Frauencheftrainerin Marisa Wunderlin vom FC St.Gallen.
Am Samstag gilt es ernst: Die erste Frauenequipe des FCSG tritt um 17 Uhr gegen YB an. Cheftrainerin Marisa Wunderlin durchlebt deshalb ein Wechselbad der Gefühle. Was sie über die Frauen-WM, Menstruationsgeschichten und ausländische Talente wirklich denkt.
Die Tage sind kurz, die To-do-Liste lang, Nervosität mischt sich mit grosser Vorfreude – kurz vor Saisonstart bedeutet eben auch ein bisschen Ausnahmezustand für die Cheftrainerin der ersten Frauenequipe des FCSG, Marisa Wunderlin. «Ich bin jemand, der die Vorbereitungszeit geniesst. Sie ist weniger getrieben von der Analyse des Gegners, stattdessen gibt es mehr Kapazität für die Mannschaftsentwicklung», fasst sie es im Gespräch zusammen.
Ziel Cupsieg oder Meistertitel
Der Druck dürfte ebenfalls nicht zu klein ausfallen. Schliesslich hat die Mannschaft eine sehr gute Saison hinter sich.
Liegt die Messlatte nun also deutlich höher als üblich? «Natürlich ist es das Ziel, immer besser zu werden. In unserem Fall würde das der Cup-Sieg oder gar Meisterschaftstitel bedeuten», sagt Wunderlin.
Doch konzentriere sich die Mannschaft lieber darauf, was die Spielerinnen mit ihren persönlichen Leistungen beeinflussen können. Man sei strukturell und in punkto Professionalität und Bedingungen der Spielerinnen noch nicht so weit, dass man sagen könne, ein Titelgewinn wäre selbst beim Abrufen des maximalen Potenzials einiger gegnerischer Teams möglich. «Wir versuchen, so gut es geht, den Fokus auf uns zu richten.»
Die Bedeutung der Weltmeisterschaft 2023
Die erhöhte Sichtbarkeit durch Anlässe wie die Weltmeisterschaft stuft Wunderlin grundsätzlich als wichtig ein. Auch wenn nicht immer die sportlichen Ereignisse im Fokus stehen.
Frauencheftrainerin Marisa Wunderlin vom FC St.Gallen.
«Nehmen wir das Beispiel des Menstruationszyklus. Früher war er ganz klar ein Tabuthema. Heute wird darüber gesprochen – und das ist nötig», sagt Wunderlin.
Abbau von Stigmata
Stigmata müssten abgebaut werden, und falls solche Geschichten dabei helfen würden: umso besser. «Die Geschichten können auch mit dem Menschen und nicht nur der Sportlerin zu tun haben. Sie helfen dabei, dass die Spielerinnen zu sehen sind, die Nahbarkeit des Frauenfussballs und Themen wie die duale Karriere von Sport und Beruf thematisiert werden. Sobald man sie kennt, werden sie auch spannender, um ihnen medial zu folgen und Spiele von ihnen zu schauen», fasst Wunderlin zusammen.
In den vergangenen Jahren sei in dieser Hinsicht viel passiert. Vorurteile sind nahezu alle abgebaut, die Anzahl lizenzierter Mädchen steige jährlich um über zehn Prozent auf aktuell gut 36’000. Und übersteige so beispielsweise die Anzahl lizenzierter Eishockeyspieler und -spielerinnen zusammen um über einen Drittel.
Es sei Fakt, dass man sich dadurch im Vergleich zum noch viel grösseren Männerfussball eher in einer Branche mit Start-up-Charakter befinde. «Historisch bedingt hinken wir in einigen Punkten 20 oder mehr Jahre hinterher. Jetzt gilt’s, zu schauen, dass wir nicht eben so lange brauchen, um die Talententwicklung oder auch die Bedingungen für die Spielerinnen denjenigen ihrer männlichen Kollegen anzupassen.»
Gleiche Chancen für jedes Geschlecht
Es gehe hier explizit nicht um die Löhne, weil diese unter anderem marktgetrieben seien. «Aber die Möglichkeit, die beste Spielerin zu werden, die mit dem vorhandenen Talent möglich ist, diese Chance sollten die Mädchen in Zukunft genau die gleiche haben wie die Jungs», findet Wunderlin.
«Dafür arbeiten wir täglich an der Verbesserung der Strukturen, an der Sichtbarkeit der Spitze und sind natürlich auch explizit auf der Suche nach Menschen und Firmen, die in unser Start-up investieren wollen.»
Verbundenheit mit der Region
Der Transfermarkt ist noch bis zum 31. August geöffnet. Doch möchte das Team lieber der Region treu bleiben.
Der Verein werde von der Region getragen, und genau diese Verbundenheit wolle man damit auch repräsentieren. Tag für Tag die unendlich vielen Mails des Internationalen Markts zu sichten, bedeute einen hohen Zeitaufwand.
Von Anfragen der spanischen Weltmeister-Fussballerin bis hin zur Viert-Liga-Spielerin sei alles mit dabei. «Die Ressourcen wollen wir lieber in unsere Mannschaft stecken», sagt Wunderlin.
Vereinstreue und ligaerfahrene Spielerinnen
Weiter fügt sie an, dass es insbesondere bei Ausländerinnen oft auch eine Budgetfrage sei. Dass man in St. Gallen auch da die ersten Schritte in der Bezahlung der Spielerinnen lieber dahingehend unternehmen möchte, dass vereinstreue und ligaerfahrene Spielerinnen mehr Zeit für Regeneration erhalten würden. Die neben der fussballerischen Leistung sehr zentrale Aspekte wie Charaktereigenschaften wie der Wille zur Entwicklung seien bei diesen Spielerinnen sowieso viel besser einschätzbar.
In diesem Jahr freut sich Wunderlin über die Neuzugänge Fabienne Dörig, Larissa Weber und Chantal Wyser. Neben einer neuen Physiotherapeutin und einem Physiotherapeuten – durch die Berit Sportclinic finanziert und in einem Teilzeitpensum angestellt -, verstärkt auch die Assistenztrainerin Natasha Gensetter die Mannschaft. Diese neue Zusammenstellung erfordere anfangs mehr Energie und Aufmerksamkeit.
«Die Erfolge werden sich erst längerfristig zeigen. Unser Staff ist besser aufgestellt denn je, was auch einen Teil der Professionalisierung aufzeigt.»
(Bilder: PD)Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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