Konsum mit der aussergewöhnlichen Innovationsfülle in Verbindung bringen», so Esther Federspiel, Dozentin und Projektleiterin am IDEE Institut für Innovation, Design und Engineering der OST – Ostschweizer Fachhochschule.
Die ausgebildete Psychologin berät Unternehmen in den Bereichen Innovationsentwicklung und -management. Eines ihrer Schwerpunktthemen ist die Innovationskultur. Was aber ist eigentlich darunter zu verstehen? Und was haben Drogen damit zu tun?
Esther Federspiel, was ist für Sie das beste Beispiel für eine Innovation?
Eine Innovation, auf die ich nicht verzichten möchte, ist der Buchdruck. Wissen, das für alle zugänglich ist, hat die Menschheit offener, gerechter und wohlhabender gemacht und zudem einen Grundstein für die moderne Wissenschaft gelegt. Das Internet stiess eine ähnliche Veränderung an. Die noch lückenhafte Qualitätskontrolle von digitalen Quellen hingegen empfinde ich als Rückschritt und grosse Gefahr für den aufgeklärten Menschen.
Wie kommen Innovationen in der Regel zustande? Nicht selten spricht man ja gerne von der «Bieridee»…
Die «Bierphase» in der Innovationsentwicklung ist nicht zu unterschätzen – die Fachwelt würde sie allerdings eher als Inkubationsphase im Kreativitätsprozess bezeichnen. Innovative Ideen brauchen zunächst ein vertieftes Eintauchen in die Materie, die Immersion. Diese Phase bildet die Grundlage für die Ideenfragmente, welche in der Inkubationsphase reifen und auf andere Fragmente treffen. Die Illumination – der Heureka-Moment – geschieht dann meist unverhofft und spontan: Unter der Dusche, beim Spazieren oder eben auch bei einem Feierabend-Bier wenn das Hirn wach und entspannt ist. Damit ist eine Idee geboren, zur Innovation wird diese aber erst, wenn sie zu einer Erfindung führt, die dann auch eine Verbreitung im Markt findet.
Wir Schweizer sind eher zurückhaltend. Hemmt das bei Innovationen? Braucht es eben doch den Alkohol?
Es gibt Stimmen, welche den LSD-Konsum der 1960er- und 1970er -Jahre in Kalifornien mit der aussergewöhnlichen Innovationsfülle dieser Zeit in Verbindung bringen – ich wäre aber mit der Verbindung von Innovationsfähigkeit und Drogen eher vorsichtig. Wir zurückhaltenden Schweizer sind sehr innovationsstark. In gewissen Innovationsrankings sind wir sogar im führenden Feld unterwegs – vor allem dort wo Patente und Forschungsgelder ins Ranking einfliessen. Unsere Stärke liegt aber noch immer eher im Bereich der inkrementellen Innovation, welche vorwiegend Weiterentwicklungen oder Verbesserungen fokussiert. Aber im Hinblick auf radikale Innovation, welche die Dinge grundlegend neu denkt, könnten wir noch aufholen. Hier haben uns gerade die Amerikaner noch einiges voraus. Es empfiehlt sich auch für KMU neben gut laufenden Cash-Cows eine Pipeline an innovativen neuen Entwicklungen zu unterhalten – sonst kann es gefährlich werden.
Risiko und Mut sind zentral?
Wer gänzlich neue Produkte, Geschäftsmodelle oder Dienstleistungen auf den Markt bringen will geht auch ein Risiko ein, ja. Edisson hat zu seiner Zeit gesagt, er sei nicht gescheitert, er habe nur 10'000 Wege gefunden, wie es nicht funktioniert. Damit sich ein Unternehmensbereich mit innovativen neuen Wegen befassen kann braucht es eine Fehlerkultur. Dabei geht es nicht darum einfach Fehler zu begehen, sondern sie als natürliches Nebenprodukt eines Lernprozesses zu verstehen, aus dem man wichtige Erkenntnisse ziehen kann. Das braucht Mut beziehungsweise ein gewisses Mass an psychologischer Sicherheit, welches zum Experimentieren anregt. Wer kein Risiko eingeht und in der Komfortzone verharrt, begeht zwar keine Fehler – er läuft aber Gefahr selbstgefällig zu werden. Der legendäre Investor, Waffen Buffett, nennt denn auch diese Selbstgefälligkeit, oder Complacency, den Killer Nummer 1 von Unternehmen.
Wann waren Sie zum letzten Mal so richtig mutig oder sind ein Risiko eingegangen?
Jeder Weg ins Unbekannte ist ein Risiko. Ich bin mit unserem Kind nach langen Regentagen spontan auf eine Wanderung aufgebrochen, die sich als exponierter und gefährlicher erwiesen hat, als ich es nach 20 Jahren noch in Erinnerung hatte. Das Wetter mag hier einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben. Ein Weg kann also mit neuen Gefährten und wenn sich die Umwelt verändert (Regen) ganz neue Anforderungen stellen und muss neu geprüft werden.
Die meisten kennen das: Man hat eine Sitzung, jemand spricht und das eigene Bauchgefühl sagt einem, dass man nun eigentlich etwas entgegnen müsste. Mit welchen Mitteln kann man in einem Unternehmen das gesamte Potenzial hervorlocken?
Ob sich Teammitglieder trauen, kritisch zu hinterfragen, hat viel mit der Teamkultur zu tun. Google sagt, einer der wichtigsten Kriterien erfolgreicher Teams ist das Gefühl der psychologischen Sicherheit. Das Unternehmen muss dafür sorgen, dass sich alle wohl fühlen ihre eigene Meinung zu sagen. Das ist leichter gesagt als getan. Aber nur wer sich sicher genug fühlt, spricht seine Ideen, Vorschläge und Kritikpunkte offen aus – und weist so auf blinde Flecken und fehlende Perspektiven hin, die uns bei einer Neuentwicklung zum Verhängnis werden könnten. Es gibt auch Methoden, welche hier unterstützen können. Beispielsweise hilft Lego Serious Play, in welchem alle ihre Überlegungen als Lego-Modell in die Diskussion einbringen, eine rhetorische Überlegenheit bestimmter Personen zu relativieren und auch die eher Stillen einzubinden.
Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter riskiert man mitunter, belächelt zu werden…
Das ist eine Kulturfrage. Kritische Gedanken sollten nicht belächelt, sondern estimiert werden. Gibt es etwas Besseres als jemand, der uns auf Lücken, Fehler und blinde Flecken aufmerksam macht, bevor wir zum Beispiel mit einem Produkt am Markt kläglich versagen? Die Entwickler von Google Glasses wären beispielsweise gut beraten gewesen, hätte sie jemand auf die Schwierigkeiten des Datenschutzes und der gesellschaftlichen Anerkennung in der Alltagsanwendung aufmerksam gemacht. Andererseits lassen wir wilde Ideen oftmals schon im Keim ersticken. Wer hierzulande vor zehn Jahren gesagt hätte, er baue Raketen, um den Mars zu besiedeln, wäre höchstens mit einem milden Lächeln bedacht worden. Die Innovationen entstehen so leider an einem anderen Ort. Wir dürfen durchaus auch mal belächelt werden – schliesslich kommt es darauf an wer zuletzt lacht.
Sind wir in der Arbeitswelt noch immer in zu starren Strukturen gefangen, Strukturen, die kaum Innovationen ermöglichen?
Viele Unternehmen oder zumindest Unternehmensabteilungen bemühen sich beweglicher zu werden. Dennoch spiegelt es auch die Realität, dass viele Unternehmenskulturen noch den hierarchischen Systemen Rechnung tragen, aus welchen sie sich entwickelt haben. Auch das weit verbreitete Silodenken ermöglicht wenig Neues. Eine Kulturveränderung ist nur langsam möglich und unter Einbezug der Geschäftsleitung. Dabei muss auch beachtet werden, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Viele Unternehmensstrukturen sind auf Effizienz ausgerichtet, was in sich nicht schlecht ist. Wir müssen aber wissen, wo wir die Strukturen auf Kreativität und Veränderung ausrichten müssen
Gibt es für Sie ein typisches Arbeitsmodell, an dem wir uns orientieren müssten?
Statistiken zeigen, dass über 80 Prozent der Arbeitskräfte in der Schweiz disengaged sind, knapp 70 % der Schweizer Erwerbstätigen sind gemäss Job-Stress-Index im kritischen oder sensiblen Bereich. Flexible Arbeitsmodelle, Empowerment, Motivation und das Führen nach Zielen statt nach Kontrolle könnten ein Stück weit Abhilfe schaffen.
Kann man sich die «Entwicklung» einer Innovation als Ziel setzen?
Jedes Unternehmen kann eine Innovationsstrategie implementieren und die Entwicklung von Ideen bis zum ersten Testprodukt am Markt institutionalisieren. Damit eine solche Strategie aber von Erfolg gekrönt ist braucht es – zumindest in der Abteilung, die für die Innovationsstrategie zuständig ist – eine Innovationskultur.
Was wäre für Sie im Jahr 2023 die Innovation der Innovationen, die alles andere in den Schatten stellen würde?
Alle Innovationen, die die grossen Herausforderungen der Menschheit wie Hunger, Energieknappheit, Klimaerwärmung oder soziale Gerechtigkeit angehen und Lösungsansätze bieten, würden sehr weit oben auf meiner persönlichen Liste stehen. Hier sehen wir weltweit leider eine zunehmende, anti-demokratische Polarisierung des politischen Klimas, welche intelligente Lösungen behindern. Eine Innovation der Innovationen wäre hier also wünschenswert. Das nächste Jahr steht für die Schweiz und das angrenzende Ausland aber wohl das Thema der kostengünstigen und ökologisch nachhaltigen Energieversorgung im Vordergrund. Wir, aber vor allem auch die deutsche Industrie, mit der wir gerade in der Ostschweiz stark verknüpft sind, ist angewiesen auf billige Energie. Ohne eine kosteneffizientere und umweltgerechtere Energiespeicherung wird sie vor grossen Herausforderungen stehen – die nicht nur die wirtschaftlichen Aussichten trüben werden, sondern auf alle anderen Lebensbereiche ausstrahlen werden. Hier gibt es zum Glück schon einige Erfindungen – sie müssen aber noch zur Innovation reifen.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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