Reich, Russe, Geld in der Schweiz? Einfrieren, beschlagnahmen, enteignen. Dann in die Ukraine schicken. Und den Rechtsstaat in die Tonne treten. Unglaubliche Sittenverwilderung.
Auf den ersten Blick macht das viel Sinn. Reiche russische Oligarchen, die ihr Geld sicherlich unrechtmässig und nur durch übergrosse Nähe zum Diktator Putin erworben haben, sollen das nicht länger in der Schweiz bunkern können. Dagegen spricht schon alleine die Invasion der Ukraine.
Und wenn wir schon dabei sind: reiche Scheichs aus Saudi-Arabien, die ihr Geld sicherlich unrechtmässig und nur durch übergrosse Nähe zum Diktator Mohammed Salman al-Saud erworben haben (das ist der, unter dessen Herrschaft ein Oppositioneller in der saudischen Botschaft in der Türkei viehisch ermordet und in Einzelteilen abtransportiert wird), sollen das nicht länger in der Schweiz bunkern können oder in Genf ganze Etagen von Luxushotels anmieten. Dagegen spricht schon alleine die Invasion des Jemens.
Hoppla, das zweite Beispiel ist völlig fehl am Platz, denn Saudi-Arabien ist ein Freund des Westens und der Schweiz. Hier gilt keine Konsequenz, sondern herrscht reine Heuchelei.
Also zurück zu den reichen Russen. Von denen sind Vermögenswerte in Multimilliardenhöhe in der Schweiz beschlagnahmt. Die Postfinance wollte einem von ihnen sogar ein allen legalen Residenten in der Schweiz zustehendes Konto samt Zahlungsverkehr sperren. Erst das Bundesgericht rief den Staatsbetrieb zur Ordnung.
Aber was soll nun mit den vielen Milliarden geschehen? Die NZZ weiss: «Die Schweiz hat russische Finanzvermögen von etwa 7,5 Milliarden Franken plus 15 Liegenschaften gesperrt.»
Die NZZ weiss auch: «Namentlich der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zeigt mit dem Finger auf die Schweiz. «Wir haben Zugriff auf einen riesigen Geldtopf, der dem ukrainischen Wiederaufbau zugeführt werden kann», sagte er im Oktober an der Berliner Ukraine-Konferenz. Es handle sich um Vermögenswerte Moskaus und von russischen Oligarchen, die in der Schweiz und in vielen anderen Ländern eingefroren seien. Morawiecki schaute dabei Ignazio Cassis an, der ebenfalls anwesend war.»
Wir wissen aus Erfahrung: Wenn jemand die Schweiz oder ihren Aussenminister streng anschaut, dann zuckt der zusammen und die offizielle Schweiz schämt sich präventiv. Selbst wenn es der Ministerpräsident eines Leuchtturms von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wie Polen ist.
Also hat die Schweiz «Zugriff» auf einen Geldtopf, dessen Inhalt dem ukrainischen Wiederaufbau zugeführt werden könnte. Macht doch Sinn. Man sollte sich auch nicht davon abschrecken lassen, dass der Freund des Schwarzen Blocks, der mutige Kämpfer gegen Faschismus in Zürich und anderswo, dass «der SP-Aussenpolitiker Fabian Molina damit» rechne, «dass es in der EU eine Lösung gibt, um staatliche Gelder zu konfiszieren. «Dann wird die Schweiz unter Druck kommen, sich anzuschliessen», sagt er», berichtet ebenfalls die NZZ.
Es soll in der EU tatsächlich auch Bestrebungen geben, die Kriegsverbrechen, die das NATO-Mitglied Türkei in Syrien gegen Kurden verübt, zu kritisieren. Dass im Rahmen dieser Bemühungen auch Gelder von reichen Türken konfisziert werden sollten, ist allerdings nicht mal ein Gerücht.
Aber wir schweifen schon wieder in den Bereich Doppelmoral und Heuchelei ab. Zurück zu den reichen Russen. Geld arretieren, konfiszieren, der Ukraine schenken. Die macht Kriegsschäden von inzwischen über 750 Milliarden US-Dollar geltend. Da wären die 7,5 Milliarden in der Schweiz zwar nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin. Oder nicht?
Oder nicht. Denn es gibt auf dem Weg dahin ein paar für Dummschwätzer wie Molina unbedeutende Hindernisse. Das erste trägt den Namen Rechtsstaat. Trägt den Namen Eigentumsgarantie. Die steht kurz und knapp und eigentlich allgemeinverständlich in Artikel 26 der Bundesverfassung:
1 Das Eigentum ist gewährleistet.
2 Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, werden voll entschädigt.
Damit ist insbesondere ein Schutz vor staatlichen Eingriffen aller Art gemeint. Natürlich gilt diese Garantie nicht unbeschränkt; unter bestimmten Umständen kann enteignet werden. Dazu braucht es allerdings eine Gesetzgebung, ein öffentliches Interesse und die Verhältnismässigkeit des Eingriffs. Klassisches Beispiel ist eine Enteignung von Grund und Boden gegen Entschädigung, wenn eine Strasse gebaut werden soll. Wobei dagegen selbstverständlich alle möglichen Rechtsmittel eingelegt werden können.
Nun ist es aber so, dass schon die Schweizer Sanktionen gegen reiche Russen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn sprechen. Sie werden nämlich vom Bundesrat (der Exekutive!) erlassen und bestehen in einer ungeprüften Übernahme von EU-Sanktionen. Dagegen ist kein Rechtsmittel möglich, bleibt den Betroffenen der Gang vor ein Gericht verwehrt. Sie können einzig und alleine bei eben diesem Bundesrat protestieren.
Damit nicht genug. Diese Sanktionen beinhalten bislang ein Einfrieren von Vermögenswerten. Den Betroffenen wird also der Zugriff verweigert, ihr Eigentumsrecht selbst wird (noch) nicht angegriffen.
Anders sähe es aus, wenn man diese Gelder nicht nur arretieren, sondern auch schlichtweg wegnehmen würde. Wäre auch dagegen keine juristische Gegenwehr möglich, und das ist in der EU nicht angedacht, wäre das ein fundamentaler Verstoss gegen einen der Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit.
Wer dagegen argumentiert, dass besondere Umstände besondere Massnahmen erforderten, dass man doch zumindest Vermögenswerte der Russischen Zentralbank in der Schweiz enteignen könne, dass doch ein reicher Russe per Definition ein Krimineller sei, dessen unrechtmässig erworbenes Vermögen ihm als Deliktsgut weggenommen werden könne, ist ein Antidemokrat, jemand, der mutwillig und fahrlässig den Rechtsstaat Schweiz beschädigen will.
Denn zu dessen Prinzipien gehört auch, dass niemand wegen der blossen Zugehörigkeit zu einer wie auch immer gearteten Gruppe von Menschen pauschal verdächtigt oder gar verurteilt werden darf.
Es müsste also in jedem Einzelfall nachgewiesen werden, dass in der Schweiz deponierte Gelder unrechtmässig erworben wurden. Dann müssten sie allerdings, wie im Fall von Diktatorenvermögen, den rechtmässigen Besitzern zurückgegeben werden. Und das wären sicherlich nicht die Ukrainer.
Womit wir bei einem weiteren Problem angelangt wären. Bekanntlich ist die Ukraine das korrupteste Land Europas. Schon vor dem Krieg weit entfernt davon, nach rechtsstaatlichen oder demokratischen Prinzipien zu funktionieren. Das hat sich durch den Krieg, die damit einhergehende vollständige Pressezensur und die Unterdrückung jeglicher Opposition nicht verbessert.
Wer also fordert, dass Vermögenswerte reicher Russen in der Schweiz beschlagnahmt und der Ukraine zur Verfügung gestellt werden sollten, um die Schäden durch die russische Invasion zu reparieren, ist kein gutmeinender Gutmensch, sondern ein Gefährder der wichtigsten Säulen unseres zivilisierten Zusammenlebens. Ein Gefährder des Rechtsstaats, der Eigentumsgarantie und des Prinzips, dass niemand seine Unschuld beweisen muss und dass jeder das Recht hat, sich gegen staatliche Massnahmen juristisch zur Wehr zu setzen.
Abgesehen davon, dass der tolle Satz «damit wird der Wiederaufbau der Ukraine unterstützt», ein Euphemismus im Wolkenkuckucksheim ist, angesichts der Unart des ukrainischen Regimes, von Militär- und Hilfsgeldern grosse Brocken im Korruptionssumpf verschwinden zu lassen.
Es ist allgemein bekannt: jedes Land, jede Regierung, die fordert: gebt uns Geld, wir wissen selbst am besten, wie wir das sinnvoll ausgeben können und verwahren uns gegen jede Kontrolle, weil das eine Beleidigung wäre, ist korrupt und wird Teile der Hilfsgelder veruntreuen.
Das alles bedeutet selbstverständlich nicht, dass alle russischen Reichen ihr Vermögen als lupenreine Demokraten oder auf legale Weise erworben hätten. Sollte das aber nicht der Fall sein, müsste man es jedem Einzelnen im Einzelfall nachweisen, und zwar rechtsgültig. Aber solche Petitessen sind populistischen Schreihälsen völlig egal. Deshalb muss ihnen Einhalt geboten werden.
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