Ein Schlaganfall mit gerade einmal 49 Jahren – dieser Albtraum wurde für Sandra B. zur grausamen Realität. Ihr Partner sackte ohne Vorzeichen zusammen. Sprechen und Schreiben musste der Ostschweizer neu lernen. Dennoch möchte das Paar nach vorne blicken.
Der Mittwoch, 12. August 2020, hat sich in das Gedächtnis von Sandra Blumenschein eingebrannt. Nach einem anstrengenden Arbeitstag genossen sie und ihr Partner den Abend auf dem Sofa. Sandra Blumenschein ging ins Bett, er wollte ihr folgen. Im Schlafzimmer hörte sie, wie ihm etwas herunterfiel. «Ich dachte, es war sein Handy. In Wirklichkeit war es jedoch seine Zahnbürste, weil er in diesem Moment zusammengeklappt ist.» Er konnte sich noch aufraffen und ins Schlafzimmer schleppen, wo er schliesslich unter dem Türrahmen hingefallen ist. Sandra B. zögerte nicht lange und rief den Rettungsdienst.
Noch heute Mühe
Er kam ins Spital, musste eine Woche bleiben. Die Diagnose: Ein Schlaganfall mit gerade einmal 49 Jahren. «Es gab gar keine Vorzeichen», erinnert sich Sandra B. zurück. «Es wird angenommen, dass ein sogenanntes PFO, ein Loch im Herzen, den Schlaganfall ausgelöst hat.» Darunter würden 4 von 22 Menschen leiden – meist unbemerkt. Ihr Partner kam nach dem Spitalaufenthalt in die Reha. Zweieinhalb Monate musste er das Sprechen und Schreiben neu lernen. Ersteres bereitet ihm auch heute noch Mühe. Ansonsten ist er körperlich nicht eingeschränkt. Ein Wunder, wenn man weiss, dass in der besagten Nacht die komplette rechte Seite gelähmt war. «Mein Partner kann nun wieder 90 Prozent arbeiten. Mehr schafft er zwar nicht. Doch wir sind auch so mehr als zufrieden», sagt Sandra B. Das Paar könne wieder viele Sachen unternehmen. Nur auf grosse körperliche Anstrengungen, wie beispielsweise Achterbahnfahren, verzichten sie. Eine kleine Einschränkung, wie beide finden.
Der Zusammenbruch kam
Trotz des grossen Glücks bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Psychisch habe es sie fast mehr mitgenommen, als sie das bei ihrem Partner feststellen könne. «Anfangs habe ich nur funktioniert, bin zwischen Büro, Spital und später der Reha gependelt.» Immer wieder hat sie den Ärzten Dampf gemacht, weil sie sich ihrer Meinung nach zu wenig um ihren Partner gekümmert haben. «Ich habe mich tief ins Thema eingelesen», sagt Sandra B. Eine intensive Zeit – die ihren Tribut forderte. Nachdem ihr Partner wieder zu Hause war, kam bei Sandra B. der Zusammenbruch. «Ich habe Tag und Nacht nur noch geheult», erinnert sich die Ostschweizerin. Wenn sie einen Rettungswagen sah, bekam sie eine Panikattacke. Hilfe fand sie bei einem Mental-Coach in Rapperswil. Inzwischen geht es ihr zwar wieder gut. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, mit denen sie zu kämpfen hat. «Die Angst, dass es wieder passiert, lässt sich nicht so einfach bekämpfen. Ausserdem habe ich unter dem Gefühl gelitten, bei den Ärzten nicht so gut aufgehoben zu sein.» Sie wurden nie richtig darüber aufgeklärt, wofür die vielen Medikamente überhaupt sind, warum sie eingenommen werden müssen. Statt dessen folgten Floskeln wie «Das ist nach einem Schlaganfall Standard.» Bei einem Kontrollcheck habe der Hausarzt nicht einmal den Blutdruck gemessen – von einem Blutbild ganz zu schweigen. «Ich reagiere seither auf jedes Bisschen. Das ist die Angst», sagt Sandra B. Man lebe dadurch aber auch bewusster und dankbarer. Sie hätten sich mit der Naturheilkunde auseinandergesetzt, gute Erfahrungen gemacht und liebe Menschen kennengelernt. Zeit also, nach vorne zu blicken. «Man sollte jeden Tag geniessen. Man weiss nie, wann es vorbei ist.» Als Paar sei man noch näher zusammengerückt. Und habe nun ein bisschen Alltag wieder aufgenommen, wage nun zum ersten Mal wieder eine Fernreise. Denn, so Sandra B.: «Uns ist noch bewusster geworden, was wir aneinander haben. Und das schätzen wir.»
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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