Es waren äusserst besondere Umstände, mit welchen der Filmemacher Thomas Lüchinger bei seinem neusten Film SOUND and SILENCE konfrontiert war. Dabei steht ein Ehepaar in Kawasaki im Fokus, welches anhand seiner Werte vielen einen Denkanstoss geben.
Die ersten Aufnahmen zum Film SOUND and SILENCE entstanden im Sommer 2019. Wie sind Sie auf das Paar gekommen?
Bei einem Besuch der Sezession in Wien im Frühling 2019 war ich, zusammen mit meiner Frau, von einer Videoperformance gefesselt, welche eine österreichische Künstlerin mit dem betagten Improvisationsduo und Paar, Shizuko und Toshi Orimo, gemacht hatte. Da gab es eine Schlussszene mit einer sehr berührenden Zärtlichkeit. Das war der eigentliche Auslöser, um mich auf die Suche nach diesen beiden Menschen in Japan zu machen. Nachdem ich sie mit der Hilfe von Roger Walch, einem seit langer Zeit in Japan lebenden St. Galler Filmemacher, gefunden hatte, stellte sich heraus, dass sie noch in jenem Sommer ihr Abschlusskonzert in Kawasaki geben wollten. Das war der Auslöser, der kurzentschlossen zur Reise nach Japan führte.
Kurz nach der ersten Begegnung starb Shizuko. Weshalb entschieden Sie sich zusammen mit der Familie, den Film weiter zu führen?
Nachdem ich drei Wochen bei Shizuko und Toshio verbracht hatte, wo ich auch ihren Sohn Sabu kennenlernte, war ich überzeugt, dass ich ihre Geschichte erzählen wollte. Obwohl Shizuko bereits während meines Besuches sehr zerbrechlich wirkte, schien ihr die Aussicht auf das gemeinsame Vorhaben grosse Kraft zu verleihen. Sie wollte mit Toshio nach Okinawa reisen, wo durch den geplanten Ausbau einer US-Militärbasis ein grosses Meeresschutzgebiet zerstört werden sollte. Dagegen wollte sie in ihrem hohen Alter erneut protestieren. Bei meiner Abreise nach dem ersten dreiwöchigen Besuch verabschiedete sie sich mit den Worten, diese drei Wochen seien die wichtigsten in ihrem Leben gewesen. Diese Aussage verblüffte mich und ich fragte mich, was sie damit gemeint habe. Meine eigene Antwort war, dass sich noch nie jemand für ihre Lebensgeschichte interessiert hatte. In den drei Wochen meines Besuches habe ich eigentlich nichts weiter gemacht, als zugehört. Es war das Gehört-Werden. Nachdem mir das bewusst wurde, konnte ich gar nicht mehr anders, als weiter zu machen. Ich war das Shizuko schuldig.
Anschliessend kam Corona. Sie haben von der Schweiz aus Regie geführt. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Wie bereits gesagt, verstarb Shizuko drei Monate nach meinem ersten Besuch. Geplant war, dass ich schon kurz danach hätte zurückkehren wollen. Da ich dann nicht in der Lage war, zur Abschiedsfeier von Shizuko nach Japan zu fahren, habe ich Roger Walch und einen japanischen Kameramann-Freund gebeten, mich dort zu vertreten. Sie durften diese eindrücklichen Momente filmen. Danach entschieden wir uns, der Frage nachzugehen, wie sich die Lebensorientierung von Vater und Sohn nach der Trennung von ihrer Frau und Mutter weiter entwickeln würde. Die Rolle von Shizuko schien mir in ihrer beider Leben von grösster Bedeutung zu sein. Mein Kameramann-Freund in Japan war dann leider verhindert. Ich engagierte einen jungen Kameramann und wies ihn mit einem «Bündel» von Hinweisen darauf hin, wie er diese Reise filmisch begleiten sollte. Leider konnten wir dann von diesen Aufnahmen nur ganz wenig verwenden. Aufgrund der Reise war es während der Dreharbeiten nicht möglich, dauernd im Kontakt zu stehen. So hatte ich bis zum Schluss keinen Einblick in das gefilmte Material.
Rückblickend gesehen: Welches war die wohl grösste Herausforderung bei der Umsetzung?
Die Tatsache, dass jemand stirbt, den man ins Herz geschlossen hat, ist allein sehr betrüblich. Wenn dieser Mensch dann noch jemand ist, mit dem man gemeinsam in die Zukunft sah, dann ist das Akzeptieren schwieriger. Dazu kommt, dass wir bereits einiges an gefilmtem Material «gesammelt» hatten. In dieser Situation einen neuen Weg zur Fortsetzung des Begonnenen zu finden, war nicht einfach. Als meine Einreise zur geplanten Fortsetzung der Dreharbeiten – Vater und Sohn hatten vor, während zehn Tagen auf eine gemeinsame Wanderung zu gehen, bei der sie den Verlust von Shizuko verarbeiten und über ihre Beziehung reflektieren wollten – wegen Corona verunmöglicht war, musste ich das Projekt an ein Team in Japan übergeben, welches das Geplante nach meinen Anweisungen von der Schweiz aus ausführen sollte.
Der Film zeigt die Entwicklung des Paares von Punkmusikern bis hin zu Aktivisten, von ihrem Weg als Paar, den Anpassungsdruck. Welcher Fokus war Ihnen besonders wichtig?
Der erste Besuch, bei dem ich bereits gefilmt hatte, diente in erster Linie dem Kennenlernen. Anhand dieser Eindrücke wollte ich dann das Konzept für den Film entwickeln. Bei meinem Besuch habe ich mich immer wieder gefragt, was das Besondere dieser beiden Menschen ausmache. Dabei bin ich auf drei ausschlaggebende Aspekte gestossen. Diese gaben den Anlass, einen Film mit ihnen zu realisieren. Das war einmal ihre konsequente Verweigerung, an einer ausbeuterischen und auf Profit ausgerichtete Lebensweise teilzunehmen, ihre rebellisch-zärtliche Beziehung als Paar und zuletzt ihr Selbstverständnis, wie sie sich das Recht nahmen, jenes Spiel zu spielen, das ihnen ihren Sinn ergab. Dabei kümmerten sie sich nicht um die Urteile von aussen. Gerne wäre ich bei meinen weiteren Besuchen noch verstärkt auf diese Themen eingegangen.
Was haben Sie selbst vom Film mitgenommen?
Tu das, was Dir wichtig ist. Der Tod kann uns jederzeit erreichen.
Der Film feiert im Januar an den Solothurnern Filmtagen Weltpremiere. Wie nervös sind Sie?
Es freut mich zum einen, dass der Film trotz der erschwerenden Umstände fertig geworden ist. Nachdem wir damit bereits zum Marché international am Festival «vision du réel» in Nyon eingeladen waren, ist es eine Ehre, den Film nun in Solothurn zur Welturaufführung zu bringen. Gerne hätte ich Toshio und Sabu dazu eingeladen. Das Budget war aber so schmal, dass wir uns diese Einladung leider nicht leisten können. Ich bedaure das sehr. So bin ich zwar nicht nervös, aber schon gespannt, wie bei jeder Weltpremiere, wie das Publikum den Film aufnehmen wird.
Welche Rückmeldungen wären für Sie besonders wünschenswert?
Das ist die schwierigste Frage, die Sie mir hier stellen… Es wäre sehr schön, wenn das Publikum sich durch den intimen Einblick in das Leben und den Abschied von Shizuko von ihrem freien, spielerischen und auch frechen Geist anregen lassen könnte und dabei bereit ist, eigene Werturteile – über andere - zu überprüfen. Im Übrigen möchte auch ich an all jene, die das Entstehen dieses Filmes ermöglicht haben, die Rückmeldung meiner Dankbarkeit machen!
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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