Der Kanton St.Gallen schliesst - faktisch - mehrere Landspitäler. Irgendwo im Rheintal fasst sich ein alt Regierungsrat an den Kopf. Und dass die Probleme gelöst sind, glaubt ja ohnehin kaum jemand. Das Ganze zeigt: Man kann auch viel zu spät das völlig Falsche tun.
40 Spitäler für die ganze Schweiz: Das reicht. Diese These geistert förmlich seit Jahrzehnten herum. Und das Problem daran ist: Vermutlich stimmt sie. Macht man es intelligent, müsste kein Schweizer bei 40 Spitälern gesundheitlich darben. Niemand müsste Angst haben, nicht rechtzeitig auf einem OP-Tisch zu liegen. Wenn man es schlau macht. Denn auch wenn wir die unwiderstehlichste Schokolade und den besten Käse der Welt machen, eines schleckt keine Geiss weg. Wir sind richtig, richtig klein. Nicht im übertragenen Sinn. Im wörtlichen. Es wäre machbar.
So gesehen müsste man bei jedem Spital, das geschlossen wird, jubeln. Nur: Spitäler werden nicht vom Bund geplant, sondern von den Kantonen. Und es ist nicht anzunehmen, dass sich ein einzelner Kanton einschränkt in der Hoffnung, die anderen täten es auch. Also hält man am Status quo fest, sollen doch die anderen mit den Schliessungen anfangen.
Was uns zur grundsätzlichen Erkenntnis führt: Wir haben zu viele Spitäler für einen wirtschaftlichen Betrieb, und kein einzelnes Glied der Kette will bei sich etwas ändern.
St.Gallen tut das nun, scheinbar. Aber nicht als Signal an die Restschweiz, sondern aus höchster Not. Unsere neun Spitäler rentieren nicht mehr. Buchstabiert man bei der Zahl der Spitäler zurück, tun sie es dann wieder. Das ist das Signal, das der Kantonsrat ausgesendet hat, als er die Marschrichtung der Regierung unterstützt hat. Weg mit vier Landspitälern, und alles wird gut.
Man darf das glauben. Genau wie man 2014 glaubte, man könnte hunderte von Millionen Franken in ein System pumpen, das ganz grundsätzlich nicht mehr funktioniert. Hat ja auch wunderbar funktioniert, wir sehen es derzeit gerade.
Es ist beängstigend einfach, den Menschen in Wattwil, Flawil, Rorschach und Altstätten ein nostalgisches Festhalten an ihren Spitälern vorzuwerfen. Sie wollten, so der indirekte Vorwurf, gewissermassen ihre Pfründe verteidigen auf Kosten des Gesamtwohls. Das würde stimmen, wenn hinter den Schliessungen ein genialer Masterplan stehen würde. Dann müsste man sagen: Gebt euren Widerstand auf, denn wir wissen, wie wir es so machen können, dass es für alle wieder funktioniert. So dass alle gut versorgt sind - und die Zahlen stimmen auch.
Aber wer den St.Galler Spitalplanern diesen Masterplan zutraut, ist wirklich ein gutgläubiger Geselle. Nicht nach allem, was war. Manchmal fragt man sich in einem Anflug von schwarzem Humor: Was tun diese Leute eigentlich beruflich so?
Als vor mittlerweile vielen Jahren CVP-Regierungsrat Anton Grüninger darauf hinwies, dass Spitäler wegmüssen, wurde er danach via Abwahl dazu gezwungen, seine Arbeit als Rechtsanwalt wieder aufzunehmen. Verhungert ist er darob kaum. Vermutlich hat er sogar an Lebensqualität gewonnen. Aber es war eine Schmach. Eine unverdiente. Er wurde damals, zu einer Zeit, als der oben erwähnte Masterplan vielleicht sogar noch möglich gewesen wäre, abgestraft für klare Worte. Sogar bürgerliche Politiker, die sonst jeder Einsparung zugänglich sind, gingen auf die Strasse für «ihr» Spital. Das Ergebnis waren unheilige Allianzen: Steht man sich gegenseitig bei, muss vielleicht keiner verschwinden. Einer für alle, alle für einen.
Die Rechnung ging auf. Es verschwand kein Spital. Im Gegenteil, es wurden dramatisch hohe Summen für den Ausbau dieser Spitäler gesprochen. Die später teilweise in denkbar undemokratischer Weise wieder gestrichen wurden, aber das ist nicht einmal das Schlimmste.
Denn was auch nicht verschwand, waren die Probleme.
Die Frau, die nach Grüningers Abwahl die dramatische Situation aussass und sich stattdessen lieber am «Tag der Kranken» werbewirksam für die Medien fotografieren liess, war SP-Regierungsrätin Heidi Hanselmann. In ihrer Amtszeit von stolzen 16 Jahren wurde nichts besser, vieles schlechter. Für den Kanton St.Gallen, aber nicht für sie, denn im Unterschied zu Anton Grüniger wurde sie stets wiedergewählt. Aber wer wollte sich denn schon beklagen, wenn ja die Spitäler erhalten blieben?
Heidi Hanselmann ist eine grandiose Politikerin, sie spielt in derselben Liga wie Angela Merkel: Egal, was sie tat, es bleibt nicht an ihr hängen. Sie geniesst ihren Vorruhestand auf den schönen Wanderwegen rund um Walenstadt, während die St.Galler Gesundheitsversorgung ums Überleben kämpft. Aber kaum einem ist das eine Zeile wert.
Es war ein klassischer Pyrrhussieg: Man vermied die Schliessung, gleichzeitig verdichtete sich die ohnehin schon prekäre Situation der Landspitäler zu einer regelrechten Katastrophe. Es war ein Ende mit Ansage. Nun ist Hanselmann weg, die Spitäler auch bald.
Es ist ein bisschen, als würde der CEO eines Konzerns sein Unternehmen schlittern lassen, aber jedem Kadermitarbeiter laufend einen satten Bonus auszahlen, damit er ruhig bleibt. Und bevor das Kartenhaus einstürzt, verschwindet der CEO. Soll jemand anders die Karten aufheben. Was geht mich das noch an?
Der Kantonsrat spielt nun mit. Er schluckt das neue Modell der Regierung. Er schliesst Landspitäler. Auf welcher Grundlage? Auf den Mutmassungen derselben Leute, die jahrelang zusahen, wie die St.Galler Spitallandschaft in Schieflage gerät. Das ist, man kann es nicht anders sagen, eine ausgeprägte Lernschwäche, und bei jedem Primarschüler würde man den schulpsychologischen Dienst rufen. Was man bei gewählten Volksvertretern leider nicht tun darf.
Nein, die Lage ist nicht einfach, das geben wir den Betreffenden. Es gibt viele Baustellen, und sie sind komplex. Aber manchmal offenbart die Gesamtschau auch, dass einiges simpler wäre als angenommen. Am einfachsten lässt sich der Widersinn dessen, was derzeit passiert, vermutlich am Zweikampf Wil versus Wattwil zeigen. Nehmen wir an, ein Discounter wie Aldi oder Lidl müsste seine Standortpolitik anpassen. Würde er dann in Wil investieren, das von nahegelegenen Konkurrenten förmlich umzingelt ist und wo hohe Investitionen nötig sind, um den Standort überhaupt wettbewerbsfähig zu halten? Kaum. Sie würden vielleicht eher eine Region aufpeppen, die unterversorgt ist. Das Toggenburg beispielsweise.
Aber der Vergleich hinkt natürlich, Lidl und Aldi müssen Rendite erwirtschaften. Wobei, Moment: Müssen das leider Gottes nicht auch die Spitäler? Und im Fall von Wil vs. Wattwil gab es wohl noch andere Interessen. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass das Unternehmen mit der «hochspezialisierten Pflege», das nun in Wattwil anstelle eines Spitals zum Zug kommen soll, sehr seltsame - und sehr enge - Verquickungen mit den Verantwortlichen der Spitalplanung hat. Wir kommen zu gegebener Zeit darauf zurück, versprochen.
Zu Zeiten von Anton Grüninger hiess das Zauberwort «Quadriga». Die Spitallandschaft wurde aufgeteilt. Nun haben wir «5plus4». Es sind Konzepte, die auf den Tischen von PR-Leuten entstanden sind. Sie haben wenig zu tun mit dem richtigen Leben. Sie klingen einfach gut. Nur dass zu Zeiten Grüningers alles noch irgendwie Sinn gemacht hätte. Weil sein Vorstoss wenigstens rechtzeitig kam.
Das Volk soll übrigens zum Ganzen nichts zu sagen haben. Das hat der Kantonsrat auch überdeutlich gemacht. Weil sich die ganze Sanierungsaktion dann noch länger hinstrecken würde, so das offizelle Argument der überwiegenden Mehrheit. Moment, haben wir das richtig verstanden? 16 Jahre lang wurde gewurstelt, bis es gar keinen Ausweg mehr gab, und nun, wo mühsam eine kaum taugliche Notlösung zusammengestoppelt wurde, möchte man keinesfalls eine Verzögerung durch einen Volksentscheid riskieren? Weil ja, Verzeihung, dass es schon wieder ironisch wird, der Weg der Experten bisher zum sicheren Erfolg geführt hat?
Es gibt in dieser Situation eigentlich nur eine Empfehlung. Zumindest für die Leute, die finden, in dieser verkorksten Lage hätte das Volk das Recht gehabt, sich zu äussern. Jeder sollte sich auf der Webseite des Kantons St.Gallen darüber kundig machen, welche Kantonsräte auf keinen Fall wollten, dass das Volk das letzte Wort hat. Und es gibt zumindest für diesen Teil der Bevölkerung denkbar wenig Gründe, diese Leute im Jahr 2024 wieder zu wählen. Denn ein Parlament, dass einem weniger als lauwarmem Plan zustimmt und gleichzeitig befindet, die Bevölkerung solle dazu schweigen, ist kein gutes.
Manchmal ist es erstaunlich einfach.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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