Die Zahlen sind eindeutig: Professionelle Fussballspielerinnen verdienen weniger als Fussballer. Berücksichtigt man aber die Wahrscheinlichkeit, in die Sphäre der Stars vorzustossen, kehrt sich das Ergebnis um.
Die Fussball-WM der Frauen weckt Emotionen. Nicht immer geht es dabei ausschliesslich um den Fussball.
Manchmal könnte man meinen: Eine Fussball-WM ist Geschlechterkampf mit anderen Mitteln. Mittendrin: Journalisten und Wissenschaftler. Dabei scheint offensichtlich die Devise zu gelten: Die Qualität der Argumente ist zweitrangig, solange man nur auf der richtigen Seite steht.
So titelte der «Tages-Anzeiger» einen Tag, bevor die Schweizerinnen hochkant aus dem Turnier gekegelt wurden: «Darum ist diese WM einfach grossartig.»
Tolle Tore, perfekte Pässe? Nichts von alledem: «Es kann noch so viel Perfektion dabei sein - was bewegt, sind die Momente, in denen aus gewöhnlichen Menschen Siegerinnen oder Verliererinnen werden.» Wäre das wirklich alles, was es für ein «grossartiges» Turnier braucht, dann könnte man bei einem beliebigen Juniorenspiel eine Siegprämie von 1000 Franken aussetzen - und erlebte noch viel grössere Emotionen.
Starke Frauen auch im Hammerwerfen
Auch SRF kann seine Begeisterung kaum zurückhalten. Vor jedem Spiel werden die Zuschauerinnen und Zuschauer eingestimmt: «Starke Frauen - starker Fussball. Die Übertragung des FIFA Women's World Cup von SRF, präsentiert von…» (anschliessend der Name einer Versicherung, welcher hier nicht zur Sache tut).
Nun ist natürlich überhaupt nichts falsch daran, dass Frauen auch Fussball spielen. Schliesslich rennen, schwimmen, boxen oder werfen sie den Hammer ebenso wie Männer. Ganz im Gegenteil: Es wäre geradezu überraschend, gäbe es keine Fussball-WM der Frauen.
Doch nie käme es SRF in den Sinn, die Übertragung des Hammerwerfens der Frauen an einer Leichtathletik-WM mit dem dümmlichen Spruch «Starke Frauen - starkes Hammerwerfen» einzuleiten. Obwohl er für Hammerwerferinnen wohl noch mehr Berechtigung hätte als für Fussballerinnen.
Die Forscher kommen zu Wort
Geradezu euphorisch auch die Schlagzeilen, welche man kürzlich in der Presse lesen konnte: Es gebe «keine Qualitätsunterschiede zwischen Männer- und Frauenspielen» (Tages-Anzeiger) oder «Verpixelt man Männer und Frauen, spielen sie plötzlich gleich gut» (SRF).
Hintergrund dieser Berichte: Forscher der Universität Zürich untersuchten in einer Studie, inwiefern Vorurteile, wonach Frauenfussballspiele qualitativ schlechter seien als jene der Männer, die Wahrnehmung beeinflussen. Zu diesem Zweck wurden zehn Torszenen (je fünf pro Geschlecht) insgesamt 613 Versuchsteilnehmern vorgeführt.
Rund die Hälfte von ihnen konnte das Geschlecht der Spieler(innen) erkennen, der anderen Hälfte wiederum wurden verpixelte Videos vorgespielt, auf denen das Geschlecht der Spielenden nicht mehr zu erkennen war.
Ergebnis der Studie: Erkennen die Teilnehmenden der Studie das Geschlecht der Spieler(innen), dann bewerten sie die von Männern erzielten Tore höher als jene der Frauen, bei den verpixelten Spieler(innen) konnte hingegen kein Unterschied in der Bewertung festgestellt werden.
Vorurteile beeinflussen die Wahrnehmung
Die wissenschaftlich korrekte Schlussfolgerung der Studie: Vorurteile beeinflussen die Wahrnehmung. Leider jedoch zeigte sich in der Studie, dass von männlichen und weiblichen Fussballspielern erzielte Tore in der verpixelten Version fast genau gleich hoch bewertet wurden.
Dieses mehr oder weniger zufällige Ergebnis verleitete die Studienautoren dazu, zu behaupten, dass allein Vorurteile daran schuld seien, dass der Fussball der Frauen schlechter bewertet werde, obwohl es in der Realität gar keinen Qualitätsunterschied beziehungskeinen Unterschied in der Bewertung der Qualität gäbe.
So schrieb die Universität Zürich in ihrer Medienmitteilung: «Frauenfussball ebenso gut bewertet wie Männerfussball.» Im Rahmen der Studie ist dies durchaus so, nur war das Design der Studie gar nicht darauf angelegt oder dazu geeignet, diese Frage zu klären.
Studie deckt nur einen Bruchteil ab
Das Studiendesign sollte der Frage nachgehen, ob Vorurteile die Wahrnehmung beeinflussen und nicht, ob Fussball von Frauen oder Männern eine bessere Qualität aufweise. Um diese etwas komplexere Frage zu klären, reicht es jedoch nicht, den Versuchsteilnehmern bloss zehn, im Durchschnitt etwa neun Sekunden lange Videos von mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Torszenen vorzuführen.
Denn die Auswahl der Torszenen hat selbstverständlich einen Einfluss auf die Einschätzung der Qualität. Zudem hängt die Qualität eines Fussballspiels auch noch von anderen Faktoren als den Torszenen allein ab: Schliesslich ist ein Spiel, das 10:1 ausgeht, ist trotz einer grösseren Anzahl an Torszenen nicht unbedingt besser als ein Spiel, welches 1:1 endet.
In unzulässiger Weise verallgemeinert
Die Forschenden haben somit ein zufälliges Ergebnis ihrer Studie, welches nicht zuletzt von der nicht nach wissenschaftlichen Kriterien vorgenommen Auswahl der Torszenen abhängt, in unzulässiger Weise verallgemeinert.
Auch wenn die gezeigten Torszenen der Fussballerinnen durchaus zu überzeugen wissen.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Ein anderes Thema, das derzeit medial hochgekocht wird, ist der sogenannte «Gender-Pay-Gap» im Fussball. So titelte wiederum der «Tages-Anzeiger»: «Die Frauen spielen um Millionen, bekommen aber nur einen Bruchteil der Männer». (Gemeint war natürlich, dass sie nur einen Bruchteil dessen erhalten, was Männer erhalten. Es ist - noch - nicht so, dass es an Fussball-Weltmeisterschaften Männer zu gewinnen gäbe, so wie im Schwingsport der Sieger einen Muni erhält.)
Die beiden Themen hängen natürlich zusammen: Ist der Fussball der Frauen demjenigen der Männer qualitativ ebenbürtig, gibt es kaum einen Grund für eine unterschiedliche Entlohnung. Getreu der Devise: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
Frauenfussballerinnen verdienen vier- bis siebenmal weniger
An der Fussball-WM der Männer in Katar wurden 440 Millionen US-Dollar an Preisgeldern ausgeschüttet, bei den Frauen sind es vergleichsweise bescheidene 110 Millionen. Rechnet man noch weitere Entschädigungen hinzu, erhöht sich gemäss «Tages-Anzeiger» die Ungleichheit gar auf einen Faktor sieben. Ungerecht?
In der Schweiz gibt es gemäss den neusten Zahlen des Schweizerischen Fussballverbands 329'978 lizenzierte Spielerinnen und Spieler, davon 36'768 Frauen und Mädchen. Der Frauenanteil beträgt 11,1 Prozent, auf eine Spielerin kommen acht Fussballspieler.
Spielerinnen in der Schweiz haben somit eine achtmal grössere Chance, an einer Fussball-WM teilzunehmen als (männliche) Spieler. Selbst wenn sie im Falle einer Teilnahme vier- oder gar siebenmal weniger verdienen: Im Erwartungswert, wenn man also das erwartete Preisgeld mit der Wahrscheinlichkeit multipliziert, an einer WM teilzunehmen und es zu gewinnen, erhalten Fussballerinnen mehr als Fussballer.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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