Oder zumindest eine neue Finanzkrise? Krachende Banken, Schlangen vor den Schaltern, beruhigende Worte der Regierungen? Die Apokalyptiker kriechen wieder aus den Löchern.
«Angst vor Finanzkrise», titelt Tamedia bang. Selbst das «Tagblatt» findet neben Ständeratswahlen und Oscar-Verleihung noch ein Plätzchen für «Angst vor dem Montag: US-Aufsichtsbehörden intervenieren, um neue Welle von Bankenpleiten zu vermeiden.» Und die Aktie der Credit Suisse stellt mit Fr. 2.32 ein neues Allzeittiefst auf. Hört man Heulen und Zähneklappern, lugt das hässliche Wort vom Bankrun um die Ecke?
Die NZZ verteilt hart, aber gerecht Hiebe in alle Richtungen: «Das Fed garantiert die Einlagen der Silicon Valley Bank und der Signature-Bank. Die Behörde ist mit schuld an den Turbulenzen der vergangenen Tage.»
Um welche Turbulenzen geht es eigentlich genau? Zwei Banken, die vor allem in die Digital-Industrie, in Kryptowährungen und -handelsplätze investiert waren, haben die Zinssteigerungen der letzten Monate nicht abfedern können. Wie schon zu Beginn der Finanzkrise eins im Jahre 2008 stand die US-Regierung vor der Wahl: Rettung oder Liquidation.
Man sollte mit historischen Vergleichen immer vorsichtig sein, aber natürlich steckt noch allen US-Entscheidern der Fall Lehman Brothers in den Knochen. Die Investmentbank musste am 15. September 2008 Insolvenz beantragen. Die Bank war durch die Krise im US-Immobilienmarkt, auch bekannt als Subprime-Krise, ins Schlingern geraten. Zuvor hatte die US-Regierung drei Banken (Bear Sterns und die halbstaatlichen Fanny Mae und Freddy Mac) mit einigen Milliarden vor dem Untergang gerettet.
Im Fall Lehman war die Entscheidung nicht nur rational bestimmt; so konnten sich der damalige Lehman-Boss Richard Fuld und der ehemalige Goldman-Sachs-Banker und anschliessend US-Finanzminister Henry Paulson nicht ausstehen. Als Folge der Lehman-Pleite geriet das gesamte internationale Finanzsystem unter Wasser; der Rückversicherer AIG, der die meisten Spekulationspositionen abgedeckt hatte, musste mit über 800 Milliarden Dollar gestützt werden.
Auch in der Schweiz hatte die Finanzkrise dramatische Auswirkungen; die Grossbank UBS benötigte Staathilfe, die Credit Suisse begab sich zu exorbitanten Zinsen in die Hände arabischer Investoren. Aber die völlige Kernschmelze konnte verhindert werden. Obwohl es zeitweise wohl wirklich eine Sache von 51 zu 49 war, ob es richtig krachen würde oder nicht.
Anschliessend räumten die USA kräftig im Bankensektor auf, die EU und die Schweiz nur halbherzig. Weniger Grössenwahn, mehr Eigenkapital, besseres Risikomanagement, vorsichtigere Finanzierungen, Schluss mit falschen Anreizen, der Versprechen waren viele. Wie akkurat sie dann umgesetzt wurden – da bietet die Credit Suisse besten Anschauungsunterricht.
Nun sind kurz hintereinander zwei US-Banken zusammengebrochen, die in einem sehr speziellen Geschäftsfeld unterwegs waren. Man kann sagen, dass sowohl die Silicon Valley Bank (nomen est omen) wie auch die Signature Bank vor allem mit Finanzierungen im Digitalen unterwegs waren. Da – ähnlich wie beim Platzen des Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende – auch heute nur sehr wenige wirklich kapieren, welche Zukunftsaussichten mit welchen Geschäftsmodellen beispielsweise Kryptowährungen oder -handelsplätze haben, gilt auch hier das gute alte Prinzip «no risk, no fun».
Die US-Regierung entschloss sich nach kurzem Zögern zu einem geradezu Schweizer Kompromiss. Weder ungeholfen in den Orkus fahren lassen, noch retten. Das bedeutet, dass Kundengelder bis zu 250'000 Dollar (und vielleicht auch darüber hinaus) abgesichert und – falls die Konkursmasse nicht ausreichen sollte – mit Steuergeldern ausbezahlt werden.
Die Aktionäre hingegen, so wie’s zur Zeit ausschaut, werden einen Totalschaden erleiden. Was nun dem üblichen unternehmerischen Risiko entspricht, das jeder Aktionär als kleiner Mitbesitzer eines Unternehmens eingeht. Belustigend ist hingegen, dass diverse Silicon-Valley-Grössen, die natürlich mit weit höheren Summen als 250'000 US-Dollar hantieren, übers Wochenende panische Hilferufe Richtung Washington ausstiessen und vor Untergang und Weltende warnten.
Was sich zunächst wieder einmal zeigt: von zweckrationalen und überlegten Anlageentscheiden wird immer nur solange geredet, bis eine kleine oder grössere Krise ausbricht. Dann versuchen einerseits die Regierungen (und andere Banken), beruhigende Geräusche zu machen. Kein Anlass zur Panik, alles im Griff, kein Flächenbrand, nur ein lokales Feuerchen, die Feuerwehr ist schon vor Ort, alles wird gut.
Auf der anderen Seite kriechen alle Untergangs-Propheten aus den Löchern, alle Doomsday-Apokalyptiker und sagen ihren Lieblingssatz auf: «the end is near», das Ende ist nahe, und wir haben es schon immer gesagt. Immer wieder allerdings, ohne dass das Finanzsystem zusammengebrochen wäre. Aber nun ist alles anders, diesmal kracht’s, behaupten sie. Die Cleveren unter ihnen verkaufen natürlich noch schnell angeblich totsichere Tipps, wie man sein Erspartes in Sicherheit bringen könne.
Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Es gibt tatsächlich ein gravierendes Problem im internationalen Finanzsystem, das auch nach der Finanzkrise eins nicht wirklich angegangen wurde. Das ist die viel zu niedrige Ausstattung mit Eigenkapital der Finanzhäuser. Abgesehen davon, dass hier kreative Buchhaltung Urständ feiert, wie man das Kernkapital berechnen, bzw. aufhübschen kann: bei einer Eigenkapitalquote von 20, besser 25 Prozent wären alle Banken so solide wie das Matterhorn aufgestellt. Aber Eigenkapital liegt bloss blöd rum und verdient nichts – bis es im Ernstfall gebraucht wird.
Das zweite Problem wird durch die öffentliche Wahrnehmung ausgelöst. Wirtschaftsberichterstattung braucht etwas Sachkompetenz. Unvergesslich die trockene Antwort, die mir der langjährige Wirtschaftschef der NZZ auf die Frage gab, wie viele der Wirtschaftsjournalisten in der Schweiz wohl spontan in der Lage wären, die richtige Antwort auf die banale Frage zu geben, wo denn das Eigenkapital verbucht werde, bei Aktiven oder bei Passiven, links oder rechts. Nach kurzem Nachdenken sagte er: «Weniger als 50 Prozent.»
Noch niedriger dürfte der Prozentsatz von Journalisten liegen, die auch nur ansatzweise eine Bilanz lesen können oder das Wort Finanzflussplanung schon mal gehört haben. Bei solchen Ereignissen wie aktuell müssen nun also Journalisten, die gerade noch von der Oscar-Verleihung berichteten und eigentlich ausschlafen wollten, kompetente Kommentare zu den beiden Pleite-Banken absondern. Daran scheitern natürlich die meisten, und auf den krankgesparten Redaktionen ist ebenso wenig Wirtschaftskompetenz vorhanden.
Ach, und nun will der Leser wissen, wie’s denn wirklich ist? Soll er flüchten oder standhalten? Sein Bankkonto auflösen und das Geld in die Matratze stecken? Alle Aktien verkaufen? Einen Notvorrat einlagern, physisch Gold kaufen, sich für alle Fälle bewaffnen?
Selbstverständlich haben wir für all das eine Antwort. Die richtige Antwort. Die kompetente und zielführende Antwort: jein. Oder wem das zu kryptisch ist: da zurzeit keiner weiss, ob sich eine Kettenreaktion entwickeln wird, welche Bilanzrisiken bei den Big Playern schlummern, welche Hilfsmassnahmen die Regierungen beschliessen werden, ist die einzig kompetente Antwort auf die Frage, wie’s denn nun weitergehen wird: keine Ahnung.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.