Marco Chiesa ist der neue Präsident der SVP Schweiz. Im Gespräch mit dem Rheintaler Nationalrat Roland Rino Büchel über die Wahl, aber auch über die Aufhebung der Immunität von Bundesanwalt Michael Lauber, über die FIFA - und die Plexiglaswände im Parlamentsgebäude.
Roland Rino Büchel, ist Marco Chiesa geeignet, die SVP in die Zukunft zu führen?
Ja. Zudem ist der neue Präsident ja nicht allein. Er kann auf eine achtköpfige Parteileitung zählen, darunter drei Vizepräsidenten. Das sind Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, Nationalrätin Céline Amaudruz und Nationalrat Franz Grüter.
Der Präsident der Zürcher SVP sagt im SonntagsBlick, dass seine Sektion «rasch bereitstünde, wieder eine Kandidatur für das SVP-Präsidium zu präsentieren, falls die aktuelle Lösung nicht funktionieren» sollte.
Die Lösung wird funktionieren. Eine solche Aussage macht mich hässig.
Weshalb?
Warum gab es keine Kampfwahl, warum gab es keinen Gegner für Chiesa? Weil die Zürcher ihren offiziellen Kandidaten Alfred Heer, der sich nie zurückgezogen hatte, den Delegierten nicht zur Wahl vorschlugen! Heer ist ein sehr guter Mann. Trotzdem bin ich überzeugt: Chiesa hätte sich gegen ihn durchgesetzt. Damit wäre sein Einstieg ins Amt besser abgestützt gewesen.
Zwei Kandidaten, wovon von einem nicht einmal klar ist, ob er wirklich gewollt wird. Ist das die Demokratie, welche die SVP so gerne propagiert?
Sie zielen mit Ihrer Kritik auf die falsche Partei: Die Grünen haben Balthasar Glättli konkurrenzlos auf den Schild gehoben; die SP wird das gleiche mit ihrem Präsidentenduo Wermuth/Mayer tun. Die SVP-Findungskommission hingegen hatte mit 22 Kandidaten Kontakt aufgenommen, neun davon wurden eingehend angehört und geprüft.
Sie selbst gehörten offenbar zu diesen neun Leuten.
Nein. Auch wenn Journalisten Ähnliches vermuteten und berichteten; es stimmt nicht. Richtig ist, dass der Chef der Findungskommission, der ehemalige SVP-Fraktionschef im Bundeshaus Caspar Baader, Kontakt mit mir aufgenommen hatte. Wir hatten dann einen guten Austausch.
In der Öffentlichkeit waren sie schnell zum Favoriten gemacht worden. Warum gehörten sie nicht zu jenen, welche vor die Gesamtkommission traten?
Ganz einfach: Ich hatte vor Jahren Netzhautablösungen an beiden Augen. Darauf folgten immer wieder Operationen, um die Sehkraft einigermassen zu erhalten. Das ist bei einem Auge gut gelungen, mit dem anderen sehe ich fast nichts mehr.
Behindert Sie das in der Ausführung des Nationalratsamtes?
Nein. Aber nach eingehenden Abklärungen mit verschiedenen Ärzten kam ich zum Schluss, dass das Präsidium mit seiner ganzen Intensität für meine Augen zu «heiss» gewesen wäre. Ich zog es vor, dies bekannt zu machen, sobald es klar war. Logisch hätte ich noch ein wenig «wichtig tun» und mit einer Kandidatur kokettieren können. Doch das ist nicht meine Art.
Chiesa sagte den Tessiner Medien, dass er zusätzlich gerne noch eine Frau «aus einer ländlichen Region» im Präsidium hätte.
Drei Frauen und ein Mann als Vizepräsidenten, warum nicht? Da aktuell nur drei Vizes vorgesehen sind, hätte es dafür wohl eine Statutenänderung gebraucht. Diese wurde, zumindest im Parteivorstand und an der DV, nicht beantragt.
Werden die drei gewichtigen Vizepräsidenten mit einem politisch eher wenig renommierten Präsidenten künftig noch wichtiger?
Der angeblich wenig Renommierte hat es im Tessin geschafft, das politische Schwergewicht Filippo Lombardi aus dem Ständerat zu drängen. Dort wird Chiesa schon seit Längerem nicht mehr unterschätzt. Zur Aufteilung der Arbeit: Es ist anzunehmen, dass die Führungslast künftig ausgewogener auf mehrere Schultern verteilt wird. Céline Amaudruz aus Genf verkörpert das Urbane; die beiden Top-Unternehmer Franz Grüter und Magdalena Martullo-Blocher wissen nicht nur in der Wirtschaft, wie der Hase läuft.
Mit wem wollte Chiesa dieses Trio ergänzen? Mit Esther Friedli, Toni Brunners Lebenspartnerin?
Oder dachte er an Sandra Sollberger aus dem Basellandschaftlichen, Monika Rüegger aus Engelberg oder an die Thurgauer Unternehmerin Diana Gutjahr? Auch diese drei Frauen haben sich im Nationalrat dank seriöser Arbeit in kurzer Zeit einen Namen gemacht. Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe weiterer starker Frauen aus der SVP nennen, auch Regierungsrätinnen oder Richterinnen in obersten Gremien.
Ausser der jungen Aargauerin Martina Bircher war aber keine SVP-Frau ernsthaft im Gespräch als Präsidentin. Konkret waren neben Marco Chiesa mit Alfred Heer und Andreas Glarner zuletzt nur noch zwei Männer im Rennen.
Das ist so. Ich habe dazu eine interessante Mitteilung von einer Bürgerin erhalten, die sich für die Astrologie interessiert.
Astrologie in der SVP?
Marco Chiesa hat am 10. Oktober Geburtstag. Christoph Blocher am 11. Oktober. Und am 12. Oktober Alfred Heer. Einen Tag vor Marco Chiesa, also am 9. Oktober feiert Andreas Glarner sein Wiegenfest und noch einen Tag früher, am 8. Oktober, Roland Rino Büchel.
Das wäre dann fast schon die Wandergruppe, welche der Herisauer Nationalrat David Zuberbühler vor zweieinhalb Wochen auf den Aescher bei der Ebenalp geführt hat (wir haben berichtet). Wer im Sternzeichen der Waage geboren ist, scheint in der SVP vorwärts zu kommen.
Die Waage Christoph Blocher hat das Gleichgewicht im Engadin verloren und sich seine sichtbaren Sturzverletzungen dort zugezogen. Er war im Alpstein nicht mit dabei. Dafür seine Tochter Magdalena Martullo.
Lassen Sie mich raten: Sie hat auch im Oktober Geburtstag…
Sie hatte ihren Geburtstag im August. Als Sponsoringverantwortlicher beim damaligen Hauptsponsor der Schweizer Skinationalmannschaft (Anmerkung der Redaktion: Käseunion mit den Marken Emmentaler/Gruyère/Sbrinz) konnte ich schon in den Neunzigerjahren sehen, wie sie arbeitet. Magdalena war in jener Zeit für das Marketing von Rivella zuständig. Schon damals war klar, dass die durchsetzungsstarke Frau «einen auf dem Kasten» hat.
Wechseln wir zum aktuellen Politgeschehen in Bundesbern. Ist der Parlamentsbetrieb schon wieder «richtig» angelaufen?
Ja, seit zwei Wochen sind die verschiedenen Kommissionen wieder an der Arbeit. Heute Montag tagen zum Beispiel «meine» Aussenpolitische Kommission und die «Immunitätskommission» des Nationalrats. In den Kommissionszimmern im Bundeshaus sieht es aus wie an einer Vernissage eines modernen Plexiglas-Artisten, im Nationalratssaal bald auch.
Plexiglas ist transparent. Transparenz ist ein gutes Stichwort. Geht es in der Immunitätskommission um die Aufhebung der Immunität von Bundesanwalt Michael Lauber und um FIFA-Präsident Gianni Infantino?
Ich war lange Mitglied der Kommission und in den beiden Vorjahren deren Vizepräsident. Hätte ich den Posten nicht einem Kollegen überlassen, so wäre ich dort jetzt Präsident und müsste sagen: No Comment!
Weil das nicht der Fall ist, wagen Sie also einen Tipp?
Ich gehe davon aus, dass der Entscheid der zuständigen Kommission des Ständerats bestätigt und damit die Immunität von Lauber aufgehoben wird. Etwas ist mir jedoch schleierhaft: Warum wird der «Fall Lauber» in den Medien immer wieder zu einem «Fall Infantino» gemacht?
Es gab Strafanzeigen gegen Lauber und Infantino. Darum erscheint mir dies logisch. Ihnen nicht?
Dann klären wir doch einmal auf, wer im Mai die anonymen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Bern Mittelland eingereicht hat. Ich liege wohl nicht daneben, wenn ich sage: Es handelt sich einerseits um einen erfolglosen Spieleragenten und höchst unanständigen Anwalt, anderseits um einen guten Bekannten vom Infantino-Hasser und selbst ernannten Schweizer Obersaubermann Mark Pieth.
Nach britischen Zeitungen hat an diesem Wochenende auch die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Schweiz, zumindest indirekt, als «Bananenrepublik» bezeichnet.
Sie liegen nicht daneben. Den Begriff hatte ich in einem «Tagblatt»-Interview bereits vor mehr als einem Jahr verwendet. Wortwörtlich stand dort zu lesen: «Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, dass wir wieder wie eine Bananenrepublik dastehen wie bei früheren FIFA-Geschichten.» Nur sind dieses Mal die Gegebenheiten anders: Seinerzeit war die FIFA ein Reputationsrisiko für die Schweiz. Heute sind es unsere eigenen Institutionen.
Pieth war vor ein paar Jahren Vorsitzender der «Kommission für Governance» bei der FIFA.
Dort machte er für viel Geld ein paar brauchbare Dinge im theoretischen Bereich. Das Preis-/Leistungsverhältnis seiner Arbeit war in meinen Augen jedoch nicht berauschend.
Sind Sie einfach empfindlich, weil der Kriminologe das Schweizer Parlament als «ein Konglomerat von Amateuren» bezeichnet?
Tut er das? Und als was sieht er sich selbst? Als «Profi»? Während die 246 National- und Ständeräte die Schweizer Steuerzahler 440 Franken Taggeld kosten, entzog Pieth dem Fussball gemäss Medienberichten 5000 Franken pro Tag Arbeit. Dazu kamen unanständig hohen Spesen. Der Mann, der aussieht wie ein kleiner Bruder von Sepp Blatter, verhält sich offensichtlich wie ein Profi. Zumindest dann, wenn es darum geht, sich um seine eigenen Interessen zu kümmern.
Warum sind Sie so kritisch gegenüber dem Basler Strafrechtsprofessor?
Weil er keine konkreten Resultate geliefert hat und es mir zeitweise vorkam, als ob er als Feigenblatt für Blatters korrupte Funktionärskaste diente. Pieth regte wie gesagt gewisse Verbesserungen in der FIFA an. Vor allem aber hat er es «verpasst», im Korruptionsfall ISL/FIFA zu handeln.
Der liegt aber schon ein paar Jahre zurück.
Darum liegt das Unsaubere schon lange auf dem Tisch. Im ISL-Fall ging es nachgewiesenermassen um mehr als 140 Millionen geschmierte Franken, welche über zwölf Jahre verteilt grösstenteils an FIFA-Funktionäre gingen. Das ist schon längstens gerichtlich bestätigt. Hat Pieth aufgeräumt? Nein!
Aber Pieth und Blatter sind derzeit nicht deswegen, sondern wegen dem Fall Infantino/Lauber in allen Medien präsent.
Ihre Auftritte sind ätzend. Es ist Zeit, dass das Duo wieder ruhiger wird. Sonst könnte ich nochmals motiviert sein, dafür zu sorgen, dass die Machenschaften unter dem Blatter-Regime genauer beleuchtet und öffentlich debattiert werden.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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