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Kritik an öffentlich-rechtlichen Sendern

Die Revolution von der Couch aus

Der gefährlichste Mann für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist gleichzeitig dessen grösster Fan. Jetzt nimmt Jimmy Gerum auch die SRG in den Fokus. Mit einer Bürgeraktion will er diese zwingen, sich zu reformieren. Sein Ziel: Objektivität.

Stefan Millius am 17. Mai 2022

«Die öffentlich-rechtlichen Sender in unserem Land sind ein Schatz.»

Was klingt wie das Lob eines bedingungslosen Fans von deutschen TV-Sendern wie ARD, ZDF oder MDR, lässt die Verantwortlichen dieser Anstalten innerlich zusammenzucken. Denn der Absender fügt einen entscheidenden Satz an: «Diesen Schatz wollen wir heben und wieder polieren.» Aus dem Lob wird damit eine ernsthafte Drohung.

Die Botschaft kommt vom deutschen Filmproduzenten Jimmy Gerum. Er war unter anderem beteiligt an Erfolgen wie «Der Totmacher» mit Götz George (1995) oder «Cascadeur – Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer» (1998). Seit sieben Jahren arbeitet der heute 58-Jährige allerdings nicht mehr fürs Kino. Er hat eine neue Mission: Die Reformation der TV-Landschaft in Deutschland. Dessen Sender sind laut Gerum mitverantwortlich dafür, dass wir «in einer desinformierten Welt» leben.

«Annäherung an die Objektivität»

Die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender ist unbestritten: Den Konsumenten die Welt unabhängig und objektiv zu erklären. Das sei heute nicht mehr der Fall, sagt Jimmy Gerum im Gespräch, und das habe er durch jahrelange Beobachtung und Recherche festgestellt. Das öffentliche TV werde von einem «transatlantischen Kartell» gesteuert und zeige die globalen Ereignisse nur aus westlicher Sicht. Weil Journalismus von Menschen gemacht werde, sei völlige Objektivität zwar nie möglich, sagt Gerum, «aber ich erwarte zumindest eine Annäherung.»

Erreichen will der frühere Filmemacher das mit seinem Projekt «Leuchtturm ARD». Die Idee hat er inzwischen auf den österreichischen ORF und die SRG ausgedehnt. Sein Ansatz unterscheidet sich allerdings von dem der «No Billag»-Initiative oder der aktuell geplanten Halbierungsinitiative in der Schweiz. Gerum will den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht an den Kragen, sondern spricht sich ganz explizit für ihren Erhalt aus: «Wir sind dankbar für den Rundfunk, wir brauchen eine neutrale Informationssäule, die wir selbst bezahlen.»

Ausgewogenheit für mündige Bürger

Diese erhalte man aber nicht mit einer Abschaffung oder Halbierung der Gebühren, sondern indem man die Sender reformiere. Kämen sie ihrer Aufgabe nach, werde das «transatlantische System» ganz von allein «zur Rechtfertigung gezwungen». Sein Projekt sei unpolitisch, es gehe ihm um den lebendigen Diskurs. «Wenn NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Friedensforscher Daniele Ganser am TV miteinander über die Zukunft der NATO diskutieren, stehen beide auf dem Prüfstand, der Zuschauer kann sich objektiv ein Bild machen und wird so mündig.»

Heute verhindere der Einfluss von Lobbygruppen, dass es zu einem solchen Austausch komme, und damit würden «die Narrative gesteuert». Staatsferne und Ausgewogenheit seien längst nicht mehr gegeben.

Um das zu ändern, braucht es laut Jimmy Gerum allerdings zunächst einen groben Keil, und der führt übers Geld. «Leuchtturm ARD» zeigt den Gebührenzahlern auf der Webseite, wie sie ihre Pflicht mit einem tiefen finanziellen Risiko verweigern können, wie sie richtig in ein Mahnverfahren einsteigen und dabei einen Gerichtsprozess verhindern. Zudem kann ein siebenseitiger Antrag auf Beitragsbefreiung abgeschickt werden, den Gerum ausgearbeitet hat. Gleichzeitig geht er auf juristischem Weg gegen die die Sender vor und stützt sich dabei auf das geltende Zensurverbot.

Man müsse «viele werden», sagt Jimmy Gerum, damit es klappe. Vor Gericht zu ziehen dauere Jahre, Demonstrationen seien wenig wirksam. Der nötige Druck entstehe erst durch die Sammlung einer Bewegung, die den Sendern die Mittel entziehe.

Auftragserfüllung zum Thema machen

Am 26. Januar 2022 hielt der Medienaktivist eine umjubelte Rede auf dem Königsplatz in München. Eingebettet war sie in eine Kundgebung gegen die Impfpflicht. Für Gerum ist diese ein Beispiel dafür, wie die Einflussnahme von aussen und Absprachen hinter den Kulissen dafür sorgen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einheitlich und staatsfreundlich über das Thema berichte und Gegenstimmen ausblende.

Demnächst soll auch «Leuchtturm SRG» aktiv werden. Die «No Billag»-Initiative habe er mit Interesse verfolgt, sagt Gerum. Aufgefallen ist ihm dabei die Darstellung der Gegner, man hätte bei einem Ja ein rein privates Mediensystem, und das sei eine Katastrophe. Für Gerum ein Ablenkungsmanöver: «Es wurde überhaupt nicht thematisiert, dass die SRG ihrem Auftrag nicht nachkommt.»

Auch ihm werde oft vorgeworfen, er wolle die öffentlich-rechtlichen Sender abschaffen, was er nie gesagt habe, im Gegenteil: «Die Bürger brauchen einen Ort der Orientierung und des Vertrauens, und den können diese Sender bilden.» Heute hätten sie aber die Deutungshoheit trotz Desinformation. Denn jeder schaue die «Tagesschau». Nun müsse man diese nur noch zwingen, objektiv zu berichten und den historischen Kontext zu Ereignissen aufzuzeigen.

Der Glaube an die Pressefreiheit

Bösen Willen attestiert Jimmy Gerum den Machern der TV-Sender, die er kritisiert, nicht. Er hält sie selbst für Opfer der Indoktrination, der man heute beispielsweise an vielen Universitäten ausgesetzt sei. Am «Tag der Pressefreiheit» nahmen er und zwei seiner Mitstreiter als Studiogäste bei einer Sendung des MDR teil und nutzten die Gelegenheit, dessen Programmdirektor Klaus Brinkbäumer vor laufender Kamera mit Fragen und Kritik zu konfrontieren. Dieser gab sich überaus verständnisvoll, betonte die Bedeutung einer ausgewogenen Berichterstattung und den Einbezug aller Meinungen. Gleichzeitig hielt Brinkbäumer aber auch unmissverständlich fest, das alles geschehe bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ja heute bereits.

Aus solchen Aussagen schöpft Jimmy Gerum seine Energie. Staunend stellt er fest: «Dieser Mann sagt: Wir leben in einer perfekten Welt, wir haben die Pressefreiheit, und er scheint es wirklich zu glauben.» Zu zeigen, dass Millionen von Gebührenzahlern das anders sehen und dies auch zu belegen, das sei nun die Aufgabe des «Leuchtturms» – von der ARD bis zur SRG.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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