Konrad Hummler
Er war wie jeder Unternehmer von der Coronakrise betroffen: Der St.Galler Banker Konrad Hummler. Während sein Herzensprojekt litt, prosperierte ein anderes seiner Unternehmen erst recht. Im Gespräch über fehlende Persönlichkeiten in der Politik und den «Flickenteppich Schweiz».
Das Gespräch mit Konrad Hummler ist im Oktober 2020 in der Print-Ausgabe von «Die Ostschweiz» erschienen.
Konrad Hummler, wir haben verrückte Monate hinter uns. Was früher galt, gilt heute nicht mehr. Welche Erkenntnis aus der Coronakrise ist für Sie die prägendste?
In einem Wort: Der Kollektivismus. Wir sprechen ja von einem Virus, der sich verbreitet, und die Verbreitung von Krankheiten findet grundsätzlich zwischen zwei Individuen statt. Deshalb müsste das Problem auch auf der individuellen Ebene gelöst werden. Aber als die Zahlen anstiegen und bedrohlich wurden, hat der Bund sehr schnell zu ziemlich drastischen kollektiven Massnahmen gegriffen. Bei uns in der Ostschweiz hat diese Seuche ja nie wirklich grassiert, deshalb betrifft uns dieser Kollektivismus besonders stark.
In welcher Form?
Es gab einen Lockdown, der hatte Folgen – und wir tragen diese für den Rest der Schweiz mit. Inzwischen hat sich die Bedrohungslage relativiert, wir kennen das Virus besser. Irgendwann stellt sich deshalb die Frage: Wann kommt die Rückkehr zum Individuum? Wie kann man vom Machtzuwachs, den das Kollektiv in dieser Zeit errungen hat, wieder wegkommen? Wir müssen als Region sehr gut aufpassen, dass wir nicht einfach weiterhin über einen Kamm geschert werden mit der Westschweiz und ihren viel höheren Infektionsraten. Bei aller Solidarität, hier ist eine grössere Differenzierung nötig. Ich bin nicht sicher, ob unsere Politiker bereits gemerkt haben, dass wir hier sehr wachsam sein müssen.
Die Politik ist das eine, die Allgemeinheit das andere. Das Volk scheint die Ausnahmesituation ziemlich widerstandslos akzeptiert zu haben.
Wenn man nicht genau weiss, was Sache ist – und das war ja lange der Fall -, dann ist es schwierig. Wir hatten zu Beginn viele offene Fragen: Wie gefährlich ist das Virus, wie schnell, wen betrifft es, wen nicht. Da muss man auch Verständnis haben für brachiale Methoden. Die Frage ist nur, wie man aus diesem Ausnahmezustand wieder hinaus findet. Die Bürokratie gewöhnt sich schnell an Machtzuwachs und gibt ihn nicht gerne wieder her. Sie haben von Akzeptanz gesprochen, ich denke, wir erleben diese eher als Faust im Sack, die viele machen. Man kann nichts verändern, also trägt man es mit. Da entsteht ein grosses verstecktes Frustrationspotenzial, das nicht gesund ist.
Das heisst, in der aktuellen Phase stellen Sie Bundesrat und Parlament kein gutes Zeugnis aus?
Nicht nur jetzt, auch für die erste Phase nicht. Die Pandemievorbereitung war katastrophal: Keine Schutzmasken, keine Beatmungsgeräte, laufende Desinformation, das alles war nicht die gekonnte Führung, die man den Exponenten immer wieder andichtet. Entscheidend ist für mich jetzt aber die föderalistische Frage. Es gibt Regionen, die weniger betroffen sind als andere, und das muss man auch wahrnehmen.
Konrad Hummler
Damit sind die Kantone angesprochen, die Verantwortung übernehmen müssten. Die haben aber in den letzten Monaten im Zweifelsfall auch gern mal diese Verantwortung wieder zurück nach Bern geschoben.
Allerdings, und dann kam oft dieses dumme Argument: Wenn alle Kantone eigene Lösungen suchen, ist die Schweiz ein Flickenteppich. Natürlich ist sie das, das ist unser Wesen, das wollen wir sogar sein! Wenn es doch regionale Unterschiede gibt, und das ist der Fall, dann muss dieser Flickenteppich leben.
Kommen wir zur Wirtschaft. Nach dem Ende des Lockdowns herrscht weitgehend wieder annähernd Normalität. Sind wir mit einem blauen Auge davongekommen?
Da wäre ich derzeit vorsichtig, wir wissen heute einfach noch zu wenig. Vor allem ist es schwer auseinanderzuhalten, was in der Wirtschaft coronabedingt ist und was nicht. Nehmen wir die deutsche Automobilindustrie, da hat sich die Flaute schon vor dem Virus abgezeichnet und dann einfach verschärft. Die Flugindustrie leitet klar unter Corona, da stellt sich die Frage, wann man zum früheren Status zurückkehren kann – wenn überhaupt. Denn viele Menschen haben Angst zu reisen. Oder unser Wintertourismus, da kommen die wichtigen Fragen ja erst noch. Wie bewältigen Skigebiete die Lage? Wie können sie einen möglichst hohen Komfort und zugleich Sicherheit anbieten? Wo muss der Einzelne auf etwas verzichten, wo braucht es grossflächige Massnahmen? Das ist für unser Land sehr entscheidend.
Sprechen wir über die Branche, die Sie am besten kennen, die Banken. Früher musste man um jeden kleinen Kredit kämpfen, während der Coronakrise haben sich dann die Schleusen geöffnet. Haben Sie diese Massnahme so erwartet?
Nicht nur erwartet, auch gefordert. Diese Krise war ja an sich eine staatlich verursachte, der Staat hat Tätigkeiten verboten. Da ist eine Überlebenshilfe mit Notkrediten schlicht nötig. Und es wurde ja nicht einfach Geld rausgeschossen, wir sprechen von Darlehen, die aber sehr informell und schnell gesprochen wurden. Das System Schweiz hat sich hier unglaublich bewährt. Dank unserer föderalen Struktur konnten wir das auf den vorhandenen Kanälen machen, ohne neue Vehikel zu schaffen. Das war sehr eindrücklich und hat uns auch viel Bewunderung aus dem Ausland eingetragen.
Konrad Hummler
Wobei auch das nicht unumstritten war. Es gab Kritiker, die fanden, auf diese Weise gelangte auch viel Geld zu den falschen Unternehmen.
Die Frage, ob auch Geld zu Firmen geflossen ist, die strukturell sowieso am Ende gewesen wären, kann man natürlich stellen. Aber das ist immer so, wenn es schnell gehen muss. Wenn man Manna breitflächig verteilt, damit nicht alle verhungern, kriegt vielleicht auch einer etwas ab, der es nicht erhalten sollte. Das lässt sich gar nicht verhindern. Aber ich bin zuversichtlich, dass unsere Banken für diese Aufgabe die Richtigen waren, sie kennen die Menschen vor Ort.
Unterm Strich bleibt es dennoch klar: Der Staat musste helfen. Leute, die sonst auf die Freiheit des Unternehmertums pochen, mussten sich einiges an Spott anhören, gerade von links.
Die Kausalität der Krise war doch klar. Wir sprechen von einem Risiko, auf das man sich als Unternehmer gar nicht vorbereiten konnte. Für viele andere Gefahren muss man sich mit der eigenen Liquidität absichern können, aber das war ein anderer Fall. Für mich ist es übrigens auch keine Frage von links oder rechts, hier geht es schlicht um die Gerechtigkeit. Wenn der Staat die Macht hat, Massnahmen zu beschliessen, um ein anderes Ziel zu verfolgen, also den Schutz der Bevölkerung, dann muss das danach auch entsprechend abgefedert werden.
Und dann gibt es auch immer Leute, die den Kalenderspruch zitieren, wonach jede Krise auch eine Chance ist. Sehen Sie eine solche in diesem Fall?
Ein ganz praktisches Beispiel aus meiner eigenen Tätigkeit ist die Krone in Speicher. Sie hat von den Umständen profitiert. Wir haben früher im August Betriebsferien gemacht. In diesem Jahr war die Nachfrage nach Hotelzimmern aus der ganzen Schweiz riesig, wir waren zu 90 Prozent ausgebucht. Das Wetter hat auch mitgespielt, aber unterm Strich kann ich sagen: Die Ostschweiz wurde von sehr vielen Menschen positiv wahrgenommen, wir hatten nur glückliche Besucher, und sie haben aus dieser Situation heraus unsere Region kennengelernt. Nun ist die Frage, wie nachhaltig das ist. Gehen die Gäste doch wieder auf die Malediven statt ins Appenzellerland, sobald das wieder möglich ist? Aber die Voraussetzungen für einen Terraingewinn sind mit Sicherheit sehr gut.
Ein weiteres Feld, das Sie bespielen, ist die Kultur mit Ihrer Bach-Stiftung. Wir nehmen an, dort haben Sie von der Lage weniger profitiert als im Hotel.
Das war ein Meteoriteneinschlag. Unser Konzertbetrieb war von einem Tag auf den anderen lahmgelegt. Wenn man Konzerte in Kirchen, also auf engem Raum, mit Orchester und Chor und für eine Zielgruppe, die der Risikogruppe entspricht, ausrichtet, geht bei einer Pandemie gar nichts mehr. Wir haben deshalb 2020 früh zum Sabbatjahr erklärt. Keine Konzerte, dafür neue Formen wie Livestreaming. Aber unser Stiftungszweck ist die Aufführung aller Vokalwerke von Bach, das heisst, dass wir einiges aufzuholen haben.
Sprich: Egal, wie die Lage ist, Sie müssen so bald wie möglich weitermachen.
Und das werden wir. Wir haben für 2021 den strategischen Beschluss gefasst, dass es wieder Konzerte gibt. Ohne Masken, mit Abstand und technischer Unterstützung, nicht in Kirchen, sondern in möglichst grossen Hallen. Das ist mir sehr viel lieber als eine Begrenzung des Publikums. Als Veranstalter können wir nicht einfach auf lange Sicht sagen: Nichts geht mehr. Wir müssen wieder in den Produktionsmodus kommen. Auch im Interesse unserer Künstler, das sind ja freischaffende Leute, die arbeiten müssen.
Es gibt andere, die eher in der Defensive verharren, weil sie nicht genau wissen, was morgen ist und was sie tun sollen.
Darin liegt für mich eine Art Teilausstieg aus der Krise: Eine positive Grundstimmung. Nicht immer nur sagen, was man nicht darf und was nicht möglich ist, sondern darüber nachdenken, was bei diesen Rahmenbedingungen machbar ist. Deshalb gilt jetzt: Wenn nicht gerade ein Ausgehverbot kommt, dann produzieren wir wieder.
Einen Teil dieser positiven Grundstimmung könnten auch die Medien bilden, aber uns scheint, dass sie sich derzeit eher als Angstmacher betätigen.
Das ist auch mein Eindruck. Dauernd diese Aufnahmen aus Intensivstationen, die gezeigt werden, das geht mir gegen den Strich. Heute wird ja nur noch in Ausnahmefällen intubiert, das ist gar nicht mehr die Realität, aber wir sehen nach wie vor Bilder von Menschen, die mit Liegen durch Spitalgänge rennen. Ich will nichts verharmlosen, aber das entspricht einfach nicht mehr der aktuellen Lage.
Noch konkret zur Politik. Der Bundesrat hat in der Krise zumindest funktioniert, das Parlament wirkte eher wie ein Erfüllungsgehilfe, jedes Anliegen wurde durchgewinkt…
… und noch mit einem Zuschlag versehen. Aber bitte, wer hätte etwas anderes erwartet? Geld verteilen ist eben immer noch das Einfachste.
Möglicherweise war das alles ja sogar richtig, aber für uns auffallend war doch das Fehlen irgendwelcher kritischer Stimmen, die das alles hinterfragen. Gibt es keine Persönlichkeiten mehr in der Politik?
Nein zu sagen ist mühselig, das will man nicht auf sich nehmen. Man macht lieber bestimmten Gruppen eine Freude, indem man zu ihren Begehrlichkeiten Ja sagt. Auf der Strecke bleibt im weitesten Sinn die Allgemeinheit. Aber das war schon immer so, der Wächter des Staatsvermögens, der dafür sorgt, dass die Finanzen in Ordnung sind, kann keiner einzelnen Anspruchsgruppe etwas bieten. Dieser Job ist in der Politik nicht attraktiv. In Unternehmen ist es übrigens ähnlich, der Finanzchef, der für das grosse Ganze schaut, ist selten beliebt.
Konrad Hummler
Aber wir sind ja selbst schuld, wenn wir Leute wählen, die unangenehme Aufgaben nicht übernehmen.
Ich halte das für eine zyklische Bewegung. Im Moment sind vor allem Etatisten am Werk. Wenn es zu schlimm wird, werden wieder andere Leute auftauchen, die sagen: Jetzt ist fertig. Manchmal muss man auch einfach Geduld haben. Es gibt das berühmte Experiment mit dem Frosch, der im Kochtopf sitzen bleibt, während das Wasser langsam immer heisser wird, bis er schliesslich stirbt, weil er die Veränderung zu spät wahrnimmt. Wir Menschen sind anders gebaut. Ich bin zuversichtlich, zumal ich viele junge Leute kenne, die bereit sind, in Zukunft politische Verantwortung zu übernehmen.
Wenn wir heute in der Schweiz wählen würden: Was wäre das Resultat?
Bei uns passiert bei Wahlen unterm Strich ja eigentlich gar nicht viel.
Wir fragen, weil es frappant ist, wie ereignisgetrieben Wahlen bei uns sind. Vor einem Jahr dominierten grüne Themen, heute wäre vermutlich eine Coronapartei im Aufwind. Ist das gut für eine Demokratie?
Wenn wir schauen, wie hoffnungslos die Situation in unserem nördlichen Nachbarland ist, mit einer staatstragenden Partei, die auseinanderfällt und bei der Kryptokommunisten im Vormarsch sind, dann die Ausgrenzung eines Teils der Bevölkerung, weil man mit der AfD nicht arbeiten will und so eine schweigende Mehrheit vernachlässigt – in diesem Vergleich bin ich für die Schweiz ganz optimistisch. Bei uns gibt es sogar Kooperationsmöglichkeiten mit Leuten, die politisch ganz woanders stehen.
Wenn wir schon vom Ausland sprechen: Gibt es von Ihnen eine Prognose zu den US-Wahlen?
Ich nehme an, dass es einen Präsidentenwechsel gibt. Im Prinzip sind beide Lösungen nicht befriedigend. Aber der demokratische Anwärter Biden ist so alt, dass es gut möglich ist, dass er schon in seiner ersten Amtszeit gehen muss oder will. Da gäbe beiden Parteien Zeit, um die nächste Präsidentenwahl sauber vorzubereiten. Das heisst: Die Option Biden verschafft dem politischen System mehr Spielraum als Trump. Denn dass es so wie jetzt nicht weitergehen kann, ist klar. Die Positionierung der beiden Parteien spaltet die ganze Nation.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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