Daniel Wessner ist Leiter Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Thurgau und wird sich künftig als Gastautor zu Themen rund um wirtschaftliche Aspekte und den Arbeitsmarkt äussern. Den Auftakt macht er mit der Stellenmeldepflicht für Unternehmen. Er sieht diesbezüglich Reformbedarf.
Auch nach bald fünf Jahren ist vielen nicht klar, was die Stellenmeldepflicht - kurz SMP - eigentlich bedeutet. Die SMP wurde als Umsetzung der vom Volk angenommenen Masseneinwanderungsinitiative und nach langen politischen Diskussionen am 1. Juli 2018 eingeführt. Die Idee hinter der Bundesratsverordnung ist, das inländische Arbeitskräftepotential besser zu nutzen und damit verbunden die Zuwanderung zu bremsen. Dabei war es von Anbeginn fraglich, ob damit tatsächlich die Zuwanderung gesteuert werden kann. Wenn man das Aufwand zu Nutzen-Verhältnis nüchtern betrachtet, wird ersichtlich, dass trotz grossem Engagement der durchschlagende Erfolg ausgeblieben ist. In vielen Branchen erleben wir trotz Krisen einen Arbeits- und Fachkräftemangel und 2022 sahen wir ein Rekordjahr, was die Zuwanderung betrifft - nicht nur von Personen mit Schutzstatus S.
Hoher Aufwand
Die SMP verpflichtet Unternehmen, ihre offenen Stellen vor einer offiziellen Ausschreibung zuerst dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zu melden, sofern der betreffende Beruf gesamtschweizerisch eine Arbeitslosenquote von über fünf Prozent aufweist. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) erstellt jährlich eine verbindliche Liste der meldepflichtigen Berufe. Mit der exklusiven Meldung der Vakanz beim RAV erhalten die Stellensuchenden einen fünftägigen Informationsvorsprung. In dieser Zeit beliefert der RAV-Arbeitgeberservice die Firmen mit Dossiers von passenden Bewerberinnen und Bewerbern. Im vergangenen Jahr bearbeitete der Arbeitgeberservice der drei RAV-Zentren im Thurgau - nebst anderer Dienstleistungen - 23'193 Stellenmeldungen. Nicht ganz schlüssig beantwortet werden kann die Frage, wieviel erfolgreiche Vermittlungen von Stellensuchenden tatsächlich auf die SMP zurückzuführen sind.
Überholte Datengrundlage
In der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation ist es für den Arbeitgeberservice des RAV bei gewissen Berufen schwierig, relevante und passende Dossiers zusammenzustellen. Dennoch muss die Stellenmeldung bearbeitet werden. Daraus wird ersichtlich: Der Arbeitsmarkt entwickelt sich dynamischer als die Datengrundlage. Das führt dazu, dass gewisse Stellen gesamtschweizerisch meldepflichtig sind, obwohl in diesen Branchen inzwischen ein Mangel an Arbeitskräften herrscht. Zudem gab es im Thurgau – und auch in anderen Kantonen - meldepflichtige Berufe, die bei uns unter der Arbeitslosenquote von fünf Prozent lagen, die aber aufgrund des schweizerischen Durchschnitts auch bei uns meldepflichtig waren.
Reformbedarf offensichtlich
Damit die Akzeptanz der Stellenmeldepflicht nicht weiter leidet und die Kosten für Staat und Wirtschaft nicht weiter steigen, braucht es Reformen. Zu denken ist dabei an eine quartalsweise Aktualisierung der Datengrundlage oder die Erhöhung des Schwellenwertes von aktuell fünf Prozent. Eine Abschaffung der SMP und der damit verbundenen Bürokratie scheint nicht realistisch. Damit würde die von der Politik gewählte Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative unterlaufen.
Positive Aspekte
Bei aller Kritik ist aber auch festzuhalten, dass es durchaus positive Erfahrungen gibt mit der SMP. Einerseits ist der Arbeitsmarkt deutlich transparenter geworden, andererseits verbesserte sich die Zusammenarbeit zwischen den RAV und den Unternehmen spürbar. Die Dienstleistungen unseres Arbeitgeberservice und die sorgfältige Zusammenstellung der Bewerbungs-Dossiers werden ausserordentlich geschätzt. Wie die SECO-Zahlen belegen, nutzen mittlerweile sehr viele Unternehmen die kostenfreie Stellenvermittlung auch bei nicht meldepflichtigen Stellen. Das sind im Thurgau immerhin mehr als 15 Prozent aller gemeldeten Stellen.
Daniel Wessner ist lic. iur. HSG und Rechtsanwalt. Er leitet seit 2016 das Thurgauer Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) mit rund 200 Mitarbeitenden als kundenorientiertes Dienstleistungszentrum für die Wirtschaft, die Unternehmen und die Stellensuchenden. Er engagiert sich im Vorstand der Schweizerischen Arbeitsmarktbehören VSAA, in der Eidgenössischen Arbeitskommission EAK sowie in zahlreichen weiteren nationalen, kantonalen und grenzüberschreitenden Gremien. Vor seiner Tätigkeit im Kanton Thurgau war er in leitenden Funktionen in der Finanzbranche und in der Unternehmensberatung in Zürich tätig.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.