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Wo steckt der Ballon?

Fliegende Kathedrale spurlos verschwunden – Erinnerungen bleiben

Die St.Galler Stiftskirche als Ballon – diese von Jan Kaeser entwickelte Idee begeisterte einst auf der ganzen Welt. 2015 wurde der Heissluftballon in die Dominikanische Republik verkauft. Heute fehlt von ihm jede Spur, wie Jan Kaeser sagt. Dennoch trauert er dem Objekt nicht nach.

Roger Fuchs am 01. August 2022

Bild oben: Friedrich Böringer / Wikimedia

Einer durfte übrigens nie mitfahren: der kürzlich verstorbene Bischof Ivo Fürer.

«Wenn du viel Energie in ein Projekt investierst, kommen manchmal Sachen zustande, die du nie erwartet hättest», sagt der 56-jährige Jan Kaeser, Kunstschaffender und Erfinder aus St.Gallen. Ihm und seinem Künstlerkollegen Martin Zimmermann, seines Zeichens auch Hochbauzeichner, ist es um die Jahrtausendwende gelungen, ein Projekt zu realisieren, das bis heute unvergessen bleibt: die fliegende Kathedrale. Rechtzeitig auf das Kantonsjubiläum 2003 war sie fertig, danach stieg sie noch weitere Jahre an Spezialveranstaltungen des Kantons in den Himmel. Gefahren wurde der Ballon stets von der mittlerweile pensionierten Thurgauer Ballonpilotin Marlies Nägeli. Sie bekam das Flugobjekt eines Tages auch von den beiden Kunstschaffenden geschenkt.

Aus wirtschaftlichen Gründen fasste Marlies Nägeli im Jahr 2015 den Verkauf ins Auge. Weil in der Schweiz und in Europa niemand Interesse bekundete, suchte sie gemäss Jan Kaeser an einem Ballonmeeting in Amerika nach einem Käufer, worauf sich ein Ballonfahrer aus der Dominikanischen Republik gemeldet habe. Er kaufte das einmalige Flugobjekt in der Hoffnung, dank diesem ab und an von der Insel wegzukommen und an andere Orte eingeladen zu werden. «Dies hat tatsächlich funktioniert», so Jan Kaeser. Für wieviel Geld der Ballon den Besitzer wechselte, ist ihm nicht bekannt. Was für ihn und Martin Zimmermann zählte, war die Tatsache, dass es weiterging. «Seit einiger Zeit herrscht aber grosse Ungewissheit. Ich hatte erst kürzlich wieder Kontakt mit Marlies», erzählt Kaeser, «dabei hat sie mir gesagt, dass sie seit drei bis vier Jahren nichts mehr von der fliegenden Kathedrale gehört habe. Es gab auch nichts mehr darüber zu lesen, auch nicht in der Ballonfahrerszene.» Folglich weiss derzeit hierzulande niemand, ob der Ballon mit dem Herzstück des Unesco-Weltkulturerbes überhaupt noch existiert, ob er sich in einer längeren Reparatur befindet oder nie mehr abheben wird.

Jan Käser

Jan Käser. (Bild: Roger Fuchs)

Reut es ihn nicht, dass der Ballon nicht mehr da ist? Jan Kaeser verneint. «Die Erinnerungen und die Erfahrungen bleiben für immer.» Würden seitens der Katholischen Kirche Stimmen laut, die dem Ballon nachtrauern, so würde Jan Kaeser viel mehr motivieren, wieder eine neue Idee zu entwickeln, die genau so verrückt sein kann wie der einstige Ballon. Manchmal müsse man im Leben auch loslassen können.

Wie gerne Jan Kaeser zurückdenkt, zeigt sich spätestens dann, wenn er das Album mit unzähligen Presseberichten und Fotos öffnet. Dabei schildert er noch einmal, wie er überhaupt auf die Idee kam, eine fliegende Kathedrale zu realisieren. Er sei in der Nähe der Kathedrale aufgewachsen, der Klosterbezirk war sein Spielplatz. Den mächtigen Kathedralbau erlebte er bereits in jungen Jahren immer als Gegensatz zum Erlebnis innerhalb der Kathedrale. Beim Betrachten der Deckenmalereien habe alles sehr luftig und leicht gewirkt. Er fühlte sich herausgefordert, das Schwebend-leichte mit dem schweren Bau zusammenzuführen. Eine Methode, die er oft anwendet: «Wenn du zwei Sachen, die nichts miteinander zu tun haben, zusammenbringst, entsteht im besten Fall etwas Drittes, in dem etwas vom einen und etwas vom anderen drinsteckt. Der Wiedererkennungswert ist gegeben, und dennoch irritiert es. Mit dieser Irritation arbeite ich immer wieder.»

Jan Käser

Jan Käser. (Bild: Roger Fuchs)

Damit ist auch gesagt: Die fliegende Kathedrale wäre auch ohne Kantonsjubiläum realisiert worden – allerdings nicht in dem Tempo, wie es damals vonstattenging. Den Zuschlag zur Umsetzung der Pläne bekam ein Ballonbauer aus Tschechien. Es sei eine tolle Kooperation gewesen, erinnert sich der Erfinder. Während des Jubiläumsjahrs hob der Ballon 45-mal ab, wann und wo wurde jeweils nicht angekündigt. Jedes Mal mit im Korb waren je eine Person aus zwei Gemeinden. Folglich waren am Schluss 90 Gemeinden in der Luft. Nur einer durfte nie mitfahren: Der kürzlich verstorbene Bischof Ivo Fürer. Zwar war er selbst vom Projekt ebenfalls sehr begeistert, doch hatte ihm gemäss Jan Kaeser sein Mitarbeiterstab verboten, in den Korb zu steigen – zu wichtig war er als Person.

Dass die fliegende Kathedrale bis heute unvergessen bleibt, hat für Jan Kaeser einen klaren Grund: «Dieser Ballon war nicht einfach ein Werbeträger für irgendwelche Sponsoren, dieser Ballon war ein ganzheitliches Konzept.» Ob ihn jemals wieder jemand zu Gesicht bekommt … es muss an dieser Stelle offengelassen werden.

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Autor/in
Roger Fuchs

Roger Fuchs ist Kommunikationsbeauftragter beim Katholischen Konfessionsteils des Kantons St.Gallen.

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