Die Erfahrungswerte der letzten Monate besagen es: Nach dem Februar werden die Restauranttüren wohl noch geschlossen bleiben. Aufrufe zum aktiven Widerstand selbst aus prominentem Mund verhallen wohl ergebnislos. Ein bisschen Hoffnung gibt es aber dennoch.
«Weltwoche daily», der Videoblog von Verleger und Chefredaktor Roger Köppel, ist zu einer fixen Adresse geworden für Leute, die finden, dass der Bundesrat derzeit mit Stangen im Nebel herumstochert. Köppel geisselt praktisch täglich das Fehlen von evidenzbasierten Massnahmen, das Bundeschaos, die kopflose Hektik, das Unterwandern von Demokratie und Bürgerrechten. Er hat beschaulich-vorsichtig angefangen und sich dann allmählich gesteigert. In der Doppelrolle als Journalist und Politiker hat er ein engeres Korsett als andere, aber er reizt es wenigstens aus.
Aus diesem Korsett hat er sich letzte Woche herausgetraut, als er dazu aufrief, die Beizer des Landes sollen ihre Betrieb am 1. März öffnen, egal, was der Bundesrat demnächst weiter beschliesst. Wobei, nein, das ist die verkürzte Version, die ihm von vielen Medien untergeschoben wurde. Köppel hat die Gastronomen zu gar nichts aufgerufen. Stattdessen hat er in seiner Sendung einen gewissen Casimir Platzer, den Präsidenten von GastroSuisse aufgerufen, seinerseits mit dieser Botschaft an die Verbandsmitglieder zu gelangen.
GastroSuisse soll also das, was Roger Köppel gern hätte, umsetzen und als dessen Sprachrohr fungieren, weil ein gewählter Nationalrat schlecht tausende von Betrieben in der Schweiz zum zivilen Ungehorsam anstiften kann.
Das war eine schlagzeilenträchtige Aktion, die in erster Linie «Weltwoche daily» bei der Verbreitung half. Passieren wird kaum etwas. Wenn es doch gelingt, dürfen wir damit rechnen, dass der Papst demnächst die Verteilung von kostenlosen Kondomen an die ganze Weltbevölkerung verlangt.
Denn GastroSuisse ist seit Monaten eine recht zahnlose Angelegenheit, und das ist überaus freundlich formuliert. Zwar verkündet der Verband auf seiner Webseite, er vertrete «die Interessen des Gastgewerbes», aber im Newsbereich werden wir freundlich und etwas detaillierter informiert, GastroSuisse setze sich weiter «für die finanziellen Entschädigungen ihrer Mitglieder ein.» Das ist nicht ganz dasselbe, es sei denn, Interessen seien immer nur pekuniär. Sprich: Wir schauen, dass die Kohle endlich fliesst, ob du arbeiten und Gäste begrüssen darfst, ist uns eigentlich herzlich egal.
Man kann das pragmatisch nennen. Andere würden es vielleicht als Kapitulation sehen. Es läuft aber darauf hinaus:
GastroSuisse eiert herum und hat Angst vor einer klaren Ansage, ausser, wenn es das Geld betrifft, weil man dieses derzeit ohne Gesichtsverlust immer verlangen darf.
Deshalb ist es in höchstem Mass unwahrscheinlich, dass Casimir Platzer nun hinsitzt und einen Brief tippt, in dem er die Mitglieder zum aktiven Widerstand anstachelt und sie auffordert, den Lockdown, falls er verlängert wird, am 1. März zu brechen. Dazu muss man wissen: Zu den Vorteilen eines nationalen Verbandspräsidiums gehört es, dass man plötzlich auf «du und du» mit den politischen Spitzen ist. Man will etwas von denen, aber auch umgekehrt. Mit dem Amt kommen Ruhm und Ehre, aber gleichzeitig verabschiedet sich die Zivilcourage. Nie vor Corona wurde es so offensichtlich, dass die offiziellen «Interessensvertreter» ihre bezahlenden Mitglieder hängen lassen, wenn es drauf an kommt. Das betrifft nicht nur die Gastronomie. Auch andere Branchen- und Wirtschaftsverbände verstecken ihre vorsichtig formulierten Forderungen in einem Kniefall gen Bern.
Roger Köppel konnte also getrost Herrn Platzer bitten, aktiv zu werden. Er weiss genau, dass nichts passieren und damit auch nichts auf ihn zurückfallen wird. Schön war es trotzdem, dass Köppel die Idee eines Lockdown-Bruchs formulierte, wenn er sie auch auf andere Schultern legte. Immerhin wurde damit das Tabu von prominenter Seite endlich gebrochen. Das Tabu, etwas zu tun, das im höchsten Mass vernünftig und richtig ist, aber nicht den aktuellen Regeln folgt.
Wenn das, was offiziell verordnet wird, jeder Vernunft entbehrt, ist es höchst vernünftig, dazu aufzurufen, es einfach nicht zu tun.
In Sachen Restaurants, Bistros, Bars und so weiter gilt das besonders. Bis heute ist unklar, was die guten Gastronomen dem Innenminister Berset beziehungsweise einer Mehrheit im Bundesrat eigentlich angetan haben. Möglicherweise hat Berset mal schlechte Schnecken serviert bekommen oder seine Reservation wurde nicht richtig eingetragen und er sass mitten in einem Kindergeburtstag. Jedenfalls baden die Lokale ohne den geringsten fassbaren Hinweis auf eine Mitschuld an der Verbreitung des Virus die aktuelle Situation aus.
Und würden sie am 1. März tatsächlich wieder geöffnet, würde rein gar nichts passieren, was unsere Gesundheit angeht, es würde nur bedeuten, dass die Betreiber ihrer Arbeit wieder nachgehen und wir wieder essen gehen könnten. Die brasilianische Mutation des Coronavirus hat es ja rein von der Mentalität her sowieso eher auf die Tanzstudios abgesehen.
Aber eben: Niemand mit halbwegs Einfluss wird trotz dieser Ausgangslage in der Realität einen Aufruf zum zivilen Ungehorsam lancieren. Und wir erinnern uns mit leiser Enttäuschung an den halbherzigen Versuch, an einem bestimmten Stichtag möglichst viele Betriebe dazu zu animieren, kurzerhand zu öffnen. Eine bedauernswerte Seele in einer Beiz tat das publikumswirksam, begleitet von «Blick» und Co. und durfte umgehend die Polizei im Restaurant begrüssen, die aber kein Geld brachte, sondern welches wollte. Viel mehr passierte damals nicht. Und viel mehr wird auch am 1. März nicht geschehen, wenn es tatsächlich an GastroSuisse hängen bleibt. Dort lautet das Mantra «Entschädigungen!», und die Frage, ob die Gastroschliessungen in irgendeiner Weise berechtigt sind, interessiert in den Verbandsbüros längst keinen Menschen mehr.
Hoffnung macht allein, dass der Bundesrat – man muss schon fast sagen: glücklicherweise – längst jedes Augenmass verloren hat. Er denkt in Etappen.
Wenn man Mitte Februar befinden sollte, das auch im März noch nichts geht, ist das ja nur ein weiterer Monat, ein Augenzwinkern mit Blick auf die Geschichte der Erdkugel. Dass dannzumal die Gastronomie bereits zwei Monate ohne Umsatz hinter sich haben wird und schon 2020 arg gebeutelt worden war, verdrängt man in der Welt der hohen Politik. Die Gastronomen hingegen, für die Verordnungen nicht nur ein Stück Papier sind, sondern die Existenz gefährden, vergessen es hingegen hoffentlich nicht.
Wenn es im Frühjahr 2021 wirklich noch Restaurantbetreiber gibt, die artig warten, was ihr Verband sagt, bevor sie handeln, wäre das tragisch. Entsprechend wäre es nur logisch, wenn immer mehr das Heft selbst in die Hand nehmen. Das Problem ist die kritische Masse. Wenn eine Bergbeiz im Berner Oberland einen Sololauf fährt, hat sie zwar sicher viele Kameras vor dem Haus und damit kostenlose Werbung. Das bringt ihr aber nichts, weil sie spätestens am Mittag wieder die Türen schliessen muss und sich überlegen darf, wie die Busse von 10'000 Franken berappt werden soll.
Es müssten also deutlich mehr sein, für die der bewusste 1. März ein symbolträchtiger Tag ist, damit etwas geht. Plakativ gesagt: Es müssten mehr Betriebe sein als es dienstfertige Polizeieinheiten geht, die vorbeischauen können. Aber wer ein Restaurant betreibt, ist oft ein ausgesprochener Einzelkämpfer. Es hilft ihm ja keiner, also muss er zu sich selbst schauen. Weil der Branchenverband wegfällt, fehlt die ordnende, einende Hand, die dafür sorgt, dass etwas geht. Denn der Löwenanteil der rund 23'000 gastronomischen Betriebe in der Schweiz (Zahl von 2018) ist in der Tat GastroSuisse angeschlossen, es müssten sich also ein paar tausend von ihnen vom Verband emanzipieren.
Das wäre in normalen Zeiten schwer vorstellbar. Inzwischen ist zwar der Geduldsfaden bei vielen zum Zerreissen gespannt. Wer aber öffnet, wenn er damit rechnen muss, dass er allein auf weiter Flur ist und damit direkt im Fadenkreuz steht?
Eine kleine, aber irgendwie logische Idee an dieser Stelle. Die Seite unserer ehrwürdigen Bundesversammlung aus National- und Ständerat, die derzeit mittels Pressemitteilungen Sturm läuft gegen die Schliessungen, müsste sich nun aus dem Busch trauen. Sie beklagen derzeit ja bekanntlich, dass man sie zu Statisten degradiert hat, dass sie nichts mehr zu sagen haben. Notabene hat eine Mehrheit von ihnen in voller Überzeugung – oder war es Naivität – selbst Ja gesagt zu diesem Maulkorb und der faktischen Alleinherrschaft des Bundesrats. Aber Schwamm drüber, die Fakten bleiben: Wir haben ein Parlament für die reine Show, es fehlen nur noch die weissen Tiger.
Was würde nun dagegen sprechen, dass diese plötzlich aus der nackten Hilflosigkeit erwachten Parlamentarier einer Öffnung am 1. März offiziell das Wort sprechen? Dem zivilen Ungehorsam das Wort reden? Das wäre nur gerecht, nachdem man sie ihres Einflusses beraubt hat. Wenn man schon nichts mehr zu sagen hat, kann man schlecht zur Rechenschaft gezogen werden für das, was man dann doch sagt.
Und eine solche Botschaft dürfte ruhig über die Gastronomie hinausgehen. Der St.Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler, der mit seiner noch jungen Akquisition, dem Spielwarenhändler Franz Carl Weber, ganz konkret unter der Situation leidet. Der Ausserrhoder SVP-Nationalrat David Zuberbühler, Mitbesitzer eines im Wachstum stehenden Schuh- und Outdoormarkts. Sein St.Galler Parteikollege Mike Egger, Geblüt einer Metzger- und Beizerfamilie. SVP-Nationalrätin Esther Friedli (SG), mindestens im Nebenjob Gastronomin. Nicolo Paganini, Nationalrat CVP, SG, oberster Bierbrauer der Schweiz, dürfte ebenfalls an vorderster Front mitkriegen, wie die Gastronomie leidet.
Und das war nur die Ostschweiz. Auf nationaler Ebene käme da einiges mehr zusammen. So beleidigt, wie ein anständiger Teil des Parlaments zu Bern in den letzten Wochen klang, dürfte Roger Köppel mit seinem sanften Anflug an delegiertem Revoluzzertum eigentlich nicht lange allein bleiben.
Es wäre die Gelegenheit für die faktisch zur Untätigkeit verdammten Parlamentier, sich wieder in Erinnerung zu rufen. Mit einem glasklaren Aufruf, sich nicht länger an das zu halten, was beim besten Willen keinen Sinn macht.
Aber eben. Vielleicht ist auch diese Idee ein bisschen wie das mit dem Papst mit den Gratiskondomen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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