Wir alle wissen, wie das so war mit Maria, Josef und Jesus. Beziehungsweise: Wie es offiziell war. In Tat und Wahrheit verlief das Ganze ein bisschen chaotischer, als uns die Bibel weismachen will. Und zwar so...
*Dieser Text stammt aus dem Buch «Die Highlights der Bibel» von Wolf Buchinger
Josef war stinksauer auf die Römer, die den Befehl zu einer Volkszählung für alle knallhart durchgesetzt hatten: «Mich interessiert diese unnötige Zahl einen Dreck, sollen sie doch selbst zählen kommen! Ausserdem ist meine Frau Maria hochschwanger und sie muss sich vierhundert Kilometer durch die Wüste quälen.»
Er schimpfte weiter auf die Ungerechtigkeiten der Besatzer, auf deren Bestechlichkeit und ihre Soldaten, die Karten spielen und saufen und nicht ihren Dienst verrichten. «Komm Josef, wir haben doch schon ein Viertel des Weges geschafft», versuchte Maria ihn zu trösten, doch Josef tobte so lange weiter, bis ihn die heisse Wüstenluft hinter den Atem brachte: «Drei Monate Strapazen für drei Minuten Bürokratie …» und trat vor Wut in den Sand.
Man muss ihn verstehen, denn er war in einer Holzbaufirma fest angestellt, hatte einen regelmässigen Lohn und musste nun unbezahlten Urlaub nehmen, was seinem Chef natürlich nicht gefiel. Weiss der Teufel, ob sein Arbeitsplatz nach sechs Monaten noch frei war. Die Chancen standen nicht schlecht, er war als Ausländer gut integriert, sprach fast fehlerfrei die einheimische Sprache und war in den letzten fünf Jahren nie krank gewesen.
Mit «nichts ist sicher auf dieser Welt» verstärkte er seinen Frust. Und da war noch die Unsicherheit mit Maria. Sie ist gut erzogen, was selten in diesen unruhigen Zeiten war und erlaubte nur dezente körperliche Berührungen vor der Hochzeit, die nun durch den Verdienstausfall in weite Ferne gerückt war.
Josef hatte von Frauen wenig Ahnung und war ziemlich überrascht, als sie ihm gestand, dass sie von ihm schwanger sei. Er grübelte lange, wann denn so etwas hätte passiert sein können, er erinnerte sich aber nur an die Geburtstagsfeier seines Bruders, wo sie ziemlich gebechert hatten, dabei muss es wohl geschehen sein.
Misslaunig stapften sie täglich bis zu vierzehn Stunden weiter durch die endlose Wüste, schliefen unter freiem Himmel, hatten keine Möglichkeit, sich zu waschen und ernährten sich nur von ein paar Datteln am Morgen und am Abend.
Entsprechend tief war Enttäuschung, als sie endlich in ihrem Heimatdorf Bethlehem ankamen. Josef kommentierte den ersten Eindruck in seiner Art: «Heruntergekommenes Kaff, noch schlimmer als damals, als ich weggegangen bin.» Am liebsten hätte er sich bei einem Römer darüber beschwert, doch die aktuellen Ereignisse lenkten seine Aktionen in eine total andere Richtung.
Kaum waren sie am Dorfbrunnen angekommen und hatten endlich frisches Wasser getrunken, zuckte Maria ein paar Mal zusammen, beugte sich jammernd nach vorne und stöhnte: «Mein lieber Mann, ich glaube unser Kind will raus!»
«Das muss warten! Wir haben noch keine Unterkunft!» - «Dann suche bitte eine, aber schnell, wenn’s geht!»
Josef speedete los, fragte überall hektisch nach, aber jedes Mal kam dieselbe Antwort: «Tut uns leid, wegen der Volkszählung ist alles besetzt.» Zum letzten Haus, ein paar Hundert Meter ausserhalb des Dorfes, rannte er so schnell er konnte und bettelte um ein Zimmer, egal wie klein: «Zu spät!» Jetzt konnte er seine Wut nicht mehr zurückhalten, er nahm den Besitzer am Kragen, drückte ihn an den Türrahmen und schrie mit der ganzen Kraft eines Zimmermannes:
«Sofort eine Unterkunft oder ich zerhacke dir dein ganzes Haus!»
Eingeschüchtert kam seine Frau aus der Küchenzeile und zeigte hinter ihn auf einen kleinen Stall. «Da wäre noch etwas frei, falls es Ihnen nichts ausmacht, mit den Schafen zu teilen!»
«Die heutige Hotellerie ist auch nicht mehr das, was sie mal war, ja, ich nehme die Hütte!»
Maria war ihm mühsam gefolgt und lächelte: «Immerhin ein Dach über dem Kopf.»
Josef werkelte mit all seinen Kräften, er sperrte die Schafe in das hintere Gatter, kehrte den verdreckten Stall so gut es ging, bastelte aus alten Brettern so etwas Ähnliches wie einen Bettverschlag, füllte ihn mit Heu für die Nacht und wollte gerade zum Brunnen gehen, als Maria stöhnte: «Es ist soweit!»
Ungeschickt folgte er ihren Anweisungen, mit zarten und beweglichen Dingen hatte er es nie zu tun gehabt, ein wenig ekelte er sich auch wegen dem Blut und den anderen Dingen. Er zog zu fest und das Baby brauchte keinen Klaps auf den Hintern, denn wegen diesem Schmerz schrie es von sich aus.
«Gott sei Dank! Ein Junge!» Er wusch ihn notdürftig im Wasserbottich für die Schafe und legte ihn der erschöpften, aber glücklichen Mutter in die Arme: «Hier ist unser Josef!»
«Jesus!»
«Knaben heissen immer wie der Vater!»
«Ein Engel hat befohlen, dass er ‚Jesus‘ heissen soll!»
«Es gibt keine Engel, das sagst du nur, um mal wieder Recht zu bekommen!»
«Die Engel kamen von Gott, er muss ‚Jesus‘ heissen, bitte!»
«Jesus ist ein doofer Name, so heisst man nicht!»
«Das wird sich bald ändern!»
«Mein Gott, bist du stur! Letzter Kompromiss: ‚Josef-Jesus‘!»
«Doppelnamen sind wegen der Volkszählung verboten!»
Die Diskussion wäre noch endlos weitergegangen, hätte es da nicht an die Stalltür geklopft.
Josef meinte: «Das ist der Vermieter, er will sein Geld, wie viele Tage soll ich buchen?»
Er machte die Tür auf und wurde mehrfach geblendet: Ein riesiger Stern stand am Himmel, und in dessen Gegenlicht sah er drei seltsame Gestalten, die ihn mit Laternen anleuchteten.
«Weg mit euch, wir geben nichts, wir haben selbst nicht genug!»
«Wir möchten dem neuen Herrn huldigen! Bitte lasst uns ihn anbeten!»
«Was sprecht ihr für eine seltsame Sprache? Und was spinnt ihr da zusammen? Bei uns seid ihr total falsch! Wenn ihr den Enkeltrick versuchen wollt, geht zum Besitzer gegenüber, der hat genug Geld, wir haben nichts! So und jetzt ab mit Euch!»
Doch die drei stellten ihre Füsse in die Tür: «Wir sind drei Könige und wollen euch Geld, Gold und Gewürze bringen, damit es dem Herrn gut geht.»
Josef war jetzt ziemlich verwirrt und mal wieder wütend, weil er seine Linie nicht hatte durchsetzen können, er war kurz davor, die drei zu verhauen, versuchte es aber lieber mit einer provozierenden Fangfrage, denn die Aussicht auf Geld machte ihn unsicher: «Seit wann können Neger König werden?»
Doch das Trio antwortete nicht, drängte in den Stall und wollte unter allen Umständen seine Geschenke übergeben. Entsetzt schlugen sie die Hände über den Köpfen zusammen: «Der neue Herr liegt in einer Krippe, aus der sonst die Schafe fressen, das darf doch nicht wahr sein! Hier ist genug Geld für ein Fünfsternehotel! Hier ist genug Gold für die Zukunft eures Sohnes! Und hier sind die teuersten Gewürze, nehmt sie und werdet glücklich mit ihm!»
Josef schritt jetzt zornig ein, denn sie hatten alles auf den zarten Neugeborenen gekippt: «Schluss jetzt, nehmt das Zeugs da weg, ihr erstickt ihn!»
Maria erkannte die Lage besser, hievte sich aus dem Bettgestell, bedankte sich artig und versteckte ihren neuen Reichtum unter dem Heu: «Danke euch! Jesus wird sich bei euch irgendwann revanchieren!»
Josef unwirsch: «Josef!»
Doch die drei Könige sangen laut gegen ihn an: «Wir loben den Herrn Jesus, Jesus Christus! Jesus sei unser Herr! Amen!»
In der Zwischenzeit hatte Maria schnell mal nachgezählt: «Es sind mindestens tausend Sesterzen, mehr als drei Kilo Gold und unendlich viel Weihrauch und Myrre. Wenn wir das verkaufen, sind wir reich!»
«Das ist super! Alles gehört unserem Sohn Jesus – ohne Josef, aber mein Familienname muss erhalten bleiben, er muss Jesus Mohamed heissen! Basta!»
Josef ahnte, dass er diesen Kampf verloren hatte, setzte sich zu Maria aufs Bett, streichelte sie liebevoll, nahm sich die Freiheit, sie ungefragt zu küssen und sagte voller Stolz: «Wer hätte gedacht, dass ich einen solch tollen Sohn zustande bringen würde …?»
Maria wollte ihn gerade berichtigen, sie kam aber nicht dazu, weil sich die Geburt im Dorf rumgesprochen hatte und Hunderte Menschen in Partystimmung vor der Hütte warteten, um ihre Geschenke zu überbringen und einen kurzen Blick auf Jesus zu werfen.
«Ihr müsst noch einen Moment warten! Hier drin ist es für ein Achtmonatskind viel zu kalt, wir machen schnell ein Feuer.»
Gegen den Schafsgestank warf Josef noch eine grosse Portion Weihrauch hinein. «So, jetzt könnt ihr in Dreiergruppen hereinkommen! Geschenke hier links ablegen, jeder hat höchstens eine Minute, um Jo … Jesus anzuschauen! Der Ausgang ist da hinten!»
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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