Angeblich spielt sie im neuen Bond-Film eine weibliche 007: Lashana Lynch. (Bild: Vianney Le Caer/Invision/AP)
Bonprix, Nivea – und nun auch noch der neue James Bond Film: Der Synchronsprecherin Flavia Vinzens ist mit ihrem neuen Engagement ein grosser Coup gelungen. Wie es die Ostschweizerin mit viel Disziplin bis ganz nach oben geschafft hat verrät sie im Interview.
Flavia Vinzens, Ihre Stimme kennen viele, Ihr Gesicht ist hingegen - logischerweise - eher unbekannt. Würden Sie sich manchmal wünschen, es wäre umgekehrt?
Nein, eine Karriere vor der Kamera hat mich nicht gereizt. Ich wollte eigentlich immer zum Theater. Aber dann habe ich das Sprechen entdeckt.
Sie haben bereits für Nivea, Bonprix und viele weitere bekannte Marken, Namen, Hör- und Computerspiele gesprochen. Was war Ihr persönliches Highlight?
Da gibt es ein paar. Die Markenstimme von Bonprix zu werden, war ein Highlight, weil es mein erster richtiger Job am Mikrofon war. Als damals noch komplett unerfahrene Sprecherin habe ich mich sehr geehrt gefühlt, dass mir diese Aufgabe zugetraut wurde. Ein weiteres Highlight ist das Videospiel Cyberpunk 2077, das dieser Tage erscheint und in dem ich die weibliche Hauptrolle sprechen darf. Ich habe zwar schon einige Videospiele besprochen, aber das hat alles übertroffen, was den Umfang und den Hype betrifft.
Und nun wartet ein ganz besonderer Moment.
Genau. Der neue «James Bond»-Film, der eigentlich ja noch dieses Jahr in die Kinos kommen sollte und in dem ich die Schauspielerin Lashana Lynch synchronisiere.
Wie ist es dazu gekommen?
Obwohl ich die Schauspielerin schon früher gesprochen habe, wurde ich erst einmal gecastet. Manchmal darf man sich die Filme vorher anschauen, das war dieses Mal aber nicht der Fall.
Wie geht es nun weiter? Sehen Sie die Schauspieler auch persönlich?
Wir erarbeiten als erstes im Studio, zusammen mit dem Regisseur, die Rolle. Man verbringt seine Zeit in luft- und lichtdichten Räumen. Mit den Schauspielern haben wir aber keinen Kontakt.
Wie sind Sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?
Ich habe Schauspiel studiert und dachte eigentlich immer, dass ich am Theater landen werde. Nachdem ich aber einen Sprecherworkshop besucht habe, habe ich sofort gemerkt, wie viel Freude mir diese Arbeit macht.
Sie sind in St.Gallen aufgewachsen, wohnen aber mittlerweile in Berlin. Hätten Sie in der Schweiz nicht dieselben beruflichen Möglichkeiten gehabt?
Der Beruf des Sprechers ist sehr vielfältig. Man hat grundsätzlich auch in der Schweiz gewisse Möglichkeiten. Da ich aber hauptsächlich Synchronsprechen will, wäre es für mich nicht möglich, in der Schweiz zu leben. Diese Aufträge werden alle hier in Deutschland und hauptsächlich in Berlin angeboten.
Wie schwierig war es für Sie, Ihren Dialekt abzulegen? Die Deutschen belächeln uns ja häufig deswegen…
Tatsächlich war das gar nicht so schwierig für mich. Natürlich musste ich dafür arbeiten – aber das mussten meine deutschen Mitschüler in der Schauspielschule auch, um ihren Dialekt loszuwerden. Sprech- und Spracherziehung ist ein Unterrichtsfach. Nach fast vier Jahren Arbeit mit Logopäden und Spracherziehern bekommt man auch das hin. Bis jetzt habe ich noch keinen Deutschen gefunden, der den Schweizer Dialekt nicht sympathisch findet. Es gibt also keinen Grund, sich zu genieren.
Ist es jetzt also eher umgekehrt, dass Sie in St.Gallen für Ihren «deutschen» Dialekt auffallen?
Nein, nein (lacht). Das Schweizerdeutsch werde ich nie verlernen.
Viele träumen zwar von einer solchen Karriere, nur die wenigsten schaffen es jedoch. Was haben Sie also besser gemacht als die anderen?
Man braucht einen langen Atem; eine Sprecherkarriere erarbeitet man sich nicht über Nacht. Man nimmt Sprechproben auf, telefoniert regelmässig Studios ab, geht zu Castings, bewirbt sich bei Agenturen und baut sich ein Netzwerk auf. Das ist viel Arbeit und wird oft unterschätzt. Zudem gilt: ohne Schauspielausbildung kein Synchron. Natürlich gehört auch immer etwas Glück dazu. Aber die richtige Arbeitsmoral, Durchhaltevermögen und viel Geduld sind unerlässlich.
Wie gehen Sie mit den Herausforderungen des Berufes um? Also beispielsweise, dass Sie eben nicht genau wissen, wann welches Angebot reinkommt?
Wer eine Schauspielausbildung beginnt, weiss, dass dies mit einem unsteten und auch finanziell unsicheren Leben verbunden ist. Das ist nicht jedermanns Sache. Man entwickelt aber eine Haltung dazu, auch wenn es nicht immer einfach ist. In vielen kreativen Berufen ist es schwierig, gerade in der Anfangszeit, regelmässig etwas auf die Seite zu legen. Gleichzeitig ist das aber total wichtig. Ich muss das auch noch lernen.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?
Den gibt es nicht – meine Tage sehen immer anders aus. Über meine Agentur bin ich bis 18 Uhr für den nächsten Tag buchbar. Da ist es auch schwierig, ein Privatleben zu planen. Selbstständig zu sein, hört sich im ersten Moment nach grosser Freiheit an. Aber die wenigsten können tatsächlich frei über ihren Alltag bestimmen. Ausserdem trau ich mich oft nicht, Ferien zu planen, weil ich Angst habe, mir könnte ein wichtiges Casting entgehen. Was ich über den Alltag eines Sprechers sagen kann, ist, dass man viel am Telefon ist, oft im Auto oder in der Bahn sitzt und von Studio zu Studio fährt. Besonders in einer grossen Stadt wie Berlin ist auch das sehr anstrengend.
Wie trifft Sie die derzeitige Krise?
Alle Studios waren für etwa sechs Wochen geschlossen. Das ist natürlich hart. Mittlerweile geht es langsam weiter, aber wirklich nur sehr langsam. Weshalb das dauert, weiss ich nicht, aber ich arbeite momentan sehr viel weniger als noch vor Corona. Ausserdem gehen viele davon aus, dass die grosse Flaute erst noch kommt, weil auch nichts gedreht wurde und somit jetzt auch kein neues Material reinkommt. Zudem wird auch weniger für Werbung ausgegeben.
Könnten Sie sich vorstellen, wieder in der Schweiz zu leben?
Momentan nicht, nein. Als Synchronsprecherin könnte ich nicht in der Schweiz leben. Ausserdem lebe ich seit bald neun Jahren in Deutschland – zuerst in Hamburg, wo ich meine Schauspielausbildung gemacht habe, und jetzt seit über drei Jahren in Berlin. Ich habe mir hier ein neues Zuhause geschaffen, bin aber auch immer wieder gerne in St.Gallen bei meinen Eltern.
Sind Sie auch auf den roten Teppichen anzutreffen?
Man trifft ab und zu bekannte deutsche Schauspieler in den Studios oder wird manchmal zu den Premieren eingeladen. Ich persönlich war aber noch nie auf einer und deshalb auch nicht auf dem roten Teppich. Die Arbeit ist am Ende des Tages eher unglamourös – aber sie macht viel Spass.
Gibt es ein bestimmtes Projekt, das Sie unbedingt erreichen wollen?
In den grossen Blockbuster-Produktionen mitzusprechen macht natürlich immer Spass – besonders, wenn man dann auch zu den Premieren darf. Eine feste Hollywood Schauspielerin zu haben, die regelmässig dreht, ist wahrscheinlich das Hauptziel jeder Synchronsprecherin. Und dann gibt es einige Regisseure, mit denen ich gerne arbeiten würde. Ausserdem kann ich mir gut vorstellen, selber einmal Regie zu führen.
Angeblich spielt sie im neuen Bond-Film eine weibliche 007: Lashana Lynch. (Bild: Vianney Le Caer/Invision/AP)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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