Der multipel gescheiterte Korruptionsbekämpfer Mark Pieth biegt sich den Rechtsstaat zurecht.
«Der Bund kann Zwangsmassnahmen erlassen.» So steht es im Schweizer Embargo-Gesetz. Es kann also Eigentum weggenommen werden, «ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person». Warum? Wenn Sanktionen von internationalen Organisationen oder «den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen worden sind». Voraussetzung ist lediglich, dass sie «der Einhaltung des Völkerrechts» dienen sollten. Was eigentlich jede Massnahme von sich behaupten kann.
Auf Deutsch: Reich, Russe, sogenannter Oligarch: das ist eine Gruppe, der ohne den im Rechtsstaat zwingend nötigen Nachweis eines individuellen strafbaren Verhaltens des Betroffenen Eigentum beschlagnahmt werden kann. Das ist in der Schweiz bei fünf Personen der Fall; die beschlagnahmten Werte belaufen sich auf rund 7,5 Milliarden Franken.
Schon alleine dieser Vorgang spricht allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn. Denn nicht nur reicht eine stigmatisierende Gruppenzugehörigkeit, was ungute Erinnerungen an braune Zeiten erweckt. Die Betroffenen haben zudem keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren. Denn diese Massnahmen werden von der Exekutive, dem Bundesrat, beschlossen. Was sie unüberprüfbar für Schweizer Gerichte macht.
Nun könnte man sich an den Bundesrat wenden, was die Betroffenen auch getan haben. Nur: der reagiert seit zehn Monaten einfach nicht. Denn niemand kann ihn dazu zwingen, seine willkürliche Übernahme von Sanktionen zu begründen – oder gar zu hinterfragen.
Das ist noch nicht alles. Diese Enteignung sei legitim, wenn «eine rechtmässige weitere Verwendung nicht mehr gewährleistet werden kann». Was bedeutet aber eigentlich «rechtmässige Verwendung»? Dazu hat Strafrechtsprofessor Marcel Niggli eine klare Meinung: «Für mich nicht erkennbar ist, inwiefern Vermögenswerte, die aus politischen Gründen blockiert wurden, unrechtmässig sein sollten und wieso ihre rechtmässige Verwendung überhaupt zweifelhaft sein sollte, wenn sowohl ihre Herkunft, als auch der Grund der Zwangsmassnahme nicht auf die Widerrechtlichkeit der Vermögenswerte noch ihrer Verwendung abstellen.»
Nun wird aber noch fein zwischen Einziehung und Verwertung unterschieden. Beschlagnahme bedeutet schliesslich nur, dass dem Eigentümer die Verfügungsgewalt über seinen Besitz entzogen wird. Schon vor einem Jahr hatte die SP Schweiz gefordert, «die Schweiz solle autonom Gelder von sanktionierten Personen» nicht nur einfrieren, sondern «einziehen und einem bestimmten Zweck zuführen können». Insbesondere solle es möglich sein, die «Vermögenswerte Putin-naher Oligarchen in die internationalen Bemühungen zum Wiederaufbau der Ukraine einfliessen zu lassen».
Bislang wurden eingezogene Diktatorengelder den Bestohlenen zurückgegeben. In einem aufwendigen und komplizierten Prozess. Also beispielsweise der nigerianischen Regierung (unabhängig davon, wie korrupt die aktuelle ist). Aber niemals wäre jemand auf die Idee gekommen, diese Gelder als Wiedergutmachung für Nigerias Verbrechen in Biafra zu verwenden.
Das alles macht diese Forderungen völlig abwegig. Oder nicht? Da bringt sich der als Korruptionsbekämpfer multipel gescheiterte Rechtsprofessor Mark Pieth ins Spiel. In einem Interview behauptet er: «Die Schweiz hat bereits heute eine Rechtsgrundlage, um russische Gelder für die Ukraine zu verwenden.»
Er beruft sich dabei auf einen Strafgesetzartikel, nach dem Vermögen eingezogen werden können, welche «der Verfügungsmacht einer kriminellen und terroristischen Organisation unterliegen». Was hat das mit den beschlagnahmten Vermögen reicher Russen in der Schweiz zu tun?
Da baut Pieth eine mehr als wackelige Brücke. Zunächst müsse das Bundesgericht «den russischen Kremlchef Putin und seine Getreuen als kriminelle Organisation einstufen». Dazu Niggli: «Mir erschliesst sich nicht, inwiefern der Staat Russland eine Organisation sein sollte, die den Zweck hat, Gewaltverbrechen zu begehen. Gilt dasselbe für alle Staaten? Oder nur für solche, die Angriffskriege führen, also z.B. auch für die USA?»
Was haben schliesslich reiche Russen in der Schweiz damit zu schaffen? Nun kommt die Verlängerung ins Absurde durch Pieth: «Es gibt einen Kreis von Oligarchen, die am Vorabend des Kriegs im Kreml zuhörten, wie Putin seine Pläne darlegte. Diese Leute stehen dem Kreml nahe, sie wurden unter anderem auch deshalb reich, weil sie sich die Gunst Putins erwarben, und deshalb sind sie auch auf die Sanktionsliste gekommen. Oligarchen, die die Kriegskasse von Putin füllen, wären in ähnlicher Weise Gehilfen wie die Schergen der Mafia».
Putin soll seine Kriegsziele im Kreml dargelegt haben. Wer dabei zuhörte, habe dessen Kriegskasse gefüllt und sei dadurch wie ein Scherge der Mafia. Das ist eine dermassen verwegene und rechtsferne Konstruktion, dass sie jedem Unrechtstaat wie Russland gut anstünde. Aber damit nicht genug. Die so beschlagnahmten Gelder sollen nicht dem allenfalls legitimen Eigentümer, also Russland, zurückgegeben werden. Sondern an den korruptesten Staat Europas ausgehändigt, damit der damit einen «Wiederaufbau» finanziere.
Um das zu erreichen, verbiegt ein Rechtsprofessor das Recht, dass es nur so quietscht. Er behauptet eine «Rechtsgrundlage» für das rechtsstaatwidrige Einziehen von Geldern und deren rechtsstaatwidrige Verwendung für einen völlig unklaren Zweck. Um das hinzuwürgen, braucht es die Anwendung eines Mafia-Paragrafen auf die russische Regierung, die zur kriminellen Organisation erklärt werden sollte. Von Schweizer Bundesgericht. Würde das für einen solchen Murks Hand bieten, könnten Besitztümer einer stigmatisierten Gruppe nicht nur eingefroren, sondern gestohlen und verröstet werden.
Obwohl deren Reichtum weder in einem Einzelfall noch allgemein mit einer Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung namens Putin-Regime in Verbindung gebracht werden kann. Dass ein Qualitätsorgan wie Tamedia einen desorientierten Rechtsgelehrten so etwas unwidersprochen verzapfen lässt, ist beelendend.
Historische Vergleiche sind immer problematisch. Aber hier liegt er auf der Hand. Im Vergleich zu solchen abenteuerlichen Behauptungen eines Rechtsprofessors war die Gesetzgebung, mit der in dunklen Zeiten jüdisches Vermögen eingezogen, gestohlen und missbraucht wurde, geradezu vorbildlich rechtsstaatlich.
Dass ausgerechnet von einem Rechtsgelehrten ein Anschlag auf die beiden Grundpfeiler einer zivilisierten Gesellschaft unternommen wird, ist bodenlos. Eigentumsgarantie und die Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg gegen staatliche Zwangsmassnahmen zu wehren, das ist die dünne, rote Linie, die eine aufgeklärte, moderne Gesellschaft von Barbarei, Willkür und Faustrecht unterscheidet.
Was in der Schweiz herumgeboten wird, um den Diebstahl von Eigentum und die Weitergabe der Beute an ein fragwürdiges Regime zu legitimieren, geht auf keine Kuhhaut.
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