logo

Gerichtsurteil

«Gefahren wie ein Sidian»

Das Kreisgericht Wil verurteilte einen 22-jährigen Schweizer zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 27 Monaten und einer Busse von 1000 Franken. Am 8. Januar 2018 hatte er in Jonschwil einen Unfall verursacht und dabei eine Frau tödlich verletzt.

Michel Bossart am 16. Januar 2020

Gekommen waren sie zahlreich, die Hinterbliebenen, für die am 8. Januar 2018 die Welt aus den Fugen geriet. Die vier Kinder, die Schwester und der Witwer traten als Privatklägerschaften auf, im Zuschauerraum auch die Polizisten, die damals am Unfallort zugegen waren, zahlreiche Medienvertreter und Zuschauer. Vor dem Richtergremium unter dem Vorsitz von Daniel Weniger sass der heute 22-jährige Bauernsohn – der «Blick» nennt ihn «Heiri F.»* – der auf dem Nachhauseweg den Tod von Rita M.* (†51) verschuldete. Mit einer Geschwindigkeit zwischen 81 und 87 Stundenkilometern (erlaubt 50), einem Führerschein auf Probe und einer Blutalkoholkonzentration zwischen 0.30 und 0.87 Promille (erlaubt 0.00) fuhr er in der Fahrbahnmitte ungebremst in das Unfallopfer, das 45 Meter weggeschleudert wurde und noch auf der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen erlag.

Um 18.15 Uhr war es an jenem Januartag vor etwas mehr als zwei Jahren zwar schon finster, die schwierige Strassensituation bei der Haltestelle «Steinacker» waren dem Angeklagten aber bestens bekannt. Er wohnte damals in der unmittelbaren Nachbarschaft und passierte den Unfallort mehrmals täglich mit seinem tiefergelegten Seat Leon Cupra 2.0. Vielleicht war es ja gerade diese vermeintliche Sicherheit der gewohnten Umgebung, die Heiri F. zu dieser «leichtsinnigen» Fahrt, wie er sie nannte, veranlasste. Fakt ist, dass er Rita M. schlichtweg nicht gesehen hat, denn die Kollision wäre selbst bei dieser erhöhten Geschwindigkeit vermeidbar gewesen, wie die Unfallexperten ausgerechnet haben.

Mit 20 bereits zwei Vorstrafen

Und sein Kerbholz spricht eine deutliche Sprache: Seit 2015 – also seit seinem 18. Lebensjahr – bis zum Unfall 2018 hat er bereits zwei Vorstrafen wegen Delikten im Strassenverkehr eingeheimst. Einmal verschuldete er einen Unfall mit dem Traktor, worauf ihm die Fahrerlaubnis für einen Monat aberkannt wurde. Gleich am Tag nachdem er den Führerschein wieder besass, fuhr er auf dem Ricken mit stark überhöhtem Tempo in eine Geschwindigkeitskontrolle. Der entsprechende Strafbefehl wurde ihm am 3. Januar 2018 zugestellt: Busse 640 Franken. Und wenige Tag später dann passierte der Unfall in Jonschwil.

Seine Freunde finden, er habe Pech. Pech wahrscheinlich, weil er jeweils geblitzt und erwischt wurde. Er selbst und seine Kollegen schätzen ihn als guten Autofahrer ein, der auch beruflich viel mit dem Auto unterwegs sei, meint er auf die entsprechende Frage des Richters. Im Gerichtssaal schütteln die Kinder von Rita M. im jungen Erwachsenenalter ungläubig den Kopf. «Ein hundsmiserabler Autofahrer sind Sie», kanzelt ihn der Richter später in der mündlichen Urteilseröffnung runter. «Entschuldigen Sie, aber einer, der mit über 80 Stundenkilometern dort durchbrettert, der ist ein Tubel und alles andere als ein guter Autofahrer.»

Unglaubwürdiges Reuebekenntnis

Zwar entschuldigte sich Heiri F. gleich zu Beginn der Verhandlung für seinen Fehler, doch das vermochte weder Staatsanwalt und Richter, noch die Privatklägerschaften zu überzeugen. Er sei halt nicht der einzige Bauer, der Mühe bekunde, seine Gefühle angemessen auszusprechen, versucht der Verteidiger später in einem rhetorisch bedenklichen Plädoyer das Verhalten seines Mandanten zu erklären. So verfasste Heiri F. lange nach dem Unfall zwar ein Entschuldigungsschreiben an die Opferfamilie, doch dieses Schreiben sei voller Ich-Botschaften gewesen, die den Eindruck hinterliessen, dass es ihm vor allem leid für die Konsequenzen tue, mit denen er selbst zu rechnen habe und nicht um Mitgefühl mit den Hinterbliebenen. Erst im Schlusswort wird Heiri F. emotional und bereut, was er verschuldet hat. Ob es aufrichtige Reue gewesen ist oder die Einsicht, dass dieser Prozess für ihn so richtig schlecht ausgehen könnte, hat man seinen Tränen nicht angesehen.

Hartes Urteil

Das Urteil ist hart und die Haftstrafe liegt drei Monate über dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Wegen fahrlässiger Tötung, grober Verkehrsregelverletzung sowie Missachtung des Verbots des Fahrens unter Alkoholeinfluss verurteilt das Kreisgericht Wil Heiri F. zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten. Acht Monate muss er ins Gefängnis, 19 Monate werden bei einer Probezeit von vier Jahren aufgeschoben. Zudem muss er eine Busse von 1000 Franken, die Gerichts- und Untersuchungskosten in noch unbekannter Höhe und der Schwester des Opfers eine Genugtuung von 5000 Franken bezahlen. Die Forderungen des Witwers und der Kinder wurden auf den Zivilweg verwiesen.

Das Verschulden den Verurteilten wiege schwer. Offensichtlich hätten die bisherigen Strafen ihre Wirkung komplett verfehlt. Unmittelbar nach Wiedererlangung des Führerscheins habe er sich wieder einen Strafbefehl eingesackt, weil er wie ein Sidian durch das Dorf Ricken gefahren sei und kurz darauf habe er diesen Unfall mit tödlichem Ausgang verschuldet, fasste der Richter das kurze aber strafintensive Fahrerleben des Verurteilten zusammen.

Wie es mit der Fahrerlaubnis des Verurteilten weitergeht, oblag nicht dem Gericht zu entscheiden. Darüber befindet das Strassenverkehrsamt Thurgau, das in der Zwischenzeit für Heiri F. zuständig ist.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.