Regierungspräsident Stefan Kölliker, Regierungsrätin Heidi Hanselmann und Regierungsrat Martin Klöti im Podiumsgespräch mit Moderatorin Ladina Spiess (v.l.n.r.) zur Strategie Frühe Förderung im Kanton St.Gallen
Bei einer Fachtagung zum Thema «frühe Förderung» sprach die frühere SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter über ihre Geschichte als Mutter. Dabei überraschte sie mit ihrer Offenheit - und dem Bekenntnis, durch ihren Lebensverlauf heute «mehr Sozi» zu sein, als das die Menschen im Saal wohl glauben.
Über 200 Fachpersonen aus Praxis und Forschung, Behördenmitglieder sowie weitere Interessierte nahmen am vergangenen Samstag teil an der kantonalen Fachtagung Frühe Förderung im Würth Haus Rorschach. Die Tagung zeigte auf, wie wichtig eine sichere Bindung von Kindern zu engen Bezugspersonen ist und dass diese aktiv gestaltet werden kann.
Begleitet von ihrem Teddybären betrat Tagungsmoderatorin Ladina Spiess die Bühne. Dem Publikum verriet sie die Symbolkraft dieses Bären - eine Vater-Tochter-Geschichte, die von Bindung und Vertrauen erzählt und die von den nachfolgenden Referenten als Beispiel einer sicheren Bindung wiederaufgenommen wurde.
Regierungspräsident Stefan Kölliker nutzte das Grusswort, um die grosse Bedeutung der Frühen Förderung - sowohl sozial- und bildungs- wie auch gesundheitspolitisch - zu betonen: «Frühe Förderung ist ein Querschnittthema, das eine politische Zusammenarbeit erfordert.»
Mit seiner Strategie Frühe Förderung zähle der Kanton St.Gallen schweizweit zu den Vorreitern. Dabei habe der Einbezug von Gemeinden, Schulen und Praxis wesentlich zur Durchsetzungsfähigkeit und politischen Akzeptanz beigetragen.
Die gemeinsame Tagung als Zeichen der Vernetzung
In der Podiumsdiskussion am Samstag an der Fachtagung Frühe Förderung in Rorschach waren sich die Mitglieder der Regierung Stefan Kölliker, Heidi Hanselmann und Martin Klöti einig, dass die Zusammenarbeit ihrer Departemente und damit auch die stärkere Vernetzung der betroffenen Fachbereiche ein grosser Gewinn ist.
Regierungspräsident Stefan Kölliker, Regierungsrätin Heidi Hanselmann und Regierungsrat Martin Klöti im Podiumsgespräch mit Moderatorin Ladina Spiess (v.l.n.r.) zur Strategie Frühe Förderung im Kanton St.Gallen
Die Massnahmen aus der Strategie werden umgesetzt und zeigen Wirkung. So stellte Martin Klöti mehr als eine Verdoppelung der Anzahl Familienzentren über die letzten drei Jahre fest. Sie sind in der frühen Kindheit wichtige Akteure in den Themenfeldern Soziales, Gesundheit und Bildung. Heidi Hanselmann betonte die Wichtigkeit, werdende Eltern bereits in der Phase vor der Geburt zu erreichen, denn ein gesunder Start des Babys ins Leben wirkt nachhaltig für Mutter, Vater und Kind. Zudem sei es wichtig, Tabuthemen zu knacken, etwa die Haltung, Mutterglück als Selbstverständlichkeit anzusehen: «Das Perinatale Unterstützungsnetz «Mutterglück!?» zeigt, dass dies dringend notwendig ist.»
Mehr Beachtung benötigt laut Stefan Kölliker die immer grösser werdende gesellschaftliche Heterogenität. Es sei sicherzustellen, dass die Chancengerechtigkeit für die Kinder beim Schuleintritt gewahrt bleibt. Im Bereich der Elternbildung im Frühbereich habe das Parlament die Ressourcen leider nicht im gewünschten Umfang bewilligt, womit der Ausbau nicht im ursprünglich geplanten Grad möglich geworden sei.
Bindung ist lebensnotwendig
Die Entwicklung einer sicheren und emotionalen Bindung eines Kindes an seine Eltern ist ein bedeutender Schutzfaktor in der kindlichen Entwicklung. «Emotionale Bindung ist so wichtig für das Überleben wie die Luft zum Atmen», verdeutlichte der Münchner Professor Karl Heinz Brisch. Praxisnah und mit Videobeispielen veranschaulichte er die Verhaltensweisen kleiner Kinder mit unterschiedlicher Bindung zu ihren Bezugspersonen.
An die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik appellierte er, in die bindungsbasierte Prävention im frühen Bereich zu investieren, sowohl pränatal wie auch postnatal. Der Hamburger Professor Gerhard Süess betonte, dass Kindertagesstätten mit hoher Betreuungsqualität sich als wichtiges Armutsbekämpfungsprogramm bewähren: «Die Kinder bringen später bessere Schulleistungen und werden bessere Abschlüsse machen.» Zudem zeige sich, dass Kindern ohne Kita-Erfahrung oft der Kontakt mit Gleichaltrigen fehle. Diese sei aber für eine gesunde Entwicklung notwendig.
Über 200 Interessierte setzten sich an Tagung «Frühe Förderung» mit der emotionalen Bindung von Kleinkindern zu ihren Bezugspersonen auseinander.
Vertiefung in Themen-Ateliers
Die Pausen wurden rege für Austausch und Vernetzung genutzt. Zudem luden verschiedene Fachstellen die Tagungsteilnehmenden mit Informationen zu ihren Angeboten auf einen Marktplatz ein. Am Nachmittag bot sich den Teilnehmenden die Gelegenheit, eines von sieben angebotenen Ateliers zu besuchen, um ein Thema zu vertiefen: Präventionsprogramme STEEPT und SAFE®, Erfahrungen aus der Praxis der Kinderärztin, Eingewöhnungsmodell der Kitas der Stadt Zürich, Einblick in die Babysprechstunde der KJPD, Erfahrungen aus einer Eltern-Kind-Station der Psychiatrie sowie Kunstbegegnung aus Kinderperspektive.
Mutterglück - keine Selbstverständlichkeit
Beeindruckend erzählte die ehemalige SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter im Schlussgespräch davon, wie ihr Leben mit der Geburt ihres ersten Kindes eine Wende nahm. Wie es ist, am Morgen nicht aufstehen zu können, was sie ohne diese Erfahrung früher als Faulheit bezeichnet hätte. Was es heisst, sich einzugestehen, dass nicht das Kind falsch ist, dass vielmehr mit der eigenen Person etwas nicht stimmt.
Und sie erzählte vom Glück, in ihrem Mann einen unterstützenden und feinfühligen Partner zu haben, der die Signale richtig deutete, so dass sie rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen konnte. Sie betonte, wie wichtig es für sie und ihre Familie ist, dass sie über ihre Erkrankung von Beginn an offen reden konnten und wie dies heute das Vertrauen zwischen ihr als Arbeitgeberin und ihren Mitarbeitenden positiv beeinflusst: «Ich bin mehr Sozi, als ihr hier im Saal vielleicht denkt.»
Heute kann Jasmin Hutter das Muttersein geniessen. Die Krankheit hat sich nicht aus ihrem Leben verabschiedet. Doch sie hat gelernt, diese ins Leben zu integrieren und achtsam mit sich selbst zu sein.
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