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Waldmeyers Glosse

Fährt Waldmeyer 2035 elektrisch?

2035 ist bald. In der EU sollen dann nur noch CO₂-freie Fahrzeuge verkauft werden. In der Schweiz wohl auch, denn wir tun immer das, was die EU tut, nur freiwillig, ohne dabei zu sein. Waldmeyer bleiben nur wenige Optionen.

Roland V. Weber am 16. September 2022

Das mit dem Verbot von Verbrennerfahrzeugen ist beschlossene Sache: Ab 2035 dürfen in der EU nur noch CO₂-freie Fahrzeuge verkauft werden. Gemessen wird am Auspuff. Es spielt also keine Rolle, wie die (elektrische) Energie produziert wird. Mehr als fraglich ist zudem, ob überhaupt Strom in genügender Menge zur Verfügung stehen wird und wie sie ins Auto reinkommt. So rettet Brüssel die Welt. Und die Schweiz wird mitmachen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Damit wird indessen ein technologisch umweltfreundliches Gesamtkonzept verhindert.

Und was macht der Rest der Welt? In der Tat steht Europa alleine da. Der Rest der Welt entwickelt die Verbrennungsmotoren nämlich immer weiter - mit dem Ziel, deren Effizienz zu verbessern und die Umweltbelastung zu reduzieren.

Europa wird 2040 also die Umweltbelastung immer noch am Auspuff messen (den es dann gar nicht mehr gibt), die Fahrzeuge aber vermutlich immer noch mit teilweise dreckiger Energie tanken. Immerhin entsteht so, zumindest gefühlt, eine saubere Luftsäule genau bis an die Aussengrenzen Europas.

Allerdings stellt der Automobilmarkt Europas nur gut 20 Prozent des weltweiten Marktes dar. Der Rest der Welt wird auch nach 2035 «technologieoffen» bleiben. China wird demnächst für mehr als einen Drittel des weltweiten Absatzmarktes verantwortlich sein, und das grosse Reich der Mitte entwickelt laufend immer effizientere und sauberere Verbrennerfahrzeuge. Intelligenterweise erfolgen diese Technologieanstrengungen parallel zur Elektro-Offensive. In Europa wird die Automobilindustrie angesichts der Vorschriften kaum mehr in die Forschung und Entwicklung von Verbrennungsmotoren investieren. Die Chinesen werden uns also links überholen.

Waldmeyer stellte sich vor, wie es in unseren Städten ab 2035 aussehen könnte. Die Energiekrise wird dannzumal mit voller Wucht unser Leben erfasst haben. Gas gibt´s nur beschränkt, Atomkraft ist verboten, Diesel und Benzin sauteuer. Blackouts sind an der Tagesordnung. Nachdem die Politik den ganzen Energiebedarf der Haushalte, der Industrie und des Verkehrs auf elektrisch umgestellt hatte, gleichzeitig es aber an der Versorgung mit dieser Elektrizität mangelt, wird es schlicht und einfach an Strom fehlen. Der Ausbau der Stauseen und die Erstellung von Pumpspeicherkraftwerken wird die Schweiz verpasst haben, und eine anderweitige Speicherung des Stroms, welcher zum Beispiel der Sonne abgetrotzt wird, wird dannzumal noch kaum flächendeckend möglich sein. In der Nacht und im Winter wird´s also düster – und kalt. Waldmeyer stellte sich vor, wie abends in den Strassen der Städte Abfälle in alten Öltonnen brennen, und nicht nur die Randständigen, sondern auch der Mittelstand wärmt sich in den kalten Winternächten so um die spärlichen Feuer. Die Leute stehlen einander Brennstoff, um heimlich irgendeinen Generator laufen zu lassen, nur schon, um vielleicht ihr Handy aufladen zu können. Brandschatzende Horden ziehen durch die Strassen und klauen alles, was mit Energie zusammenhängt. Nur die Gutsituierten können sich etwas besser organisieren: In den Gyms treten sie fleissig in die Pedale, um mit dem so erzeugten Strom Energiezertifikate erwerben zu können. Damit kann anschliessend beispielsweise ein elektrifiziertes Lastenrad aufgeladen werden. Waldmeyer stellte sich weiter vor, dass er ein solches Ungetüm dann wohl oder übel auch ohne Elektrounterstützung betreiben müsste – zumal er nicht gerne ins Gym geht.

«Du übertreibst wieder einmal masslos mit deinen Visionen, Max», unterbrach Charlotte Waldmeyers laut artikulierte Reflexionen.

Aber Waldmeyer reflektierte weiter. Ein Lastenrad ist nämlich eine Strafe: für den Betreiber, die anderen Verkehrsteilnehmer, aber auch für den Beobachter. Denn optisch ist ein Lastenrad wirklich sehr hässlich. Zudem ist es gefährlich, das Ding lässt sich kaum richtig abbremsen, und um die Kurve geht´s auch nur mühsam. Ein Lastenrad versprüht zudem diese invasive Aura von zwanghaftem Grün-Sein, es ist ein politisch starkes Signal. Das mag bisweilen gewollt sein, ist auf jeden Fall aber ein Etikett. Waldmeyer fürchtete sich ganz einfach davor, längerfristig nicht darum herumzukommen.

Waldmeyer prüfte also die Angebote an Lastenrädern: Die peinlichen Gefährte, wenn ohne Elektrounterstützung, gibt es bereits ab gut 2000 Franken. Gegen oben ist die Skala offen. Ein «Load 75» beispielsweise, ein wahres Flaggschiff unter den Lastenrädern, kostet gut und gerne 10'000 Franken. Waldmeyer war indessen nicht schockiert, denn er wusste, dass in den Schweizer Städten allerlei Bestrebungen von linken und grünen Parteien im Gange sind, diese «Cargo Bikes» mit mehreren Tausend Franken (oder bis zu einem Drittel des Anschaffungspreises) zu subventionieren.

Bis vor kurzem war man beim Anblick dieser fahrenden Gestelle noch amused. Im Laufe der Zeit kippte die Aussenwirkung dieser unpraktischen Fahrzeuge indessen und sie wurde zur Provokation. Denn die Lastenräderfahrerinnen strahlen immer so eine elitäre Überlegenheit aus, sie versprühen diese Arroganz der Weltenretterinnen. 2035, so befürchtet Waldmeyer, hätte man sich an diese lächerlichen Verkehrsmittel, die sich insbesondere bei Schnee und Regen und an Steigungen nicht als Verkehrshilfen, sondern als Verkehrshandicap profilieren, leider gewöhnt.

Waldmeyer hoffte indes, dass dannzumal nebst Lastenrädern auch technologisch hoch entwickelte und ökologisch optimierte Verbrenner-Autos, wenn auch aus China, wieder verkauft werden dürften. Vielleicht werden einsichtige Politiker bei uns erkennen, dass die Gesamtbelastung dieser modernen Fahrzeuge immer noch besser ist als elektrische Dreckschleudern mit Energie aus schmutzigen deutschen oder polnischen fossilen Kraftwerken.

Wie dem auch sei: 2035 wird es definitiv an Strom fehlen. Aus der Steckdose wird´s da kaum mehr genug geben.

Doch es gibt einen Lichtblick: Der mit Diesel betriebene Schwerverkehr wird auch nach 2035 noch kaum elektrisch fahren können. Das hängt mit den mangelnden Reichweiten der Batterien für die schweren Brummer zusammen, auch weil der Fernverkehr eben international stattfindet und die Elektroversorgung und ein rasches Aufladen für hohe Kapazitäten bis dann unmöglich bereitgestellt sein dürfte. Auch die viel diskutierten Wasserstofflösungen werden 2035 noch nicht in Marktreife verfügbar sein. Also könnte es noch Diesel geben auf dem Markt!

Ein Teil des alten privaten Fahrzeugbestandes wird ohnehin auch nach 2035 noch weiter rollen; Benzin wird es nach ein paar Jahren allerdings vielleicht nur noch in der Apotheke geben. Bertha Benz musste sich wohl mit einer ähnlichen Versorgungslage auseinandersetzen, als sie 1888 das welterste Automobil über die staubigen Strassen Deutschlands prügelte.

Zumindest Diesel jedoch wird auch lange nach 2035 noch an Tankstellen erhältlich sein – nur schon wegen des Schwerverkehrs. Doch zu welchem Preis?

Waldmeyer müsste infolgedessen entscheiden: Was sollte er sich 2034 anschaffen, das auch nach 2035 noch nachhaltig betrieben werden könnte? Waldmeyer hätte eigentlich nur drei Optionen:

Einerseits ein Lastenrad, andererseits eine moderne Dieselkarre (noch vor dem 31.12.2034 gekauft). Oder, aber eben erst später und nur vielleicht, ein modernes chinesisches Verbrenner-Auto. Am sichersten wäre indes wohl das Lastenrad. Also doch. Und um Waldmeyers eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob er 2035 elektrisch fahren würde: Waldmeyer hofft, zumindest teilweise, oder wenigstens ab und zu, ja, etwas elektrisch fahren zu dürfen - wenn sein Lastenrad ein bisschen aufgeladen werden dürfte. Ansonsten würde die Antwort lauten: Nein, er wird 2035 zwar ein Lastenrad fahren, aber dieses nicht elektrisch, sondern nur mit Muskelkraft bewegen. Das sind ziemlich trübe Aussichten – vor allem, nachdem Waldmeyer kurz nachgerechnet hatte, wie alt er sein würde im Jahr 2035.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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