Die Luft wird für Bundesrat Berset von Woche zu Woche dünner. Neuste Enthüllungen setzen ihn noch stärker unter Druck. Dass sich die bürgerlichen Parteien aktuell so ruhig verhalten, hat womöglich einen unschönen, wenn auch nachvollziehbaren Grund.
Nachdem die «Schweiz am Wochenende» des CH-Media-Verlags vergangene Woche die Geschichte ins Rollen brachte, wird sie heute Samstag, 21. Januar, durch eine Folgestory untermauert. Diese wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Hauptakteure – Bundesrat Alain Berset, BAG-Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-CEO Marc Walder –, sondern auch auf das politische System.
Aktuell geht es um folgende Fragen: War der Austausch zwischen Lauener und Walder wirklich so dramatisch? Ging es effektiv um eine Vielzahl von Emails, die sich diese zwei Personen zustellten? Und inwieweit war SP-Bundesrat Berset darüber informiert?
Einzelne SP-Politikerinnen und -Politiker versuchten die ganze Geschichte in den vergangenen Tagen herunterzuspielen. Oder sie drehten den Spiess kurzerhand um und kommunizierten dahingehend, dass Berset keinesfalls der Täter, wohl aber das Opfer sei.
Das ging letztlich so weit, dass der «Schweiz am Wochenende» unterstellt wurde, man habe die gesamte Story aufgebläht, es habe sich höchstens um ein paar wenige Nachrichten gehandelt, die aus der Kommandozentrale des SP-Bundesrats in Richtung Ringier verschickt wurden.
Entsprechend geht die Publikation nun einen Schritt weiter und veröffentlicht in der heutigen Ausgabe einige der besagten Emails. Sie will damit zwei Sachen beweisen: Erstens, dass der Kommunikationsfluss sehr rege stattgefunden hat, dass unzählige Nachrichten verfasst worden sind. Und zweitens, dass man kaum argumentieren könne, dass Berset nicht vom Austausch gewusst habe. «Die Fülle von Mails widerlegt Behauptungen, es seien nur zwei oder sehr wenige Mails verschickt worden», so im ausführlichen Bericht der «Schweiz am Wochenende»
Und tatsächlich lassen die heute veröffentlichen Emails ein deutliches Bild entstehen. Wenn Lauener eine Nachricht an Walder, in der es um absolut vertrauliche Informationen geht, mit den Zeilen «Freundliche Grüsse auch von Bundesrat Berset» beendet, dann lässt das nicht gerade den Eindruck entstehen, dass hier ein «wildgewordener» Kommunikationschef eigenmächtig handelt.
In einer anderen Email, die die «Schweiz am Wochenende» publizierte, heisst es etwa: «Lieber Herr Walder. An der Bundesratssitzung vom nächsten Freitag und am Treffen mit der GDK nächste Woche stehen wichtige Entscheide an. Wenn es Ihnen dient, kann ich gerne einen Austausch mit Bundesrat Berset gegen Ende Woche organisieren. Danke im Voraus für Ihre gelegentliche Antwort. Herzliche Grüsse. Peter Lauener»
In einer weiteren Nachricht direkt an Berset mit dem Einstieg «Ciao Alain» kündigt Lauener an: «Walder schreibt morgen einen kritischen Kommentar zur Digitalisierungsfrage.» Auch hier geht es um die Covid-Thematik bzw. um die entsprechende App.
Die jüngsten Veröffentlichungen dürften nun nochmals ordentlich Druck auf Alain Berset ausüben, der sich nächste Woche im Gesamtbundesrat rechtfertigen muss. Auch hier weiss die «Schweiz am Wochenende», dass offenbar gleich mehrere Mitglieder des Bundesrats «schockiert» seien, über die Leaks.
Still sind aktuell noch die einzelnen Partei-Exponenten. Ungewöhnlich still. Gewisse Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind offenbar der Meinung, man solle die SP nun etwas schmoren lassen, um ihr im Herbst bei den Gesamterneuerungswahlen eine entsprechende Niederlage zu bescheren. Mit anderen Worten: Es gibt Politiker, die selbst dann, wenn Berset effektiv vertrauliche Informationen aus dem höchsten Gremium an Ringier weitergeleitet haben sollte, vorerst keinen Rücktritt fordern, um der SP tiefere Wähleranteile einzubrocken.
Eine Ersatzwahl noch vor den Wahlen könnte die SP quasi stabilisieren.
Wahltaktisch kann man solche Gedanken nachvollziehen. Zum Wohle der Demokratie sind sie aber nicht. Wie sich der Bundesrat austauschen kann, wenn er stets davon ausgehen muss, dass gewisse Infos an die Medien gelangen oder im Gremium eine Person sitzt, die verdächtigt wird, dies in der Vergangenheit getan zu haben, ist schleierhaft.
Durchaus denkbar, dass Berset schon bald seinen Rücktritt bekanntgibt. Die Luft wird für ihn von Woche zu Woche dünner.
(Bild: KEYSTONE/Laurent Gillieron)
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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