logo

INTERVIEW

Experte Markus Markstaler zu Photovoltaik in der Landwirtschaft: «Es wird nicht zu Solarparks auf der grünen Wiese kommen»

Unten wachsen Heidelbeeren, oben entsteht erneuerbare Energie: Mit Agri-Photovoltaik lassen sich landwirtschaftliche Flächen doppelt nutzen. Interview mit Markus Markstaler vom IES Institut für Energiesysteme der OST.

Die Ostschweiz am 07. November 2023

Interview: Ursula Ammann, Ostschweizer Fachhochschule (OST)

Markus Markstaler, was spricht für die Kombination aus Lebensmittelanbau und Photovoltaik?

Boden ist ein rares Gut, mit dem man sorgsam umgehen muss. Die Agri-Photovoltaik ermöglicht es, auf derselben Fläche sowohl Lebensmittel als auch Strom zu produzieren. Im Hinblick auf die Umstellung hin zu einer erneuerbaren Energieversorgung sind wir auf solche zusätzlichen Möglichkeiten angewiesen. Zwar kann Solarenergie zum grössten Teil auf Dächern erzeugt werden, aber es braucht auch alternative Lösungen.

Endet das nicht in einer Verschandelung der Landschaft, wenn Agrarland mit Solarpanels übersät wird?

Zum einen geht es nur um kleine Parzellen. Wir sprechen von einer Fläche von wenigen Fussballfeldern pro Gemeinde. Zum anderen kommen als Standorte nur Landwirtschaftsflächen in Frage, die unmittelbar an die Bauzone angrenzen – zum Beispiel solche, die am Siedlungs- bzw. Stadtrand liegen. Denn für die Agri-Photovoltaik braucht es eine gute Netzinfrastruktur. Es würde keinen Sinn machen, lange Leitungen auf die grüne Wiese zu ziehen. Weder energietechnisch noch ästhetisch noch wirtschaftlich. Agri-Photovoltaikanlagen kommen zudem vor allem bei Kulturen zum Einsatz, die bereits heute eine Schutzeinrichtung wie etwa Hagelnetze oder Folientunnels benötigen.

Also keine Investoren, die irgendwo draussen auf dem Feld einen Solarpark errichten?

Agri-Photovoltaikanlagen müssen per Gesetz vom Bauern oder der Bäuerin finanziert und betrieben werden. Für Investoren wären sie ohnehin nicht interessant. Für die Bauernbetriebe lohnen sie sich hingegen schon, weil sie sowohl Lebensmittel als auch Strom ernten können. Die Anlagen müssen jedoch zahlreiche Bedingungen erfüllen. Es wird nicht zu Solarparks auf der grünen Wiese kommen.

Bei welchen Kulturen macht Agri-Photovoltaik Sinn und bei welchen nicht?

Agri-Photovoltaik eignet sich vor allem für den Beeren- und Obstbau oder auch für den Weinbau. Weniger Sinn macht sie bei einjährigen Pflanzen, im Futtermittelanbau oder auf Weideflächen.

Aber hindern solche Anlagen die Beerenstauden oder Obstbäume nicht am Wachsen, indem sie ihnen Licht wegnehmen?

Es ist so, dass die Pflanzen dadurch weniger Licht bekommen. Aber gerade den Beeren macht dies nichts aus. Sie wachsen natürlicherweise im Wald, sind also schattenbedürftig. Hier können Agri-Photovoltaikanlagen sogar zu einem Ertragsplus führen. Bei sonnenbedürftigen Kulturen wie beispielsweise Kirschen oder Zwetschgen gibt es eine Konkurrenzsituation zwischen Pflanze und Photovoltaikanlage, was auf beiden Seiten zu einer Ertragsreduktion führt. Doch selbst dann ist der Ertrag in der Summe pro Fläche höher. Gleichzeitig gilt es auch festzuhalten, dass die Solarpanels diese empfindlichen Kulturen vor Wetterextremen wie beispielsweise Hagel und Hitze schützen und insofern Ertragsausfälle verhindern können. Durch den Klimawandel ist mit einer Zunahme dieser Extreme zu rechnen, deshalb wird diese Schutzfunktion immer wichtiger.

Ein Hagelnetz, das lichtdurchlässiger ist als eine PV-Anlage, würde diesen Schutz doch auch bieten?

Ja, aber ein Hagelnetz produziert keinen Strom. Entscheidend ist letztlich die Aufteilung des Lichts. Die Photovoltaikanlage benötigt eine Mindeststrahlung, damit sie sich amortisiert. Und die Pflanzen brauchen ein gewisses Mass an Sonnenstrahlung, damit die Ernte zufriedenstellend ausfällt. Die Frage ist, wie sich aus der Fläche in beiden Bereichen das Optimum herausholen lässt. Hier ist die Forschung gefordert. Deshalb engagieren wir uns an der OST für dieses interdisziplinäre Thema.

Gibt es konkrete Projekte?

Wir haben untersucht, wie sich Wein- und Stromproduktion kombinieren lassen. Im Weinbau besteht durch den Klimawandel die Herausforderung, dass die Reben durch die oft schon warmen Temperaturen Anfang Jahr zu früh austreiben. Durch den Spätfrost können die jungen Triebe aber wieder absterben. Unser Versuch bestand darin, die Reben im Frühstadium mit einer dynamischen Photovoltaikanlage zu überdachen und somit am zu frühen Austreiben zu hindern. Im späteren Stadium diente die Anlage dazu, die jungen Triebe über Nacht vor dem Frost zu schützen. Tagsüber konnte die Anlage geöffnet werden, um Sonneneinstrahlung zu gewährleisten.

Was war die Erkenntnis?

Es gibt durchaus attraktive Konzepte von Agri-Photovoltaik im Weinbau. Fest steht auch, dass die Qualität des Weines nicht darunter leidet.

Werden Agri-PV-Anlagen vom Bund gefördert?

Ja, hier gelten die gängigen Einmalförderungen, die der Bund für Photovoltaikanlagen vergibt. Es handelt sich um dasselbe Förderprogramm, das auch bei PV-Anlagen auf Dächern zum Tragen kommt.

Wie verbreitet sind Agri-Photovoltaikanlagen in der Schweiz?

Derzeit ist circa ein halbes Dutzend Anlagen in Betrieb und viele sind in Planung. In der Ostschweiz gibt es noch keine Projekte, aber insbesondere im Kanton Thurgau und im St.Galler Rheintal wären solche gut denkbar.

Weiterbildungen im Bereich Energiesysteme

Die technische Vielfalt nachhaltiger Energiesysteme erfordert ein breites technisches Grundverständnis. Die Weiterbildungen der OST – Ostschweizer Fachhochschule im Bereich Energiesysteme vermitteln praxisorientiertes Wissen dazu. Wer sich auf dem Gebiet der Photovoltaik bzw. auch Agri-Photovoltaik spezialisieren möchte, kann sich im MAS Energiesysteme oder im CAS Elektrische Energiesysteme zusätzliche Kompetenzen aneignen.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Die Ostschweiz

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund 300'000 Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG, ein Tochterunternehmen der Galledia Regionalmedien.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.