Tagesanzeiger-Redaktor Philipp Loser möchte das Thema Zuwanderung, das derzeit medial sehr präsent ist, am liebsten zum Ana-Thema erklären.
Sein Argument: Wenn negative Entwicklungen angeblich die Folge der Zuwanderung sind, dann sollte man diese Probleme spezifisch angehen, anstatt einfach die Zuwanderung zu beschränken. Auf den ersten Blick ein bestechendes Argument. Schliesslich gibt es nur selten Lösungen, die generell gültig sind - der Teufel liegt bekanntlich im Detail und daher sind spezifische Lösungen oft besser.
Oder wie es der TA-Redaktor in diesem Fall formuliert: "Am besten: nahe an der Realität bleiben. Es gibt Probleme im Wohnungsmarkt? Dann versuchen wir, die zu lösen. Es gibt Probleme bei der Energieversorgung, bei der Infrastruktur, im Nahverkehr? Dito! Niemand in der Schweiz behauptet, es gebe keine Schwierigkeiten bei der Zuwanderung. Ein Land verändert sich, die Lebensrealitäten verändern sich. Und darauf muss man Antworten finden."
Von Immanuel Kant stammt der Kategorische Imperativ: "Handle so, dass die Maxime deines Handelns zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte." Oder in diesem Fall - auf das Denken anstatt das Handeln angewendet: Denke so, dass die Maxime deines Gedankens zugleich allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnte.
Machen wir die Probe auf's Exempel und testen die Gültigkeit der Aussage von Philipp Loser, indem wir Zuwanderung einmal durch Zunahme des motorisierten Individualverkehrs ersetzen.
Würde der linksgrün-urbane TA-Redaktor eine Zunahme des motorisierten Individualverkehrs wohl ebenso fatalistisch mit einem lapidaren "Ein Land verändert sich, die Lebensrealitäten verändern sich" hinnehmen? Kaum!
Autofahren hat zweifelsohne auch negative Auswirkungen, wie selbst seine überzeugtesten Befürworter zugeben würden: Verstopfte Strassen, stärkere Luftverschmutzung, mehr Unfälle, mehr getötete Velofahrer, Abhängigkeit von importierten Treibstoffen, usw.
Gemäss der Logik der Aussage von Philipp Loser wären diese ungefähr so zu bekämpfen:
Es gibt Probleme bei der Kapazität der Strassen? Lösen wir diese, indem wir mehr Kapazität schaffen! Es gibt mehr Unfallopfer? Verbessern wir das Rettungswesen! Mehr überfahrene Velofahrer? Man erleichtere Velofahrern den Kauf eines eigenen Autos! Die Abhängigkeit von importierten Treibstoffen steigt? Vergrössern wir die Pflichtlager! Der Ausstoss von Schadstoffpartikeln an dicht befahrenen Strassen steigt? Man verteile zu Stosszeiten partikelfiltrierende Masken an die Anwohner!
Nein, natürlich wäre ein linksurbaner Journalist nicht dafür, die Folgen einer Zunahme des motorisierten Individualverkehrs genau so, "nahe an der Realität", zu bekämpfen. Viel eher würde er ein solches Vorgehen als Symptombekämpfung schmähen. Aber bei der Zuwanderung soll plötzlich gelten, was beim motorisierten Individualverkehr gänzlich undenkbar ist?
Dass das Argument von Philipp Loser nichts taugt, erkannt man daran, dass es - immer aus seiner Weltsicht - umgehend versagt, sobald man versucht, es auf eine andere Fragestellung anzuwenden.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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