Schneller als erwartet gibt es den Showdown in der Affäre Berset. Er hat sich festgelegt: er wusste nichts von den Indiskretionen seines Mediensprechers. Wenn doch, muss er gehen.
Die Fakten liegen auf dem Tisch. Es gab eine Unzahl von Kontakten zwischen dem Mediensprecher Peter Lauener und dem Ringier-CEO Marc Walder. Über 180 Mitteilungen sollen ausgetauscht worden sein.
Vermutet, aber abgestritten wird, dass darunter auch vertrauliche Informationen waren, eventuell sogar dem Amtsgeheimnis unterstehende. Abgestritten wird ebenfalls, dass Walder diese News brühwarm an die «Blick»-Redaktion weitergab. Entrüstet abgestritten wird, dass so ein Päckli geschnürt wurde. Primeurs gegen wohlwollende Berichterstattung, mediale Schützenhilfe zum Durchsetzen von Bersets Politik.
Die Reaktionen sind gemischt. Während Ringier das Ganze zu einem privaten Chat runterstuhlen möchte, wird es von der Konkurrenz als unerträgliche Nähe zwischen Politik und Medienhaus kritisiert. Oder aber, das wird als heuchlerisch bekrittelt, weil doch alle Medien so ihre Quellen hätten und davon abhängig seien, dass aus Amtsstuben (oder Firmenzentralen) Informationen heraustropfen.
Diese Debatte wird sicherlich noch eine Weile weitergehen. Für Berset ist es allerdings recht schnell recht eng geworden. Während er sich anfänglich leicht bedeckt hielt, musste er nun offensichtlich in der Bundesratssitzung Farbe bekennen. Zunächst gab es eine glasklare Einleitung von Bundesratssprecher André Simonazzi anlässlich der jüngsten Medienkonferenz, an der Berset bei diesem Thema sehr stumm teilnahm: «Der Bundesrat toleriert keine Indiskretionen und er verurteilt sie entschieden.»
Zack. Offenbar wurde Berset während der Besprechung aus dem Bundesratszimmer aufs Strafbänkli geschickt, und als er wieder hereingelassen wurde, verständigte man sich auf diesen Bandwurm: «Gestützt auf die Angaben des Bundespräsidenten, der versichert hat, von solchen Indiskretionen keine Kenntnis gehabt zu haben, wird der Bundesrat die Geschäfte auf der Grundlage des wiederhergestellten Vertrauens weiterführen.»
Das hört sich nach «Schwamm drüber, nach vorne schauen» an. Dieser Eindruck täuscht aber schwer. Der übrige Bundesrat stützt sich auf «Angaben» des Bundespräsidenten Berset. Der versichert habe, keine Kenntnis von der Standleitung seines Mediensprechers zu Walder gehabt zu haben. Beziehungsweise nicht gewusst haben will, welche Informationen aus seinem Departement herausgegeben wurden.
Das bedeutet zunächst, dass sein enger Vertrauter und langjähriger Weggefährte Lauener ohne Wissen seines Chefs seine eigene Informationspolitik betrieben habe. Das bedeutet weiter, dass es Berset nie auffiel, dass der «Blick» in schöner Regelmässigkeit mit Primeurs glänzte, seine Corona-Politik wohlwollend begleitete und überhaupt des Lobes voll war über den Riesenstaatsmann Berset.
Der seinerseits wiederum einfach so, vielleicht aus Sympathie von Glatzkopf zu Glatzkopf, gerne zur Hand war, wenn es ein neues Produkt von Ringier zu feiern gab, in dem Berset – ein Novum – als Dressman und Interviewer zu Diensten war und sich gut gelaunt neben Walder ablichten liess.
Das sind nun alles Indizien zum Thema «da lachen ja die Hühner». Allerdings: das sind natürlich keine Belege oder Beweise, dass Berset vom Inhalt des Kontakts seines Mediensprechers gewusst hatte.
Nun nennt man aber das, was Berset gemacht hat, beim Poker «all in». All in bedeutet, dass ein Spieler alle seine Chips in den Pot schiebt. Das kann zwei Gründe haben. Zum einen könnte er so sicher sein, dass er das beste Blatt hat, dass er darauf all sein Geld verwettet. Oder aber, er blufft und will, dass die Mitspieler genau das glauben.
Indem sich Berset so festgelegt hat, ist es völlig klar: dass er nichts von den Indiskretionen wusste, lässt sich nicht beweisen. Ob er von ihnen wusste, das könnte bewiesen werden. Wer es sicher weiss, ist sein Ex-Sprecher Lauener, dem eher übel mitgespielt wurde. Zuerst musste er vier Tage im Knast verbringen, dann musste er sich blitzartig eine neue Herausforderung suchen. Allerdings fiel er dabei weich.
Aber Lauener unterliegt natürlich auch noch nach seinem Ausscheiden dem Amtsgeheimnis, und er ist noch nicht so alt, dass er sich mit einer grösseren Geldsumme zur Ruhe setzen könnte. Abgesehen davon, dass es in der Schweiz kein Medium gibt, das genügend Geld für ein «Jetzt rede ich» auf den Tisch legen könnte. An dieser Front ist es also eher ruhig für Berset.
Es ist aber so, dass man früher von einem Paper Trail sprach. Einer Papierspur, die die meisten Handlungen hinterlassen. Schon zu Zeiten des analogen Informationsaustauschs schafften es nur ganz wenige, keine verräterischen Papierspuren zu hinterlassen, sondern Heikles und Kompromittierendes ausschliesslich mündlich im Park abzuhandeln.
Heutzutage benutzt aber jeder SMS, WhatsApp, Threema, Instagram, Facebook, E-Mail oder was auch immer. Also anstatt einer Papierspur hinterlässt man ein Meer von Bytes, einen Ozean von Mitteilungen. Der persönliche Vertraute von Berset ist nicht zu beneiden, der nun dieses Meer durchmessen muss, auf der Suche nach möglicherweise verräterischen Spuren. Die er dann noch, allenfalls, löschen sollte, womit er sich strafbar machen würde.
Kann sich Berset sicher sein, dass es keinen unwiderlegbaren Beleg gibt, dass er im Gegensatz zu seiner Aussage eben doch um vertrauliche Inhalte wusste, die sein Mediensprecher an Walder durchstach? Natürlich muss der Beleg, die berühmte smoking gun, ziemlich eindeutig sein. Aber davor gibt es einen Graubereich, wo der um sein Amt kämpfende Politiker alle Rabulistik aufwendet, um abzustreiten, was doch offenkundig zu sein scheint.
Das wäre gerade im Wahljahr eine Katastrophe für die SP. Ein ums politische Überleben kämpfender Bundesratspräsident, der Alptraum jedes Wahlkampfmanagers. Auf der anderen Seite wäre ein tapferer Rücktritt, nach der Devise «habe mir nichts vorzuwerfen, aber um Schaden von meinem Amt abzuwehren», auch nicht ein ideales Wahlkampfgeschenk. Zudem zeigt die Erfahrung: fast alle Politiker klammern sich an ihr Amt und müssen gewaltsam herausgetragen werden, sollten sie untragbar geworden sein.
Bei (fast) allen Politikerrücktritten, auch in der Schweiz, ging es am Schluss nicht gross um Abwägungen, komplizierte Beschuldigungen oder den Nachweis der Unfähigkeit. Es geht am Schluss immer um eins: sagt er die Wahrheit oder nicht? Hat er sich auf das eine festgelegt, und man kann ihm das Gegenteil nachweisen, dann gibt es nur eins: den Rücktritt.
Ein Gefahrensignal für ihn ist, dass er offenbar einen Bundesgenossen verloren hat. Denn seinen Auftritt an dieser Medienkonferenz kommentierte der «Blick» eher finster:
«Berset liess die Journalistenfragen jedoch an sich abprallen. Selbst auf die Frage, weshalb er zur Medienkonferenz antrete, wenn er den Journalisten doch nichts sage, sagte er nichts. Dafür gibt in Bundesbern schon zu reden, dass Berset sich nun demonstrativ von seinem über Jahren treusten Mitarbeiter distanziert. «Typisch Berset, das war ja so klar, dass er das macht», sagen solche, die den Freiburger Bundesrat lange kennen.»
Obwohl der «Blick» nicht müde wird zu behaupten, dass er sich von niemandem und von nichts beeinflussen liesse: eine solche Klatsche erscheint nur, wenn von höchster Stelle Daumen rauf signalisiert wurde.
Berset hat nun seine Chips auf den Tisch geworfen, all in. Nun kommt es darauf an, wie gut sein Blatt ist.
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