WhatsApp, Games, Wetter- und Dating-Apps oder Instagram, Facebook und Co.: Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung nutzen digitale Medien im Alltag aktiv und auf vielfältige Weise. Das zeigt das partizipative und inklusive Forschungsprojekt «Digit:Alle» der OST – Ostschweizer Fachhochschule.
Text: Andrea Sterchi
Medienkompetenz gehört mittlerweile zu den Grundkompetenzen. Für alle Menschen. So bieten digitale Medien gerade für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erweiterte Chancen für Teilhabe und Partizipation. Wie nutzen sie Apps, soziale Medien und das Internet? Wieso und mit welchen Geräten?
Über die Bedürfnisse von und die Herausforderungen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Umgang mit digitalen Medien wurde bisher noch kaum geforscht. Es fehlen entsprechende Angebote zur Förderung der digitalen Kompetenzen oder wenn es solche gibt, basieren sie auf gedruckten Informationen. Auch wurden bisher noch keine medienpädagogischen Angebote gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt. Hier setzt das partizipative Forschungsprojekt «Digit:Alle – Digitale Kompetenzen zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen» an. Das Ziel: Ideen für zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln, welche die Betroffenen bei der Mediennutzung unterstützen und ihre Medienkompetenz fördern und stärken. Das Forschungsprojekt ist eine Kooperation des Instituts Innovation, Design und Engineering (IDEE-OST) und des Departements für Soziale Arbeit der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Als Praxispartner mit an Bord ist die Thurgauer Institution Ekkarthof und die Newsplattform in Leichter Sprache infoeasy.
Inklusiv und partizipativ
Von Anfang an arbeitete das Forschungsteam partizipativ und inklusiv, um nicht einfach über die Betroffenen zu forschen, sondern mit ihnen. In einem ersten Schritt wollten die Forscherinnen und Forscher mehr darüber erfahren, welche Medien die Klientinnen und Klienten des Ekkarthofs nutzen und wofür. Zehn Frauen und Männer mit leichten bis mittleren kognitiven Beeinträchtigungen nahmen an der Befragung teil. Angelegt war sie als Workshop, an dem die Teilnehmenden in Gruppen über die genutzten Geräte und digitalen Anwendungen sowie über die Gründe, Bedürfnisse und Probleme bei der Mediennutzung sprachen.
Grosses Interesse an Medien und aktive Nutzung
Die Ergebnisse zeigen, die Teilnehmenden interessieren sich stark für Medien und digitale Anwendungen. Sie nutzen die Medien im Alltag unterschiedlich, meistens jedoch aktiv. So fragen sie beispielsweise Wetter- und Sprachapps ab, sie spielen Online-Games zur Unterhaltung oder Ablenkung, sie kommunizieren in WhatsApp-Gruppen oder posten Musik-Videos auf TikTok. Von Mobilität über Information und Bildung bis zu Freizeit, Wohnen und Arbeiten: Digitale Medien spielen in vielen verschiedenen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Die Bandbreite der genutzten Geräte ist gross. So nannten die Teilnehmenden neben Smartphone, TV, Radio, und Laptop/Computer etwa auch Smartspeaker, Bluetooth-Musikboxen, Spielkonsole, Schlaftracker und Smartwatch.
Wunsch nach Begleitung und einer Anlaufstelle für Fragen
Die Befragung zeigte aber auch die Herausforderungen und Gefahren bei der Mediennutzung. So erzählten die Teilnehmenden von Hass-Kommentaren auf den Sozialen Medien, Abo-Fallen und der Schwierigkeit, nicht zu viel Zeit am Smartphone zu verbringen. Ebenfalls Thema waren Fake-News, Phishing-E-Mails oder aber Barrieren wie ein fehlender Internetzugang. Die Teilnehmenden vermissen auch eine Begleitung und Anlaufstelle bei Fragen zur Mediennutzung oder Sicherheitseinstellungen.
Zentrum für Medienkompetenz auf vier Rädern
In einem zweiten Schritt definierte das Forschungsteam aufgrund der gesammelten Daten vier Personas, welche die genannten Bedürfnisse und Herausforderungen vereinen. In einem Co-Creation-Workshop entwickelte es dann für diese mithilfe von Lego Serious Play Ideen für Angebote zur Förderung der Medienkompetenz. Entstanden ist so die Idee für einen Medienbus als mobiles Medienkompetenzzentrum. Betroffene und Fachpersonen können hier zum Beispiel Posts für soziale Medien selbst gestalten oder neue Anwendungen wie etwa Virtual Reality oder Künstliche Intelligenz kennenlernen und ausprobieren. Andererseits sind der Medienbus und seine Crew eine mobile Anlaufstelle für verschiedene Fragen rund um die Medien und digitale Angebote, zum Beispiel wie man Fake-News erkennt oder sich gegen Internet-Betrug schützt. Der Vorteil eines mobilen Medienkompetenzzentrums ist, dass es auch andere Institutionen nutzen können.
Finanziert wurde das Forschungsprojekt «Digit:Alle» von der Stiftung Fondation pour la Recherche en faveur des personnes Handicapées. In einem weiteren partizipativen und inklusiven Projekt will das Forschungsteam einen Prototypen für den Medienbus entwickeln.
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