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Gastkommentar

Die unersättliche Gier der NGOs

Nichtregierungsorganisationen wissen, wie man Medien erfolgreich vor den Karren spannt – und diese spielen das Spiel nur zu gerne mit. Jüngstes Beispiel: Eine öffentlichkeitswirksam vorgetragene Zivilklage gegen den Zementkonzern Holcim vor dem Zuger Kantonsgericht.

Thomas Baumann am 08. Februar 2023

Der gesamte Blätterwald von 20 Minuten bis NZZ berichtete letzte Woche über diese Zivilklage – die Tamedia-Titel gar zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Monaten. Selbst im Teletext, man würde es nicht für möglich halten, erschien ein Bericht dazu.

Darum geht es: Vier Bewohner der Insel Pari in Indonesien fordern von Holcim Schadenersatz, weil die Insel infolge der Klimaerwärmung immer öfter und stärker überschwemmt werde. Da bei der Zementproduktion grosse Mengen an CO₂ ausgestossen werden, trage Holcim eine Mitschuld daran. Dabei fordern sie im Durchschnitt – auf den ersten Blick bescheiden anmutende – 3600 Franken Entschädigung pro Kläger.

Pari – das tönt nach weit entfernter Südsee und unschuldigen Menschen. Der Eindruck täuscht: Die Insel Pari liegt nur eine Stunde mit dem Schnellboot von der indonesischen Hauptstadt Jakarta entfernt – einem Moloch von einer Stadt, deren Metropolregion 35 Millionen Einwohner zählt.

Dennoch schreibt die deutsche Nichtregierungsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights), die den Prozess zusammen mit dem schweizerischen Hilfswerk HEKS – das im Rahmen anderer Projekte auch für den Bund tätig ist - und der indonesischen NGO Walhi vorantreibt: «Die Bewohner_innen von Pari haben fast nichts zum Klimawandel beigetragen, im Gegenteil, sie arbeiten traditionell als Fischer___innen, betreiben ökologischen Tourismus und arbeiten aktiv für den Schutz von Korallen und Mangroven.» Passend dazu verbreiten die hiesigen Medien pflichtschuldig Fotos der Inselbewohner beim Pflanzen von Mangroven, die ihnen von den NGOs zur Verfügung gestellt wurden.

Der Genderstern übrigens (beziehungsweise das, wofür er steht), ist im muslimischen Indonesien nicht gerade wohlgelitten. Bewohner_innen und Fischer___innen gibt es dort offiziell nicht, sondern nur Bewohnerinnen und Bewohner, Fischer und Fischerinnen. Die Frage sei erlaubt: es nicht ein Akt kulturellen Imperialismus, diese Konzepte ungefragt auch dem globalen Süden aufzudrängen?

Selbst ECCHR muss aber zugestehen: «Pari ist normalerweise ein beliebtes Ausflugsziel für Gäste aus der indonesischen Hauptstadt Jakarta.» Davon zeugen auch 358 Fotos auf Tripadvisor, die vor allem die Jeunesse dorée aus Jakarta beim vergnüglichen Sozialisieren zeigen. Und diese, soviel ist klar, gelangte weder schwimmend noch mit einem Ruderboot, sondern vielmehr mit dem Schnellboot auf die Insel. Wenn es um die eigene Geldbörse geht, werden ökologische Aspekte eben auch auf Pari plötzlich zweitrangig.

HEKS wiederum schreibt schon fast betrübend naiv: «Wegen des steigenden Meeresspiegels [nehmen] Überflutungen zu und beschädigen Häuser, Strassen und Geschäfte.» Strassen? Strassen sind bekanntlich asphaltiert – selbst auf Pari.

Und da wäre auch bereits des Pudels Kern: Zement. Schaut man sich die Fotos von Pari an, sieht man überall Beton: Gebäude, Strassen, Hafenaufbauten.

Tatsächlich ist Indonesien der fünftgrösste Zementproduzent der Welt. Die Rolle von Holcim dabei? Keine, der Konzern verabschiedete sich bereit 2018 aus Indonesien. Ganz anders die deutsche HeidelbergCement, die Nummer zwei hinter Lafarge-Holcim weltweit: ihr gehört der zweitgrösste indonesische Zement-Hersteller PT Indocement Tunggal Prakarsa.

Stellt sich die Frage: Warum verklagt eine NGO mit Sitz in Deutschland ausgerechnet einen schweizerischen Zementproduzenten – und nicht einen aus Deutschland?

Bei der indonesischen Organisation NGO Walhi ist die Gemengelage ähnlich: NGOs in Indonesien leben gefährlich. 2004 wurde der bekannte indonesische Menschenrechtsaktivisten Munir Said Thalib auf einem Linienflug von Indonesien nach Amsterdam vergiftet und starb an Bord. Würde Walhi einheimische Zementhersteller ins Visier nehmen, könnte es schnell ebenfalls ernsthaftere Probleme geben. Aber die einheimische Industrie und die indonesische Regierung haben natürlich nichts dagegen, wenn eine indonesische NGO einen ausländischen Konkurrenten verklagt.

Wie erklärt sich die geforderte Entschädigung von durchschnittlich rund 3600 Franken pro Person? Dazu schreibt HEKS: «Es ist wichtig zu betonen, dass die Kläger:innen nur 0,42 Prozen der tatsächlichen Kosten für die Schäden und die Anpassungsmassnahmen fordern, da Holcim gemäss einer Studie des Climate Accountability Instituts für 0,42 Prozent aller industriellen CO₂-Emissionen seit 1950 verantwortlich ist.» Mit anderen Worten: Die Klage gegen Holcim ist nur der Anfang. Insgesamt macht jeder der Kläger effektiv einen Schaden von rund 850‘000 Franken geltend, wovon die von Holcim geforderten 3600 Franken eben genau jenen 0,42 Prozent entsprechen. Und dies betrifft den industriellen CO₂-Ausstoss alleine - der CO₂-Ausstoss von privaten Haushalten ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. 850‘000 Franken in Indonesien entsprechen in Kaufkraftparitäten rund 5 bis 10 Millionen Franken in der Schweiz. Ein Indonesier mit einem Durchschnittslohn müsste mehr als hundert Jahre arbeiten, um auf einen kumulierten Verdienst von 850‘000 Franken kommen. Dies zeigt: Entweder sind die Kläger reicher als die meisten Schweizer – oder die Forderungen sind schlichtweg komplett überrissen. Selbst für die «psychische Belastung» wird noch eine Entschädigung gefordert.

All dies passt ins gesamte fragwürdige Erscheinungsbild der Kampagne. So beschreibt HEKS die Kläger als «vier Fischer:innen»: Tatsächlich leben aber drei davon hauptsächlich vom Tourismusgeschäft, zwei betreiben gar eine eigene touristische Unterkunft. Auf der Webseite (https://callforclimatejustice.org), die die drei NGOs zusammen betreiben, ist meist von 1500 Einwohnern, dann aber auch mal von 15‘000 Einwohnern die Rede. Und selbst der Name des indonesischen Partners der Kampagne wird schon mal falsch als «WAHLI» geschrieben.

HEKS schreibt nicht nur von «Strassen». Auch die Fotos von drei der vier Kläger zeigen explizit, dass diese in einem mit Zement gebauten Haus wohnen – nur einer der Kläger bewohnt überhaupt ein traditionell mit Palmwedeln gedecktes Haus. Diese klar ersichtlichen Ungereimtheiten stören die involvierten NGOs aber offenbar überhaupt nicht.

Ebenso wenig, dass hier ganz offensichtlich Wasser gepredigt und Wein getrunken wird: Kläger, die einen Zementkonzern verklagen, aber ihre Häuser mehrheitlich selbst mit Zement bauen - und diese obendrein zum Zwecke eines nicht in jeder Beziehung ökologisch nachhaltigen Tourismus nutzen. Von der astronomischen (Gesamt-)Forderung von fast einer Million Franken pro Kläger - im Entwicklungsland Indonesien! - schon ganz zu schweigen.

Fragen muss sich insbesondere das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz stellen lassen: Es kooperiert in dieser Angelegenheit mit einer in Deutschland domizilierten und einer indonesischen NGO. Zieht man also gegen einen indonesischen Zementkonzern vor Gericht - oder einen deutschen (der selber auch in Indonesien tätig ist)? Nein, vor Gericht gezerrt wird selbstverständlich eine schweizerische Firma.

Viele Nichtregierungsorganisationen, dies soll hier ganz klar festgehalten werden, setzen sich mit viel Engagement und persönlichem Einsatz für unterstützenswerte Ziele ein.

Umso mehr sollte man von einem grossen, professionellen Hilfswerk auch ein gewisses realpolitisches Verständnis erwarten dürfen. Die deutsche und die indonesische NGO machen es vor: Sie verklagen in dieser Angelegenheit keine Firma aus ihrem Heimatland. Das HEKS hingegen ergreift frohgemut juristische Schritte gegen eine einheimische Firma - ganz so, als würde das eigene Spendengeld als göttliches Geschenk vom Himmel regnen und nicht grossmehrheitlich aus der Schweiz stammen.

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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