Ihren Körper zu verkaufen für Geld, das in der Heimat benötigt wird: Das Schicksal trifft Frauen jeglichen Alters. Damit ihnen der Absprung gelingt, engagiert sich Eva Messmer mit dem Verein Blossom. Mit viel Herzblut wird Betroffenen geholfen.
Erste Berührungen mit dem Schwulenstrich hat Eva Messmer bereits mit 18 Jahren. In Amerika verteilt sie als gläubige Christin in San Francisco kleine Verpflegungen an Obdachlose und Bedürftige. «Diese niederschwelligen Angebote haben mich bereits damals überzeugt», sagt die Thurgauerin im Gespräch.
Zurück in der Schweiz gründete sie eine Familile. Als die Kinder nach und nach flügge wurden, stand der Wunsch im Raum, sich wieder in diesem Bereich zu engagieren.
Die Idee, Frauen in der Prostitution eine wichtige Anlaufstelle bieten zu können, war relativ schnell geboren. «Ich habe kurzerhand gestartet, weil es in diesem Gebiet kaum Angebote gab», sagt sie rückblickend. Das war im Jahr 2015. Bereits im April 2016 gründete sie den Verein Blossom. die Anzahl der Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfern wuchs an. Vorgängig schnupperte Eva Messmer in anderen Hilfsvereinen , trug zusammen, was in dieser Hinsicht möglich und vor allem erwünscht wäre.
Geld für die Heimat
Heute bietet der Verein eine Anlaufstelle für Frauen in der Prostitution, die aktiven Mitglieder begegnen den Sexarbeitenden bei ihrer täglichen Arbeit, bringen ihnen mit den Besuchen Aufmerksamkeit entgegen. «Meist stammen die Frauen aus Osteuropa, und das eingenommene Geld geht an die Familien im Herkunftsland», sagt Eva Messmer.
Oftmals würden die Frauen für einige Wochen herkommen, um sich zu prostituieren, und während dieser Tage so viel Geld einnehmen, wie es in ihrer Heimat in einem halben Jahr der Fall wäre. «Verschweigt sie gegenüber ihrer Familie in der Heimat, mit welcher Tätigkeit sie ihren Lohn verdient hat, und sagt stattdessen, dass sie Putzarbeiten übernommen hat, entsteht schnell ein Teufelskreis.»
Ist das Geld nämlich aufgebraucht, würde die Frau von ihrer Familie für die «Putzarbeiten» wieder zurück in die Schweiz geschickt. Und damit beginnt das Leiden für die Betroffene. Denn eines sei klar: In der Prostitution zu arbeiten, machen niemand aus freien Stücken.
Schwierige Neuorientierung
Der Weg zurück in ein anderes Leben ist kein einfacher. Die Deutschkenntnisse sind zu gering, die Vorbehalte der Arbeitgeber zu gross, die Wunschvorstellungen der ausländischen Frauen von einer beruflichen Tätigkeit in der Schweiz zu abweichend von der Realität.
Genau hier setzt der Verein an und bietet Plätze für eine Neuorientierung an. «Wir geben ihnen einen Wohnplatz, für einige Monate eine Arbeitsstelle. So erfahren die Frauen, einen geregelten Tagesablauf in der Schweiz zu haben», fasst es Eva Messmer zusammen.
Eine passende Arbeitsstelle finden die Aussteigerinnen im 2017 gegründeten Secondhandshop. Hier erhalten nicht nur die Kleider eine zweite Chance, sondern auch die Sexarbeiterinnen, die eine Neuorientierung möchten.
Wieder auf den eigenen Körper hören
«Sie erhalten dadurch insbesondere Zeit, um anzukommen, und sich an ein neues Leben zu gewöhnen», sagt Eva Messmer. Sie müssten erst neu lernen, Entscheidungen zu treffen, wieder auf ihren Körper zu hören – denn die Würde wurde ihnen oftmals bereits früh geraubt.
Die Frauen werden auf Behördengängen begleitet, lernen, sich zurechtzufinden, übernehmen Rechte und Pflichten. Sie können stets auf ein offenes Ohr zählen, werden aufgefangen, aber auch angestossen, wenn es auf einer Ebene vielleicht nicht so klappen möchte.
Nachhaltiger Absprung
Die Begleitung ist intensiv, und auch nicht innerhalb weniger Wochen abgeschlossen. Meist dauert sie durchschnittlich zwei Jahre, bis der Übergang geglückt ist.
Doch wie nachhaltig ist die Arbeit überhaupt? Wie viele Frauen schaffen den endgültigen Absprung aus der Szene? Natürlich gäbe es ab und zu Fälle, in denen die Frauen wieder in die Prostitution zurückkehren – in etwa dann, wenn sie merken, dass der Verdienst andernorts zu niedrig ist.
«Der grosse Teil jedoch wird sich bewusst, dass die Sexarbeit in ihrem Leben keinen Platz mehr einnehmen kann.» Bisher sei sie lediglich zwei Frauen begegnet, die sagten, dass sie sich freiwillig prostituieren, weil sie einfach gerne Sex hätten.
Im anschliessenden Gespräch wurde jedoch schnell klar, dass sie sich damit ihre Drogensucht finanzierten. «Sexarbeit ist nicht das, was die Frauen wählen würden, wenn sie es aus freien Stücken machen könnten», bringt es Eva Messmer auf den Punkt.
Begegnung auf Augenhöhe
Trotz der schwierigen Schicksale findet die Thurgauerin stets ihren Ausgleich. Sie sei grundsätzlich ein Mensch, der sich gut abgrenzen könne.
«Wir haben vor und nach den Besuchen ein Briefing im Team. Diese Gespräche finde ich sehr wichtig.» Auch Hobbies und Rituale helfen dabei, den Kopf wieder freizubekommen.
Auch Vorurteile sind bei ihr kein Thema. Wenn sich ein Freier gerne an der Hundeleine durch den Raum führen lasse, sei das seine Angelegenheit.
«Ich nehme die Menschen so, wie sie sind.» Auch Bordellbetreiber oder Freier könne sie auf Augenhöhe begegnen. «Es bringt niemandem etwas, wenn ich ihnen meine Meinung aufzwinge.»
Im Thurgauischen gibt es keinen Strassenstrich
Kein Verständnis hat sie für gewisse Vorlieben, die die Frauen in Gefahr bringen – wenn beispielsweise ungeschützter Verkehr gewünscht sei. Trotz des nicht ganz einfachen Arbeitsumfelds: Gefährliche Situationen hat sie während all der Jahre keine erlebt. Vielleicht sei dies auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass es im Kanton Thurgau keinen Strassenstrich gäbe.
Dennoch gibt es auch Punkte, mit denen die Thurgauerin ihre Mühe hat. Mit gewissen Kulturen anderer Länder etwa, wenn eine Frau ihrer Würde beraubt wird. Oder die lasche Kontrollfunktion des Staates und Kantons, wenn es um die Verträge und Steuern gehe.
«So müssen die Frauen nach wie vor die Höhe an Steuern bezahlen, wie es vor Corona der Fall war. Auch wenn die Einnahmen stark zurückgingen», sagt Eva Messmer. Der Staat übernehme zu wenig Verantwortung, und das sei nicht in Ordnung.
Wunsch für die Zukunft
Der Verein finanziert sich vollumfänglich über Spendeneinnahmen. In diesem Jahr kam eine einmalige finanzielle Unterstützung vom Alkoholzehntel des Kantons Thurgau dazu sowie eine Spende der Stiftung Fondia.
Ausserdem helfen die Einnahmen des Secondhandshops bei den Ausgaben für die tägliche Arbeit des Vereins. «Die Solidarität der Bevölkerung wahrzunehmen, ist sehr schön», sagt Eva Messmer. Denn künftig möchte der Verein wachsen, um statt wie bisher zwei bis zu fünf Frauen begleiten zu können.
Dafür brauche es jedoch Zeit. Und die sei auch nötig, damit mehr Arbeitgeber den Frauen aus dem Milieu vermehrt Verständnis entgegenbringen. «Wir brauchen zusätzliche niederschwellige Arbeitsstellen, damit die Aussteigerinnen Fuss fassen können.»
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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