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Gastkommentar

Digitalisierung durchdringt unseren Alltag

Eigentlich tönt die Überschrift Digitalisierung stark abgedroschen. Man kann das «Buzzword» kaum mehr hören. Deshalb liegt hier abseits der IT-Fachwelt der Anspruch auch wo anders. Es geht um die Frage, wie weit unser Alltag digital durchdrungen ist.

Wolfgang Stölzle am 29. Mai 2022

Dazu könnten gehören: Wie intensiv wird unser Leben von Digitalem begleitet bzw. geprägt? Was macht Digitalisierung mit uns? Wo stehen wir und wie verändert sich unser Leben weiter – auch in der nächsten Generation? Überwiegt der Nutzen smarter Anwendungen die Abhängigkeit des Menschen von digitalen Tools und deren Geschäftsmodellen? Wägen wir bewusst Chancen und Risiken beim individuellen Einsatz digitaler Hilfsmittel ab? Doch jetzt soll es mal mit einigen Beispielen konkret werden.

Einsatz digitaler Technologien im Alltag

Entlang eines «Life Cycles» und mit Ausflügen in alle Lebensbereiche fallen einem viele, für sich genommen oft unscheinbare digitale Anwendungen ein. So können Paare bereits für die Zeugung eines Menschen auf Apps zugreifen und sich bei der Suche nach dem besten Zeitpunkt, also den der maximalen Fruchtbarkeit der Frau, unterstützen lassen.

Später in der Schule und generell im Bildungsbereich kommen digitale Lernplattformen und Tablets zum Einsatz, sei es zur «einfachen» Wissensvermittlung oder auch zum Erfahrungsaustausch, etwa in digitalen Chaträumen.

Für den Eintritt in die Arbeitswelt orientiert man sich an digitalen Jobbörsen und schickt Online-Bewerbungen ab. Homeoffice ist dank digitaler Tools technisch problemlos möglich, man gewinnt sogar Flexibilität etwa für Kindererziehung oder Sport hinzu, oft verbunden mit einer höheren Lebensqualität. Folgeeffekte sind etwa eine abnehmende Verkehrsbelastung – beispielsweise die Rückbildung von Rush Hour-Phänomenen, aber auch veränderte Berufsbilder. So ist das Berufsbild einer Sekretärin bzw. eines Sekretärs nahezu verschwunden – zugunsten von deutlich mehr Selbstorganisation, die nun an die Führungskräfte dank digitaler Werkzeuge versteckt zurückdelegiert wird. Ob damit die knappe Zeit dieser Zielgruppe unter dem Strich effizienter als früher genutzt wird, könnte untersucht werden. Aber da der Megatrend der Digitalisierung als unumkehrbar gilt, finden solche Fragen wohl eher wenig Resonanz. Viel populärer erscheinen demgegenüber digitale Meetings im geschäftlichen Bereich oder private «Telefonie» mit bewegten Bildern – nur mit einem Smartphone und das rund um die Welt. Der Mehrwert liegt auf der Hand: so können die nach Griechenland ausgewanderten Grosseltern ihren Enkel-Nachwuchs in der Ostschweiz ganz lebendig «erfahren».

Energiemanagement

Für die Freizeit bieten sich nahezu unbeschränkte Spielfelder an: Gamen ist bei Gross und Klein angesagt. Traditionelle Print-Medien und auch viele neue Formate sind in den sogenannten sozialen Medien unterwegs. Statt prall gefüllter Zeitungsständer und Bibliotheken lesen Frau bzw. Mann heute verstärkt via «Digital Devices» Zeitungen ebenso wie Bücher. Die Liegenschaftswelt wird immer mehr von Smart Homes durchdrungen. Dort ordern intelligente Kühlschränke Nachbestellungen beim Online-Frischedienst, Alarmanlagen sendet Echtzeit-Bilder vom Eigenheim in die Ferien nach Mallorca, die Licht- und Heizungssteuerung regelt und optimiert sich selbst, gestützt auf ein umfassendes Energiemanagement des trauten Eigenheims.

Digitalisierung im Hofladen

Will man unterwegs sein, so erscheint bereits heute der Elektro-Pkw als Computer ergänzt um vier Räder und etwas Blech. Die Zukunft wird schon jetzt in der Werbung vorgelebt: mit smarten Pkws autonom Fahren und sich während der Fahrt anderen Dingen zuwenden. Die Echtzeit-Verkehrssteuerung sorgt präventiv für die Vermeidung von Staus und die mit vielen Kameras überwachte Smart City gibt den Menschen ein Gefühl der Sicherheit. Wer den ÖV bevorzugt, kann via App die Reise planen und gleich ein Ticket für alle Verkehrsträger ordern. Und schliesslich brauchen Wohnmobiltouristen für anspruchsvolle Trips auch nur noch ein Smartphone mit geeigneten Apps für Stellplätze, Einkaufs- und Tankoptionen oder die Routenplanung mit ausgewählten Sehenswürdigkeiten.

Während man früher umständlich die Auslandswährung vor Reiseantritt einwechseln musste, hat sich heute die Finanzwelt gedreht – und zwar in Richtung digitale Währung. Bereits im Hofladen im Toggenburg kann man sich selbst bedienen und via Twint bezahlen. Und der Hype um Bitcoins sowie Krypto-Währungen lässt vermuten, dass in absehbarer Zeit das Bargeld ausgedient hat.

Gesundheitshistorie

Auch in den Behördenalltag hat längst die digitale Welle Einzug gehalten. Dies betrifft Steuererklärungen für Private und für Unternehmen eine Rückdelegation von Steuerangelegenheiten seitens der Steuerämter – etwa bei der Quellensteuer. Besonders aktuell sind im Zuge der Corona-Massnahmen obligatorische digitale Plattformen für die Einreise ins Ausland. Hier «dürfen» sich bei einer schlichten Reise nach Deutschland Herr und Frau Ostschweizer gleich zwei Mal melden. Zudem wird man bei der Einreise nach Deutschland direkt mit einer ungewollten Staats-Nachricht daran erinnert, sich impfen oder testen zu lassen bzw. sich direkt in Isolation zu begeben. Und wenn man aktuelle Statements der Politik sucht, ist wohl Twitter der einfachste Kanal für simple Botschaften zu komplexen Sachverhalten.

Apropos Gesundheit: Eine dominante Rolle spielen im Alltag derzeit digitale Zertifikate, mit denen Impfstati und Testnachweise dem Aushilfskellner an der Lieblings-Beiz zu demonstrieren sind, um im besten Fall auch Einlass gewährt zu bekommen. Nicht ganz so bekannt sind Versicherungsprämien, die bei der Krankenversicherung an den Gesundheitsstatus oder bei der Fahrzeugversicherung an den Fahrstil geknüpft werden können. Mit dem digitalen Gesundheitspass lässt sich die ganze Gesundheitshistorie sofort abrufen und bei einer Telemedizin-OP kann man sich im Schweizerischen Spital auf den OP-Tisch legen, während der OP-Roboter vom Chefarzt aus den USA gesteuert wird. Der direkt nächste Schritt ist dann der gechipte Mensch, nachdem wir uns an gechipte Hunde längst gewöhnt haben. Unsere Einstellungen und Wertmuster sind also prägbar.

Wie verändert Digitalisierung uns Menschen?

Die Schattenseiten all dieser digitalen Anwendungen kommen indessen oft zu kurz. «Ich und mein Smartphone» sind engste Freunde auf dem Weg zur sozialen Vereinsamung. Freunde sehe ich auch nur noch auf demselben Gerät, wenn sie Likes abgeben. Der Weg in die digitale Sucht scheint geebnet zu sein.

Ein anderer, nicht minder wichtiger Aspekt ist die Gefahr der Fremdsteuerung, wie schon Orwell für 1984 prophezeite «Big Brother is watching you». Was wird mit all den persönlichen, oft hoch sensiblen Daten gemacht? Wo landen sie, wer kann sich legal oder illegal Zugang verschaffen? Instinkt, Selbstvertrauen und gesunder Menschenverstand weichen mehr und mehr der Fremdsteuerung. Aber staatlich betreutes Leben brauchen und wollen viele Mitbürger nicht, insbesondere nach den Erfahrungen seit März 2020. Apropos Datenschutz: Während früher Zigtausende in Deutschland gegen eine Volkszählung auf die Strassen gingen, gibt man heute täglich per Click seine Daten ungezählten digitalen Anbietern an die Hand. Löst der Drang nach extensiver Datennutzung das individuelle Bedürfnis nach Schutz persönlicher Daten ab? Offenbar haben verschiedene Generationen dazu unterschiedliche Einstellungen.

Digitalisierung – ein Generationenthema?

An die Digital Natives und deren Kinder denkt man öfters – wie wird sich deren Leben gestalten? Wie kann man bei der Erziehung den schmalen Grat zwischen sozialer Akzeptanz einerseits und digitaler Sucht andererseits finden? Fragen, die frühere Elterngenerationen so nicht kannten. Aber auch die Baby Boomer sind gefragt: wie kann man sich im Rentenalter digital fit halten? Wie lässt es sich zumindest vermeiden, abgekoppelt zu werden? Wer hilft einem dabei auf die Sprünge? Digitale Tools dürfen eben nicht nur auf eine Benutzergruppe zugeschnitten sein – vielmehr ist auch ein Augenmerk auf die Nutzer-Generationen zu werfen, um gesellschaftliche Bruchlinien zu vermeiden.

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Autor/in
Wolfgang Stölzle

Wolfgang Stölzle ist Geschäftsführer der Logistics Advisory Experts GmbH mit Sitz in Arbon.

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