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Armer, guter Immigrant

Die geistigen Verrenkungen der Antirassisten

Anfang dieses Monats versuchte die linke Wochenzeitung WOZ den SRF-Sportjournalisten Sascha Ruefer in die rassistische Schmuddelecke zu stellen. Dieser hatte sich zum Kapitän der schweizerischen Fussballnationalmannschaft so geäussert: "Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer."

Thomas Baumann am 01. Mai 2023

Die WOZ musste dafür zu Recht einiges an Kritik einstecken. Aus dem Kontext, in dem der Satz geäussert wurde, ging nämlich eindeutig hervor, dass die Aussage nicht herabsetzend gemeint war. Dies war der Zeitung aber völlig egal - oder in den Worten der WOZ: "Angeblich fehlte der Kontext. Dabei war der Satz klar rassistisch."

Da man sich links aussen aber für aufgeklärter hält, als es der Rest der Gesellschaft angeblich ist, wollte die WOZ natürlich das letzte Wort haben. Ihrem Dünkel liess sie dabei gleich einmal freien Lauf: "Es kann boulevardesk wirken, dass sich auch diese Zeitung mit der Aussage eines prominenten Sportreporters beschäftigt." (Als hätte sie nicht selbst damit begonnen...)

Und weil die Geschichte gemäss Marx bekanntlich eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, muss auch die WOZ die Weltgeschichte quasi ab ovo erklären: "Der Satz ist eine Chiffre: Er steht für den Umgang der Schweizer Gesellschaft mit Migration in den vergangenen drei Jahrzehnten." Unter drei Jahrzehnten macht's eine WOZ nicht.

Bewusst kurz und missverständlich hält sich die Zeitung dafür bei der Charakterisierung der Gemengelage: "Ein Satz, den ein Sportreporter gesagt hatte, nicht gesagt haben wollte, der aber trotzdem publik wurde." Nicht gesagt haben wollte: Dies bedeutet nach allgemeinem Verständnis ein Abstreiten. Dabei hat Ruefer die Äusserung nie bestritten.

Die WOZ stand also vor der Aufgabe, einen Satz, der nie rassistisch war, weil er sich weder auf eine Ethnie bezog noch herabsetzend war, dennoch als rassistische Äusserung zu deuten. Und wurde - wie meist, wenn man nicht mehr weiter weiss - bei einem englischen Wort fündig: "Othering nennt man das in der Rassismusforschung, die Konstruktion eines fremden Anderen zur Stabilisierung der eigenen Identität."

Doch wo manifestiert sich dieser englischsprachige Begriff konkret? Gemäss der WOZ zum Beispiel bei der Einbürgerung: "Mal drückt sich dieses Othering in strukturellem Rassismus aus wie bei der Einbürgerung, mal in Alltagsrassismus wie in ausgrenzenden Bemerkungen." Wo liegt nun bei der Einbürgerung der strukturelle Rassismus? Gemäss der WOZ darin, dass der Schweizer Pass "nur nach einem langen Hürdenlauf" erteilt werde.

Dass der Schweizer Pass nicht einfach so abgegeben wird ist gemäss der WOZ also bereits Rassismus. Eine solche Argumentation ist mehr als nur ein wenig infantil und erinnert an Kleinkinder, die es in ihrem Trotz auch immer für eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit halten, wenn sie etwas nicht subito erhalten.

Die WOZ sieht bekanntlich überall Faschisten und Nazis. Und eben auch Rassisten. Besagt das Bonmot "Was nicht sein darf, kann nicht sein", so verhält sich die WOZ stattdessen nach der Devise "Was nicht ist, muss dennoch sein".

Belehrt uns die Zeitung: "Doch Rassismus darf es nun einmal nicht geben in der Schweiz, dieser angeblichen Musterdemokratie. [...] Höchstens juristisch eingeengt kann so etwas wie Rassismus nachgewiesen werden, in der Definition der Antirassismusstrafnorm."

Oder anders gesagt: Gibt es in der Schweiz keinen oder kaum Rassismus, dann ändern wir eben die Definition von Rassismus, bis wir welchen finden. Warum auch die Ideologie an die Realität anpassen, wenn man stattdessen die Realität an die Ideologie anpassen kann?

Doch wie hält es die WOZ denn selbst mit dem Othering? Nur eine Woche nach dem Elaborat, das unter dem wichtigtuerischen Titel "Ein Satz als Chiffre" auftrat, feuerte derselbe Redaktor eine Breitseite gegen Ständerat Ruedi Noser und erwähnte in seinem Artikel auch einen "indischen Stahlmagnaten" Sanjeev Gupta.

Unbestreitbar ein traditionsreicher indischer Name: Vor über 1500 Jahren regierte die Gupta-Dynastie weite Teile Indiens. Sanjeev Gupta ist jedoch ebenso sehr Inder wie Viktor Giaccobo's Kunstfigur Rajiv: Nämlich gar nicht. Sanjeev Gupta ist Brite. Soviel zu Othering bei der WOZ selbst. Wer anderen eine Grube gräbt...

Auch der Schweizer Presserat, präsidiert von der langjährigen WOZ-Redaktionsleiterin Susan Boos und ebenfalls in prononciert linkem Fahrwasser unterwegs, ist von "Othering" nicht gefeit. Als die Zeitungen des CH Media-Verbunds in einem Artikel Alok Sharma, den ehemaligen Minister für Wirtschaft, Energie und Industriestrategie des Vereinigten Königreichs als "Flüchtlingskind" bezeichneten, obwohl er aus einer sehr gut situierten Familie stammt, fand dies der Presserat bloss eine "journalistische Ungenauigkeit".

In Indien - Alok Sharma ist als fünfjähriger Knabe zusammen mit seiner Familie aus Indien nach England gezogen - gibt es natürlich keine reichen Leute, dort leben alle in der Gosse. Entsprechend sind alle Menschen, die von dort kommen, Flüchtlinge. Und sind sie es für einmal nicht, dann ist dies nicht der Rede wert.

"Die Konstruktion eines fremden Anderen zur Stabilisierung der eigenen Identität" nennt es das Leitorgan der Linken. Und praktiziert es gleich selbst: Der britische Stahlmagnat, der wegen seines Namens ein Inder ein soll, der Abkömmling einer wohlhabenden indischen Familie, der angeblich ein Flüchtling ist.

Woher stammt die Obsession der heutigen Linken mit dem angeblich armen, benachteiligten Immigranten - warum wird das Thema Rassismus auf allen Kanälen bespielt, obwohl es in quantitativer Hinsicht hierzulande tatsächlich eher ein Randphänomen ist?

Den Linken ist die Arbeiterklasse abhanden gekommen. Diese wählt heute SVP, denn sie hat instinktiv begriffen, dass der Immigrant der Streikbrecher, der Lohndrücker ist. Internationale Solidarität war einmal, als das Kapital angeblich um den Globus raste - wer da die Rechte der Arbeiter im Süden verteidigte, tat gleichzeitig auch etwas dafür, dass die Fabrik im eigenen Land blieb: Alles letztlich eine Frage der relativen Preise.

Die Linke wiederholte das Mantra der internationalen Solidarität auch dann noch, als nicht mehr das Kapital aus-, sondern die Arbeitskräfte einwanderten. Kein Wunder, machten die einheimischen Arbeiter nicht mehr mit.

Und jetzt sucht sich die Linke eben eine neue Klientel, mit der sie ihre Ideologie unterfüttern kann. Wie ehedem bei Rousseau der edle, von der Zivilisation unverdorbene Wilde, ist es für die heutige Linke der arme, geknechtete Immigrant. Zwar ist die Realität komplizierter, ein Immigrant nicht automatisch der gute Mensch von Szechuan, wie die Linke gerade unlängst schmerzhaft erfahren musste, als sie sich im Vorstand von Secondas Zürich plötzlich einer bürgerlichen Mehrheit gegenüber sah.

Rassistische Vorurteile sind primär Gruppenvorurteile: Individuen werden gewisse Eigenschaften zugeordnet, bloss weil sie einer bestimmten - z.B. ethnischen - Gruppe angehören. Linke Rassisten praktizieren das genauso wie rechte Rassisten.

Der Unterschied aber: Im rechten politischen Spektrum steht traditionell das Individuum im Vordergrund - auf der linken Seite hingegen die Gruppe. Man kann den Gegensatz von rechts und links auch so zusammenfassen: Marktwirtschaft versus Sozialismus - Individualismus versus Kollektivismus. Zwar findest man Nationalismus primär rechts - er ist aber nicht die dominierende Grundströmung im rechten Spektrum. Nicht zuletzt, weil Nationalismus und nationalistisch motivierter Rassismus tendenziell wirtschaftsfeindlich sind. Rechter Rassismus ist somit eher ein Randphänomen.

Um dennoch den Mythos des dominanten rechten Rassismus aufrechtzuerhalten, erfand die Linke den "strukturellen Rassismus". Mit Struktur lässt sich so ziemlich alles erklären - oder auch nicht. Hauptsächlich besagt er aber: Es gibt auch dann Rassismus, wenn die einzelnen Menschen gar nicht rassistisch sind.

Dieses Muster findet man in verwandter Form bereits beim jungen Marx in der Heiligen Familie: "Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäss zu tun gezwungen sein wird." Voilà! Struktur in Reinkultur, definiert vor fast 180 Jahren vom Übervater der heutigen Linken.

Typisch für linke Vorurteile - oder nennen wir es linken Rassismus - ist ein Statement von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth zur Affäre um die Aussage von Sascha Ruefer: "Wir dürfen von Menschen wie Granit Xhaka nicht verlangen, dass sie ihre Identität ablegen."

Wer Identität als etwas Individuelles anschaut - was sie letztlich auch ist - kann unmöglich einen solchen Satz formulieren. Es gibt dann nur die Identität von Granit Xhaka - und keine Identität von Menschen wie Granit Xhaka. Zwar kann ein Migrationshintergrund durchaus Teil der eigenen Identität sein - und wird es oft auch sein. Aber wie um alles in der Welt kommt Cédric Wermuth dazu, zu behaupten, dass dies der wesentliche und determinierende Kern der Identität des ihm persönlich wohl kaum näher bekannten Granit Xhaka sein soll? Hat er etwa mit ihm darüber gesprochen?

Granit Xhaka ist vieles: Mannschaftskapitän in der englischen Premier League und der schweizerischen Fussballnationalmannschaft, Multimillionär, Mann, Ehemann, Vater, Migrant in mehrfacher Hinsicht (warum soll die Herkunft der Eltern aus dem Kosovo prägender sein als die eigene Lebensgeschichte, die von fast kontinuierlicher Emigration geprägt ist?), Kind eines Vaters, der als politischer Gefangener im Gefängnis sass, usw.

Wenn jemand annähernd die Identität von Granit Xhaka teilt, dann wohl am ehesten ein anderer Spitzenfussballer, der ebenfalls im Zuge seiner Karriere von einem Klub zum anderen, von einem Land in ein anderes hetzt.

Bei einem Mann mit einer ausserordentlichen Begabung und einem absolut aussergewöhnlichen Lebenslauf wie Granit Xhaka kann man wohl mit Fug und Recht davon ausgehen, dass nichts so prägend für seine Identität ist, wie genau diese Konstellation.

Cédric Wermuth will uns aber sagen: Trotz den in jeder Hinsicht ausserordentlichen Lebensumständen, die Granit Xhaka nur mit sehr wenigen anderen Menschen teilt, sei der Migrationshintergrund, das Aufwachsen in einem Land, das nicht das Geburtsland seiner Eltern ist, bestimmend für die Identität von Granit Xhaka.

Gebürtige Schweizer haben also selbstverständlich eine individuelle Identität, während Immigranten (oder deren Nachkommen) primär eine kollektive Identität aufgrund ihrer geteilten Migrationserfahrung haben. Anstatt die Existenz einer Vielzahl von post-migratorischen Lebensrealitäten anzuerkennen, wird behauptet: Deine Identität ist anders, weil du einen Migrationshintergrund hast. Ist dies nicht genau ein Beispiel für dieses "Othering", welches die WOZ für rassistisch erklärt?

Natürlich versucht die Linke damit, einen neuen Klassengegensatz zu konstruieren: Der Migrant als neuer Proletarier. Immigranten starten tatsächlich oft - aber nicht immer, wie die Beispiele von Sanjeev Gupta und Alok Sharma zeigen - mit schlechteren Voraussetzungen. Aber gilt deswegen: Einmal benachteiligter Immigrant, immer benachteiligter Immigrant?

Wie es wirklich ist, interessiert überhaupt nicht. Was zählt, ist einzig die Herkunft: Granit Xhaka mag es in der Realität geschafft haben - für die Linke bleibt er dennoch zeitlebens der arme, diskriminierte Immigrant. Einfach, weil es die Ideologie so erfordert. Anstatt ihm eine eigene Lebensrealität, eine eigene Identität zuzubilligen, wird ihm diese aufgrund seiner Abstammung einfach zugewiesen. Und damit genau das getan, was man an anderer Stelle für rassistisch erklärt.

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Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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