Ungetreue Geschäftsbesorgung, möglicher Spesenbetrug? Das hielt Raiffeisen über Monate in Atem. Ein Nichts im Vergleich zu dem, was bei der Credit Suisse abgeht. Eine filmreife Geschichte, hier mit allen schönen Details.
Die internationale Presse, von der Financial Times abwärts, auch in Asien und Australien berichtet. Über Zustände, die man sich in der Chefetage einer Schweizer Grossbank vorher nicht vorstellen konnte.
Den Anfang nahm die Affäre offenbar, als sich der neue Superstar der Credit Suisse an der vornehmen Goldküste in Herrliberg eine standesgemässe Villa kaufte. Genauer: damit sie standesgemäss wurde, musste sie zuerst zwei Jahre lang umgebaut werden. Das ist auch an vornehmen und diskreten Orten mit Lärm verbunden.
Das wiederum störte den Nachbar, und der ist niemand Geringeres als der CEO der zweitgrössten Schweizer Bank. Also beschwerte sich Tidjane Thiam beim Nachbarn. Nein, er beschwerte sich beim VR-Präsidenten der CS. Es ist allerdings schleierhaft, was Urs Rohner da hätte tun können; den Einsatz von schallgedämpften Maschinen und Sprechverbot der Arbeiter anordnen?
Schon das ist unfassbar. Der CEO, der VRP und auch der internationale Leiter des Goldesels Vermögensverwaltung Iqbal Khan gehen in einen Nachbarschaftsstreit. Nur gut, dass sie sich nicht die Waschküche teilen müssen, das hätte Mord und Totschlag gegeben.
Im Januar dieses Jahres, der Baulärm war längst verklungen, gab es dann eine Abendeinladung in der Villa des CEOs. Es soll reichlich Alkohol geflossen sein, und nach kolportierten Aussagen von Anwesenden soll Khan die Lebensgefährtin von Thiam angepflaumt haben, die habe zwei Bäume extra so gepflanzt, dass ihm die Aussicht auf den Zürichsee genommen werde.
Daraufhin soll Thiam ihn beiseite genommen haben, ein Wort gab das andere, und nur das Eingreifen der Gattin von Khan soll verhindert haben, dass es zu einer Prügelei kam. Nun versteht man endlich, wieso der Aktienkurs der CS auf historischen Tiefständen dümpelt. Die Chefetage der Bank hat Wichtigeres zu tun.
Auch nach diesem Eclat soll Rohner ein weiteres Mal vergeblich versucht haben, zu vermitteln. Wegen Baulärm und zwei Bäumen begann Khan dann, einen neuen Job zu suchen. Und wurde schnell bei der UBS fündig. Schon im April handelte er die grosszügigen Abgangsbedingungen mit Rohner aus. Und teilte Thiam erst am 1. Juli mit: Ich bin dann mal weg. Sofort. Und ab 1. Oktober grüsse ich gegenüber von der UBS. Ätsch.
Das muss Thiam, Pardon, zur Weissglut getrieben haben. Nach Baulärm, ungesittetem Verhalten nun auch noch abtrünnig werden. Na warte. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Affäre mit Jagdszenen im Zentrum Zürichs, nahe der Bahnhofstrasse, hinter dem Sitz der Schweizerischen Nationalbank. Mit Geschrei, Polizeieinsatz, mit der Verhaftung von drei Männern, die mutmasslich Khan verfolgt und eingeschüchtert haben sollen.
Wäre das ein Filmdrehbuch, das Werk würde am Zurich Film Festival, das diese Woche begann, aus dem Kinosaal gebuht werden. Zu absurd, realitätsfern. Auch Rohner, dessen Gattin das Festival führt – Sie dürfen einmal raten, wer der Sponsor ist –, hätte den Kopf geschüttelt.
Aber in der Realität steckt er seinen Kopf in den Sand. Es ist inzwischen mehr als eine Woche vergangen, seit der muntere Finanzblog «Inside Paradeplatz» diesen unfassbaren Skandal ans Licht der Öffentlichkeit zerrte. Ausser der dürren Mitteilung, dass die Bank die Medienberichte zur Kenntnis genommen habe, untersuchen lasse und bis zum Ergebnis nichts sage, herrscht Schweigen von Seiten der CS.
Wie das erfahrene Bankenschlachtross Oswald Grübel richtig sagte: Man weiss doch innert Stunden, wer für diese Beschattung die Verantwortung trägt. Und sollte der CEO etwas damit zu tun haben, muss er sofort ersetzt werden. Denn in jeder Krise, das lernt jeder Manager im Grundkurs Kommunikation, muss der Chef ran. Sofort, persönlich. Dafür ist er Chef, ist verantwortlich für alles und verdient hübsches Geld.
Aber nicht so Rohner. Dem ist der grüne Teppich des Filmfestivals, seine weisse Weste und die Frage, wie er auch hier überleben kann, viel wichtiger. Wichtiger als die Reputation der Credit Suisse, die sich international blamiert. Wichtiger als das Ansehen des ganzen Finanzplatzes Schweiz, der zur Lachnummer wird. Das gilt natürlich auch für die anderen Beteiligten.
Ginge das auch anders? Natürlich. Man stelle sich nur mal vor: Thiam und/oder Rohner treten zusammen mit Khan vor die Medien. Thiam und Rohner entschuldigen sich vor laufenden Kameras bei Khan, dieser nimmt die Entschuldigung an. Es wird die Entlassung von einigen Bauernopfern angekündigt, alle Drei sind sich aber einig, dass hier etwas aus dem Ruder gelaufen sei. Aber schön, dass man das unter verantwortungsvollen und erwachsenen Männern regeln konnte. Wäre das gut? Das wäre fantastisch. Ist das realistisch? Das ist absolut unwahrscheinlich, unvorstellbar. Deshalb erbärmlich, schändlich, unwürdig.
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