Jüngste Wahlresultate und aktuelle Umfragen deuten auf eine Trendwende hin.
Ich bin eigentlich meistens stolz, ein Freisinniger zu sein. Am vergangenen Wochenende war ich aber besonders stolz. Der Blick schrieb vom «Kaiserwetter» in Montreux. Das hat sicher zur guten Stimmung beigetragen. Was mich aber an den Sitzungen im Vorfeld sowie an der Delegiertenversammlung selbst besonders beeindruckt hat, war der liberale und demokratische Geist der Diskussion. Am Ende der Veranstaltung dachte ich: Das war jetzt ein freisinniges, demokratisches Fest!
Demokratin oder Demokrat sein heisst auch: Streiten!
Vor allem die Medien versuchten mit Blick auf diese Delegiertenversammlung, die Debatte um die Resolution zur Stromversorgungssicherheit zu einem veritablen Konflikt hochzustilisieren. Ich mache den Medien hier nicht wirklich einen Vorwurf – das gehört zu ihren Aufgaben dazu. Und selbstkritisch ist zu sagen: Alle Seiten in dieser «Auseinandersetzung» haben wohl nicht immer vollends die Kontrolle über die eigenen Botschaften behalten. Aber: Genau eine solche Auseinandersetzung, ja eben ein Streit um Argumente, gehört zur Demokratie. Sowohl in unserem Land als auch in einer tiefdemokratischen Partei wie der FDP. Dieser Geist wehte am Freitagabend und am Samstagvormittag durch Montreux. In einer intensiven Diskussion präzisierten wir am Freitagabend den Passus zur Kernenergie und am Samstag stellten sich zuerst verschiedene Antragstellerinnen sowie Antragsteller und dann die Delegierten fast einstimmig hinter den angepassten Vorschlag.
FDP gewinnt wieder in den Kantonen
Seit einigen Monaten gewinnt die FDP bei kantonalen Wahlen sowie in den Gemeinden und Städten wieder an Stärke dazu. Neu ist die FDP in der Solothurner Kantonsregierung mit zwei FDP-Mitgliedern vertreten. Im Kanton Neuenburg bildet die FDP neu mit drei Vertretern sogar die Mehrheit in der fünfköpfigen Kantonsregierung. Im Walliser Kantonsparlament gingen zwar ein halbes Prozent Wählerinnen und Wähler verloren, dennoch erzielte die FDP einen zusätzlichen Sitz. Im Kanton Fribourg schliesslich gewann die FDP bei den Wahlen für den Grossen Rat zwei Prozentpunkte Wähleranteil dazu – und damit auch zwei Sitze im kantonalen Parlament.
Durststrecke in den Städten ist vorbei
Noch bemerkenswerter sind die Resultate bei den Wahlen in den linksgrünen Städten Zürich und Winterthur. Am vergangenen Wochenende konnte die FDP in der Stadt Zürich zum einen ihre Position als zweitstärkste Kraft im städtischen Parlament behaupten und ist auch weiterhin mit zwei Vertretern in der Stadtregierung. Die FDP hat aber vor allem auch Wähleranteile dazugewonnen und politisiert neu mit einer Person mehr im Zürcher Stadtparlament. Das ist umso eindrücklicher, da gleichzeitig auch die Grünen sowie die Grünliberalen dazugewannen und Die Mitte wieder im Stadtparlament vertreten ist. Verloren haben die Polparteien, SP und SVP, sowie die sozialistischen Träumer der Alternativen Liste. Gewinner und Sieger waren auch in Winterthur ähnlich auf der politischen Landkarte verteilt – auch hier gewann die FDP an Parlamentssitzen und Wähleranteilen dazu. Eine neuantretende Kandidatin für die Winterthurer Stadtregierung erreichte zwar das absolute Mehr, schied dann aber als Überzählige aus. Last but not least: In neusten Umfragen zu den nationalen Wahlen 2023 ist ebenfalls ein Plus bei der FDP zu verzeichnen.
Klare Kante zeigen
Die Gründe für solche Verschiebungen sind nicht immer einfach zu identifizieren – weder bei Gewinnen, noch bei Verlusten. Klar ist aber, dass die Erzählung, die FDP verliere aufgrund ihrer klimapolitischen Position an die Grünliberalen, nun von den Medien und den rot-grün-hellgrünen Gegnerinnen und Gegnern eines starken Freisinns beerdigt werden muss. Richtiger ist wohl, dass die FDP unter neuer Führung von Parteipräsident und Ständerat Thierry Burkart stärker an Profil, an Erkennbarkeit gewonnen hat und wieder Kante zeigt. Und zwar vor allem in ihren Kernthemen wie der Wirtschaftspolitik sowie der Altersvorsorge.
Klima- und Energiedebatte brauchte Mut
Aber auch in der Energie- und Klimapolitik hat die FDP an Kontur gewonnen: Zwischen 2019 und 2021 musst sich der Freisinn unter Führung der damaligen Präsidentin, Nationalrätin Petra Gössi, darauf zurückbesinnen, dass er einst auch in der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik eine staatstragende Rolle einnahm. Diese Selbstfindung war intensiv, energieraubend. Sie führte dazu, dass der Freisinn einige Zeit mit sich selbst beschäftigt war. Dieser Prozess war aber wichtig und richtig. Den damaligen Verantwortlichen ist zu danken, dass sie den Mut aufbrachten, diese Diskussion parteiintern anzustossen und trotz aller Widrigkeiten durchzuziehen. Im Kanton St.Gallen übrigens hatte diese Debatte weit weniger Brisanz als in der restlichen Schweiz: Seit bald 30 Jahren sind bei uns die Umweltfreisinnigen aktiv und nicht viel weniger lang auch eine Partnerorganisation der kantonalen FDP. Neben Jungfreisinnigen und FDP Frauen leisteten die Umweltfreisinnigen bei den Wahlen 2015 und 2019 mit eigenen Wahllisten einen substantiellen Beitrag zum Gesamterfolg der FDP des Kantons St.Gallen – die als eine der wenigen Kantonalparteien entgegen des nationalen Trends auch die Wahlen 2019 gewann.
Versorgungssicherheit und Klimaschutz gehen Hand in Hand
Die parteiinterne Diskussion um die Positionierung in der Klima- und Energiepolitik ist nun wohl an einem vorläufigen Ende angelangt. An der erwähnten Delegiertenversammlung vom 12. Februar verabschiedete die Partei eine Resolution zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und formulierte darin auch ein Programm für eine CO2-freie Energie- und Stromversorgung. Die Partei hat sich klar zu den Erneuerbaren Energien bekannt und brachte gleichzeitig den Mut auf, zu sagen: Die Energieversorgung der Zukunft ist vielleicht auch auf die ebenfalls CO2-neutrale Kernkraft angewiesen. Das Technologieverbot muss deshalb fallen.
In der Sache hart aber wohlwollend diskutieren
Der eingeschlagene Kurs ist weiterzuverfolgen – gleichzeitig braucht es eine zusätzliche Rückbesinnung auf die freisinnigen Werte «Freiheit», «Gemeinsinn» und «Fortschritt». Auch zukünftige parteiinterne Debatten müssen und sollen gesucht, ausgefochten werden. Hart in der Sache aber wohlwollend, was die Meinung des Gegenübers betrifft. Die erwähnten Entwicklungen, also die jüngsten Wahlresultate, die Erkennbarkeit der Partei, ihre Positionen sowie ihre Debattenkultur, lassen darauf schliessen, dass es auch bei den nationalen Wahlen 2023 wieder heisst: Freisinn gewinnt. Und zwar nicht nur im Kanton St.Gallen, sondern in der ganzen Schweiz.
Christoph Graf ist Geschäftsführer/Fraktionssekretär der FDP des Kantons St.Gallen.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.