50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz: Anlässlich des Jubiläums zeigt das Textilmuseum Kostüme und Accessoires, die weiblichen Machtanspruch und weibliche Machtrepräsentation im Wandel von Gesellschaft, Politik und Mode versinnbildlichen.
Gezeigt werden Kleider und Accessoires von illustren Perso?nlichkeiten wie Kaiserin Elisabeth («Sisi»), kämpferischen Politikerinnen wie Margaret Thatcher oder modischen Trendsetterinnen wie Präsidentengattin Jacqueline Kennedy. Die Ausstellung ist vom 19.3.2021 bis einschliesslich 6.2.2022 in St. Gallen zu sehen.
Die Schau «Robes politiques» versteht sich als thematische Annäherung und beleuchtet die Kleidung einflussreicher Frauen in sechs Kapiteln. Fünfzig grossartige Kleider und Textilien aus der Zeit von 1549 bis heute illustrieren das Spannungsfeld zwischen Weiblichkeit und Machtposition, Skandal und Idealisierung, Volksnähe und Repräsentation. «Robes politiques» veranschaulicht den strategischen Einsatz von Mode anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Zeiten, Demokratien, Monarchien und verweist auf Kontinuitäten wie auf Brüche.
«Ein unglaublich facettenreiches Thema», so die Projektleiterin Annina Weber, «es ist von historischen Dimensionen, berührt Fragen der Frauenrechte und spiegelt gleichzeitig ein Stück Modegeschichte wider». «Darüber hinaus hat die Inszenierung des o?ffentlichen Auftritts im heutigen Zeitalter von Social Media und Online-Medien ganz neue Dimensionen erreicht», ergänzt Weber. Politikerinnen sähen sich immer wieder der Stilkritik ausgesetzt, es sei aber festzustellen, dass die Betroffenen souverän kontern und den Spielraum, den die weibliche Mode ero?ffnet, gekonnt nützen, um ihr Bild in der O?ffentlichkeit zu gestalten. Diesen Eindruck bestätigen die Videointerviews, die die Filmemacherin Eveline Falk («Die sieben Bundesrätinnen») im Vorfeld der Ausstellung mit Schweizer Politikerinnen führte, und die spannende Einblicke in die perso?nliche Sphäre o?ffentlicher Personen gewähren.
«Auch in der Vergangenheit war die Kleidung der Herrschenden keine Privatangelegenheit », fügt die Co-Kuratorin Claudia Schmid hinzu. Die in der Ausstellung vollzogene Rückschau auf vergangene Epochen belege deutlich, in welch hohem Masse die Wahl der Bekleidung immer schon im Fokus des o?ffentlichen Interesses, der o?ffentlichen Diskussion stand.
Der Direktor des Textilmuseums, Stefan Aschwanden, betont, dass die Ausstellung «Robes politiques» bewusst als Annäherung an den Themenkomplex «Frauen Macht Mode» konzipiert sei, die auch zeitgeno?ssische künstlerische Positionen miteinbezieht. So ist Pipilotti Rist mit ihrer Arbeit «Fascis» (1994) und Irene Düring mit ihrem Werk «Lina» (2005) vertreten.
Mode und Accessoires wurden zu allen Zeiten und von beiden Geschlechtern – sofern Frauen denn an die Macht gelangten – politisch-strategisch eingesetzt. Die Voraussetzungen haben sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte erheblich geändert. Vor der Franzo?sischen Revolution sah man politische Macht als von Gott gegeben an, sie stand dem Adel als der herrschenden Klasse qua Geburt zu. Prachtvolle Gewänder aus edlen Stoffen, kostbarer Schmuck und andere Insignien symbolisierten Stand, Reichtum und Einfluss ihres Trägers, ihrer Trägerin. Die Prunkgarderobe war unverzichtbarer Bestandteil der herrschaftlichen Inszenierung als Hinweis auf eine go?ttliche Weltordnung, die unanfechtbar war. Sogenannte Kleiderordnungen regelten die Verwendung von Zierelementen und Kleidung, deren Materialien und Farben. So waren aufwändig gefertigte Spitzenkrägen, wie sie in der Ausstellung zu sehen sind, über viele Jahrhunderte ausschliesslich Adel und Klerus vorbehalten.
Die gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Franzo?sischen Revolution schlugen sich auch in der Kleiderwahl der neuen Machthaber – nach wie vor männlich! – nieder. Die Symbole des Ancien Re?gime waren im wahrsten Sinne des Wortes untragbar geworden, schnell wechselnde Moden kamen auf und es wurden neue Bekleidungsstrategien entwickelt, die den veränderten Umständen Rechnung trugen. In diesem Zusammenhang sei Euge?nie de Montijo (1828-1920), die letzte Monarchin Frankreichs, erwähnt. Ihr 1851 durch einen Staatsstreich an die Macht gelangter Gatte, Napoleon III, galt vielen als Emporko?mmling und sie selbst war auch nicht ko?niglichen Geblüts. Ein Manko, dessen sie sich bewusst war und das sie elegant mit teuren Gewändern wie dem Spitzen-Ballkleid, welches in der Ausstellung zu sehen ist, zu kaschieren wusste.
Diente den Herrschenden die Kleidung viele Jahrhunderte als Symbol der Erhabenheit über das Volk, so haben sich die Mechanismen im Zeichen der Demokratie gewandelt. Heute suchen die auf Zeit bestellten Politikerinnen die Annäherung an die Wählerschaft, die ihre Machtposition in regelmässigen Abständen zu legitimieren hat. Das Outfit symbolisiert Zugeho?rigkeit statt Abgrenzung. Eine zu offensichtliche Zurschaustellung von Luxusgütern ist verfemt, denn es droht die Gefahr, als abgehoben und unerreichbar wahrgenommen zu werden. Im schlimmsten Fall zieht ein Sturm der Entrüstung auf, wie jüngst eine deutsche Politikerin – Trägerin einer teuren Uhr – erfahren musste.
Ein weiteres Zeichen der Verbundenheit sind heute medienwirksam inszenierte Auftritte von Volksvertreterinnen und -vertretern, die sich jenseits der politischen Bühne in Freizeitkleidung präsentieren. Ende des 18. Jahrhunderts hingegen rief die Ko?nigin von Frankreich, Marie Antoinette, einen Skandal hervor, als sie für ein offizielles Herrscherporträt in nicht standesgemässer Robe posierte. Die Künstlerin E?lisabeth Vige?e Le Brun wurde beauftragt, eine zweite Fassung des Bildes von 1783 zu schaffen, die das ho?fische Protokoll berücksichtigte und die Dargestellte ordentlich gewandet in einer Robe ä la franc?aise, dem seinerzeit üblichen Hofkleid zeigt.
Der Bruch mit der Konvention wird auch heute noch gepflegt, insbesondere dann, wenn es gilt, Aufmerksamkeit zu erregen und Zeichen zu setzen. Zu diesem Mittel griff im Jahr 2001 die Schweizer SP-Politikerin Anita Fetz. Weder perso?nlich noch politisch des Hangs zum Nationalismus verdächtig, trat sie anlässlich der Bundeshaus-Debatte um den Beitritt der Schweiz zur UNO in einem T-Shirt mit Schweizer Kreuz auf. Angesichts des strittigen Themas wollte Fetz gemäss eigener Aussage ihre Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck bringen und der Vereinnahmung nationaler Symbole durch gewisse Parteien oder für gewisse Themen entgegenwirken.
Eher augenzwinkernd ist hingegen Doris Leuthards Griff zu einem «lo?chrigen» Mantel zu interpretieren, den die damalige Bundespräsidentin zur Einweihung des Gotthard- Basistunnels 2016 trug und mit dem sie dem Jahrhundertbauwerk – medial gesehen – fast schon den Rang ablief.
Grundsätzlich gilt, dass Frauen heute vielfältige Mo?glichkeiten offenstehen, sich durch die gezielte Wahl der Garderobe auf der politischen Bühne zu positionieren. Weit mehr als ihren männlichen Kollegen, die nach wie vor eher einheitlich in schwarzem, grauem oder blauem Tuch – bestenfalls akzentuiert durch eine gemusterte Krawatte oder bunte Socken – gewandet daherkommen. Dabei verfolgen die Damen schon lange eine Strategie der Anpassung an männliche Mode, die sich in Hosenanzügen oder Business- Kostümen manifestiert und als «Power Dressing» bekannt wurde. Namhafte Designerinnen und Designer wie Coco Chanel, Jil Sander und Giorgio Armani gelang es, traditionell maskulinen Kleidungsstücken einen femininen Touch zu verleihen und sie so tragbar für die Frau von Welt zu machen.
Eine der prominentesten Vertreterin dieses Stils war die «Iron Lady» Margaret Thatcher, die in ihren fraulich-eleganten Kostümen stets wirkte, als trüge sie einen Panzer, der sie vor den Anfeindungen der politischen (Männer-)Welt schützt. Eine weitere Modeikone kommt ebenfalls aus Grossbritannien: Queen Victoria war nicht nur Kundin des ersten Haute Couturiers Charles Worth. Sie begründete gleichermassen die Tradition des weissen Brautkleids wie der schwarzen Trauerkleidung, die sie selbst nach dem Tod ihres Gemahls Albert nie wieder ablegen sollte. Nach wie vor avancieren Vertreterinnen diverser Ko?nigshäuser, aber auch Gattinnen von Spitzenpolitikern zu Stilikonen: Michelle Obama, Grace Kelly, Evita Pero?n oder Lady Di.
Die Ausstellung «Robes politiques – Frauen Macht Mode», die vom 19. März 2021 bis einschliesslich 6. Februar 2022 im Textilmuseum St.Gallen gezeigt wird, ist Teil der Kooperation «50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht – Ausstellungen und mehr». Begleitend zur Ausstellung bietet das Textilmuseum eine Reihe von Führungen, Workshops und Museumsgesprächen an.
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