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Klipp & Klar

Funktionäre aller Branchen, vereinigt Euch!

Der bürokratische Vollzug der Flankierenden Massnahmen ist der Sauerstoff, der die kurzatmigen Gewerkschaften künstlich am Leben erhält. Und dieser wird verteidigt. Koste was es wolle.

Kurt Weigelt am 10. Mai 2021

Seit den sechziger Jahren hat sich in der Schweiz die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Verhältnis zur Zahl der Arbeitnehmenden mehr als halbiert. Dies zeigen die Zahlen der OECD. Heute ist nicht einmal mehr einer von sechs Beschäftigten bereit, die Gewerkschaften mit einem freiwilligen Beitrag zu unterstützen. Als Stimme der arbeitenden Bevölkerung fehlt den Gewerkschaften jede basisdemokratische Legitimation.

In einem bemerkenswerten Widerspruch zu diesem Bedeutungsverlust stehen die politischen Erfolge der Gewerkschaften. Vor zwanzig Jahren waren in der Schweiz rund 350'000 Arbeitnehmende einem als allgemeinverbindlich erklärten Arbeitsvertrag unterstellt. Heute sind es deutlich über eine Million Beschäftigte. Mehr als das Dreifache. Vom Bundesrat als allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge gelten für alle Unternehmen einer Branche. Auch für solche, die keinem Verband angehören und für Beschäftigte, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind. Was uns wohlklingend als Sozialpartnerschaft verkauft wird, ist in Tat und Wahrheit ein knallhartes Arbeitsmarktkartell.

Mitgliederschwund

Arbeitsmarktpolizei

Treiber der Verstaatlichung des Arbeitsmarktes sind die Flankierenden Massnahmen. Die Gewerkschaften haben es verstanden, diese bei Einführung der Personenfreizügigkeit als Missbrauchsgesetzgebung verabschiedete Gesetzgebung zu einer umfassenden Arbeitsmarktpolizei auszubauen. Und zu einer endlos sprudelnden Geldquelle. Alle einem als allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterworfenen Unternehmen und Arbeitnehmenden werden gezwungen, Vollzugskostenbeiträge an die Gewerkschaften und die Branchenverbände abzuliefern.

Die NZZ schätzt die Jahreseinnahmen aus den zwangsweise erhobenen Vollzugsbeiträgen auf rund 200 Millionen Franken. Exakte Zahlen sind nicht bekannt, man macht auf Geheimniskrämerei. Die Linke fordert bei jeder Gelegenheit Transparenz. In eigener Sache allerdings ist man daran nicht interessiert. Dies aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Niemand riskiert freiwillig seine eigene Komfortzone.

Rote Linie

In den guten alten Zeiten setzten die Gewerkschaften alles daran, mit Volkshäusern, Arbeiterzeitungen, Wohnbaugenossenschaften und Sportvereinen der bürgerlichen Gesellschaft eigene unternehmerische Aktivitäten entgegenzusetzen. Man kämpfte für Systemalternativen. Dies war und ist wohl zu anstrengend. Viel einfacher ist es, als staatliches Vollzugsorgan bei Dritten Zwangsabgaben einzukassieren. Und dies nicht nur im Zusammenhang mit den Flankierenden Massnahmen. Die UNIA betreibt die grösste Arbeitslosenkasse der Schweiz.

Dabei geht es um mehr als um gewerkschaftliche Gewinnoptimierung. Zur Debatte steht die Zukunft der Schweiz. Die finanziellen und organisatorischen Interessen der Gewerkschaften am Vollzug der Flankierenden Massnahmen erklären den Widerstand der Linken gegen ein institutionelles Rahmenabkommen. Kein vernünftiger Mensch macht eine 8-Tage-Frist zur roten Linie und damit zur Schicksalsfrage in der Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU. Nur, Vernunft ist nicht das Thema. Der bürokratische Vollzug der Flankierenden Massnahmen ist vielmehr der Sauerstoff, der die kurzatmigen Gewerkschaften künstlich am Leben erhält. Und dieser wird verteidigt. Koste was es wolle.

Überlebensstrategie

Allerdings, bei aller Kritik, die Gewerkschaftsbosse haben auch Respekt verdient. Im Jahre 2012 erklärte der ehemalige Gewerkschafter, SP-Präsident und heutige Post-Oberchef Levrat in einem Interview in der Sonntagszeitung, dass die Linke nie mehr über einen so starken Hebel zur Durchsetzung ihrer Forderungen verfügten wie im Vorfeld der Abstimmungen zur Weiterführung der Personenfreizügigkeit. Die SP und die Gewerkschaften haben gepokert und gewonnen. Und dies nicht zuletzt dank schwachen Gegnern. Viele bürgerliche Politikerinnen und Politiker haben das Kämpfen schon längst verlernt. Ganz besonders dann, wenn die Nähe zu den Gewerkschaften die eigene Karriere befördert. Zudem sitzen viele Arbeitgeberverbände beim Einkassieren der Vollzugskostenbeiträge im gleichen Boot wie die Gewerkschaften. Auch für sie ist die als Sozialpartnerschaft getarnte Verstaatlichung des Arbeitsmarktes so etwas wie eine Überlebensstrategie. Beim Vollzug der Flankierenden Massnahmen geht es nicht um die Interessen der Beschäftigten. Die Devise heisst vielmehr: Funktionäre aller Branchen, vereinigt Euch!

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Autor/in
Kurt Weigelt

Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.

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