Die älteste Beiz in der Stadt St.Gallen – inmitten im bekannten «Bermuda-Dreieck» – erhielt Anfang Jahr eine Auffrischung – in Form einer neuen Geschäftsführerin. Die 35-jährige Salome Lüthy arbeitet praktisch ihr halbes Leben in der Gastronomie.
Hinweis: In unserer Printausgabe, welche im Dezember 2022 erscheinen wird, werden wir einen ausführlichen Bericht über das «Playboy»-Shooting von Salome Lüthy publizieren. Das Magazin kann hier abonniert werden.
Wohl nicht alle Gäste, die das «Alt» in St.Gallen betreten, haben vorgängig auch das unscheinbare Schild bei der Eingangstüre gelesen, auf dem vermerkt ist, dass hier das älteste Restaurant der Stadt steht. Das Haus ist Bestandteil der ursprünglichen Stadtmauer und wurde um 1268 erbaut. Und seit 1537 beheimatet es einen Gastrobetrieb – heute im Besitz von Reto Allenspach (*1977), der unter anderem auch den Club «Alpenchique» betreibt. Das «Alt» ist ein wesentlicher Bestandteil des sogenannten Bermuda-Dreiecks von St.Gallen, das diverse Szenen-Lokale umfasst. Nicht nur die hiesige Tourismusorganisation weist jeweils gerne auf diese Gegend hin, um auf ein florierendes und pulsierendes Nachtleben aufmerksam zu machen, auch in den Medien ist es regelmässig vertreten – dann allerdings meistens mit Negativschlagzeilen, wenn es um Anwohnerinnen und Anwohner geht, die sich am Lärm stören oder wenn Jugendliche in einer feucht-fröhlichen Nacht den Platz in eine regelrechte Mullhalde verwandelt haben. Das Bermuda-Dreieck ist ein Anziehungspunkt. Einer, über den vor rund einem Jahr sogar schon ein kurzer Dokumentarfilm erstellt wurde.
Gezögert
Nicht darin zu sehen ist die neue Geschäftsführerin vom «Alt St.Gallen». Erst Anfang 2022 hat Salome Lüthy diese Funktion übernommen. Die 35-Jährige war während rund 14 Jahren in einem anderen St.Galler Szene-Lokal tätig, zuletzt als Barchefin. In dieser Funktion wurde sie gewissermassen selber zu einer Marke. Die Lust auf eine Veränderung wurde bei der St.Gallerin über all die Jahre immer stärker. Entsprechend griff sie zu, als die Option, das alt-ehrwürdige «Alt» mit eigenen Ideen zu gestalten und zu führen, an sie herangetragen wurde. «Im ersten Moment habe ich doch gestutzt, als mir das Angebot unterbreitet wurde», gesteht sie. Zwar sei sie aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung bestens mit den Abläufen in einem Gastrobetrieb vertraut. Aber die Führung des Personals zu übernehmen, die Verantwortung über die Finanzen und die gesamte Betriebsgestaltung? Das habe dann doch zu der einen oder anderen Überlegung geführt. Letztlich habe sie die Chance aber einfach ergreifen müssen.
Platz für 100 Gäste
Angetan habe ihr – und «das würde man mir wohl kaum geben» – vor allem das antike Interieur, das Ambiente, das Kleine. In der Tat ist das «Alt» eine typische Bar mit dunklem Holz, tiefen Räumen, einem Raucherbereich mit rund 15 Plätzen. An den Wänden hängen Bilder von Kurt Furgler und Trudi Gerster. Tageslicht fällt nur weniges in den Innenbereich, der an Wochenenden nicht selten mit rund 100 Gästen proppenvoll ist. Eine richtige «Beiz» halt.
Totes Kapital
Und dieser will Lüthy seit nunmehr einigen Monaten gehörig Leben einhauchen. Sie, die sich noch unschlüssig sei, ob sie dereinst doch noch in die Mutterrolle schlüpfen möchte, hab mit dem «Alt» schon jetzt ein Baby gefunden. «Es ist bereichernd, dem Ganzen einen eigenen Stempel aufdrücken zu können – ob nun bei der Produkteauswahl, der Musik oder der Innengestaltung.» Dabei sei für sie weniger effektiv mehr. Auch mit Hinblick auf die Kosten müsse man nicht 300 verschiedene Gin-Sorten – «das wäre zu grossen Teilen totes Kapital» – und fast ebenso viele Cocktails im Angebot haben. Vielmehr gelte es, einen guten Mix bieten zu können. Und das gerade auch zusammen mit den umliegenden Bars. «Hier habe ich bisher überhaupt kein Konkurrenz-Denken feststellen können», so Lüthy. Im Gegenteil: Man sehe sich gegenseitig als eine Art Universum – halt eben als Bermuda-Dreieck.
Start am Mittag
Salome Lüthy selbst hat sich in den vergangenen 14 Jahren an einen komplett anderen Tagesablauf gewöhnt. Ihr eigentlicher Start erfolgt jeweils gegen Mittag. Die Arbeit selbst dauert nicht selten bis weit nach Mitternacht. «Eine typische Party-Nudel halt», sagt sie. Dass sie nun diesen Rhythmus mit dem eigenen Geschäft verbinden könne, sei das optimale. Einen Schritt, den sie rückblickend schon längst hätte machen sollen. Aber es habe wohl letztlich einfach alles zusammenpassen müssen.
Personalmangel
Nun also hat sie nicht nur die Verantwortung für eine alte St.Galler Marke, sondern auch für ein sechs-köpfiges Team, dass sie unterstützt. Das sollte durchaus noch erweitert werden. Aber hier hat Lüthy klare Vorstellungen. Eine neue Person müsse zwingend ins bestehende Team passen und über Erfahrungen verfügen. Nur: «Wer Erfahrungen hat, der weiss, wie streng diese Branche ist. Und wer keine hat, der gibt nicht selten nach einigen Wochen oder Monaten wieder auf, was mitunter schade ist, weil das Potenzial vorhanden ist», sagt sie.
Frau in einer Männer-Umgebung
Sie selbst weiss aus der eigenen Erfahrung, wie hart es sein kann. «Da gab es durchaus Momente, in denen ich an die Grenzen gekommen bin, weinend im Hinterzimmer gestanden bin», gesteht sie. Man lerne aber mit der Zeit, die Abläufe – und auch sich selbst – zu koordinieren. Das verschaffe Ordnung. Und Ordnung ist etwas, das Lüthy am Herzen liegt. «In einem Chaos kann ich mich nicht entfalten. Ob nun privat oder hier im Betrieb.» Das «Alt» erhält somit einen neuen Glanz. Und das Bermuda-Dreieck eine Auffrischung. Nicht zuletzt auch, weil sich hier in die reine Männer-Umgebung mit Salome Lüthy die erste weibliche Geschäftsführerin seit einigen Jahren einreiht.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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