Die Welt braucht mehr Gretas – finden die einen. Während die anderen das ganz anders sehen. Alexandra Gavilano gehört ganz klar zur ersten Sorte Mensch. Was die Referentin den Zuschauern am Networkingtag ans Herz legen wollte.
Sie sind Umweltaktivistin und Wissenschaftlerin. Wie ist es für Sie, mit Ihrer täglichen Arbeit gegen solch schier unlösbaren Probleme anzutreten? Ist man da auch irgendwann müde?
Es ist tatsächlich eine alltägliche Herausforderung. Aber seit meiner Teenagerzeit habe ich gemerkt, dass es für mich keine Alternative gibt, als mich voll und ganz dem Wandel zu Gunsten einer besseren Zukunft zu widmen. Deshalb habe ich Umweltwissenschaften studiert und wurde Aktivistin. Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte ich einen schwierigen Moment in meinem Leben erreicht, wo mich die globale Krise und die Inaktion der Politik und Gesellschaft fast gelähmt hat. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum die Menschen nichts machen wollen.
Welche Schlüsse haben Sie daraus gezogen?
Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass es unabdingbar ist, auch eine innerliche Transformation zu machen, um den Weg des Wandels begehen zu können. Die regenerative Kultur muss ein fester Bestandteil des neuen «Lebens» sein, um heute gegenwärtige Probleme wie beispielsweise Burn-Out, Egoismus und Apathie überwinden zu können. Mit diesen neuen Erkenntnissen habe ich gelernt, meinen Aktivismus, beziehungsweise mein Leben, welches ich ganz dem sozialen nachhaltigen Wandel hingebe, nachhaltiger zu gestalten.
Eigentlich wären die Probleme bekannt, doch mit der Umsetzung hapert es enorm. In Ihren Ausführungen am Networkingtag werden Sie aufzeigen, wie die Wege für einen sozialen Wandel aussehen könnten. Wo müsste man ansetzen, dass wir die Probleme in den Griff bekommen?
Durch die Erfahrungen in meinem Leben habe ich gelernt, dass wir drei Ebenen des Wandels angehen müssen. Dabei sind alle drei Ebenen gleich wichtig und fliessen ineinander. Die Überwindung innerer/eigener Gewohnheiten/Bequemlichkeiten: Skepsis, Widerstand, Bagatellisierung, Verdrängung – all diese Formen des Umgangs mit der Klima- und ökologischen Krise können wir auf Basis unseres psychologischen Wissens erklären. Wir haben alle unsere bevorzugten und bewährten Bewältigungs- bzw. Abwehrstrategien, die uns im Alltag auch helfen, nicht von schlechten Nachrichten und bedrohlichen Reizen überflutet zu werden und somit den Alltag bewältigen zu können. Wir sichern uns also eine gewisse «Stabilität». Die Klima- und ökologischen Krisen sind für die meisten Menschen zu komplex und somit nicht eine unmittelbare Gefahr. Dazu kommt ein weiteres Problem: Selbst, wenn die Warnungen vor der Klimakrise unsere bewusste Aufmerksamkeit erreichen, können wir unser damit einhergehendes Unwohlsein auf verschiedenste Art und Weise reduzieren, ohne auf die eigenen klimaschädlichen Annehmlichkeiten des Lebens verzichten zu müssen. Wir können uns zum Beispiel sagen, dass
• wir gar nicht zuständig sind, sondern andere handeln müssen (Verantwortungsdiffusion),
• die Klimakrise uns schon nicht so schlimm treffen wird (Bagatellisierung),
• es gar keine Krise gibt (Verleugnung),
• oder wir schieben den Gedanken einfach beiseite (Verdrängung).
Die Überwindung der kollektiven Verdrängung gehört ebenfalls dazu. Dass wir seit 50 Jahren vor den gegenwärtigen Umweltkrisen gewarnt werden, aber doch nichts, was weit genug geht, getan wird, ist schockierend. Und der letzte Punkt ist meiner Meinung nach, dass wir ein neues Verständnis des Menschsein brauchen. Dabei geht es darum, dass wir uns Menschen als nur eine Spezies auf diesem Planeten verstehen müssen, das aber im Gegensatz zu anderen Arten die Zerstörung der Balance der planetaren Systeme verursacht.
Worin liegen also die grössten Stolpersteine und Ursachen? Und was kann jeder Einzelne tun, damit wir einen Schritt in die richtige Richtung gehen?
Die Hauptschwierigkeit ist momentan, wie wir die Balance zwischen der Notwendigkeit, jetzt zu handeln, und den eigenen inneren Prozessen der Individuen und des Menschen als Kollektiv erhalten können. Es ist klar, dass es für kollektives und globales Handeln nur die Möglichkeit gibt, etwas zu ändern, wenn ALLE, auch die, die sich noch nicht 100 Prozent bereit fühlen, Druck auf die Politik ausüben. Die Frage ist nicht, WANN wollen wir netto null, sondern WIE können wir eine neue Balance zwischen den planetaren Systemen sicherstellen, damit ein menschliches und auch sonstiges Leben in Zukunft überhaupt noch möglich ist. Ganz konkret müssen wir also zu 100 Prozent aus fossilen Energien aussteigen, was auch für die Schweiz insbesondere in Bezug auf die Rollen der Banken und Multis wichtig ist, unseren Konsum der tierischen Produkten drastisch reduzieren sowie den Konsum grundlegend verändern – also weg von Plastik und Produkten aus Übersee.
Wir leben auf grossem Fuss. Wie gross ist Ihr Fussabdruck als Umweltaktivistin? Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Ich lebe am Murtensee, bin Vegetarierin, arbeite meistens im HomeOffice, produziere einen Grossteil meines Gemüses selber in Ecotopia, unserem ökologischen und sozialen Lerngarten gleich gegenüber von meinem Haus, ich kaufe nie neue Kleider, sondern aus der Brocki oder Tauschmarkt, ich habe einen 13-jährigen Hund, der tierische Abfallprodukte zusätzlich zu Reis und Gemüse erhält, ich besitze ein SHIFT Phone und arbeite mit dem Laptop von meiner Arbeit aus. Meine grössten Fussabdrücke sind ganz klar meine Besuche in der Vergangenheit und, wenn notwendig, auch in der Zukunft – nämlich die Flüge von der Schweiz nach Peru. Als Halbperuanerin bin ich mein ganzes Leben nie 100 Prozent zu Hause. Nicht, wenn ich in der Schweiz bin, und auch nicht, wenn ich in Peru bin. Ich habe meine Familie und meine 96-jährige Grossmutter das letzte Mal vor drei Jahren gesehen, als ich über Weihnachten und Neujahr für drei Wochen nach Callao gereist bin. Dabei bin ich vor Ort nirgends hingegangen, sondern war einfach Tag und Nacht mit Familie und Freunden zusammen. Auch wenn es mir schwer fällt, zu fliegen, gerade wegen des Klimas, glaube ich, dass niemand, der nicht in der gleichen Situation ist, nachvollziehen kann, wie schwierig es ist, sich für die Familie oder den Flugverzicht zu entscheiden. Gerade mit Corona war es sehr schlimm, via Social Media mit der Familie in Kontakt zu sein, während meine Verwandten und Nachbarn gestorben oder schwer erkrankt sind. Wann weiss nie, wann man sich zum letzten Mal sieht. Mein Fussabdruck ist vergleichsweise sehr tief, aber auch bei mir nicht null.
Vor der Pandemie wurde häufig über die protestierende Jugend berichtet, Greta hatte viele Schlagzeilen. Nun ist Corona das Dauerthema Nummer eins. Wie empfinden Sie das?
Als sehr schlimm, weil das Klimathema kaum medial abgedeckt wurde. Vor allem, weil auch in Zukunft noch mit weiteren Pandemien gerechnet werden muss. Ich habe gehofft, dass die Menschen durch diese kollektive Erfahrung den Mut haben, das Momentum zu nutzen und die Wiedereröffnung der Gesellschaft gleich für eine Umstellung hin zu einer nachhaltigeren und sozial gerechteren Welt zu nutzen – aber dies war leider nicht der Fall. Umso trauriger ist es, dass der Dialog sich nur wieder zwischen Verboten und Selbstverantwortung bewegt.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.