logo

Pionierprojekt in Walenstadt

Haushalte versorgten sich zu einem Drittel selbst mit Strom

Ein Jahr lang handelten in Walenstadt 37 Haushalte Solarstrom in einem lokalen Strommarkt basierend auf einer Blockchain. Die Beteiligten bezeichnen das als weltweites Pionierprojekt. Nun ziehen sie eine positive Bilanz der zwölf Monate.

Die Ostschweiz am 06. Februar 2020

Im Januar 2020 ging die Feldphase im Projekt «Quartierstrom» offiziell zu Ende. Dank des lokalen Strommarkts verkaufte die Gemeinschaft 27 % mehr lokal produzierten Solarstrom vor Ort. Zu 33 % versorgten sich die 37 Haushalte selbst mit Solarstrom, ohne Zutun vom lokalen Energieversorger. Dies entspricht einer Verdoppelung.

Während diese Zahlen laut den Initianten zu erwarten waren, überraschte sie, wie das Projekt aufgenommen wurde. Die teilnehmenden Haushalte waren demnach sehr aktiv und nahmen den Strommarkt als grün, lokal und fair wahr. «Auch die Energiebranche hat nach anfänglicher Skepsis sehr grosses Interesse gezeigt und sieht in der Entwicklung viel Potenzial. Wir konnten viele Diskussionen anstossen», erzählt Christian Dürr, Leiter des Wasser- und Elektrizitätswerks Walenstadt.

Eine positive Bilanz zieht auch Verena Tiefenbeck, Projektleiterin vom Bits to Energy Lab der ETZ Zürich: «Quartierstrom war weltweit das erste Projekt dieser Art. Wir leisteten an vielen Fronten Pionierarbeit.» Für das Bundesamt für Energie (BFE), das «Quartierstrom» als Leuchtturmprojekt unterstützt, stand ebenfalls der Umgang mit den neuen Technologien im Fokus. «Mit dem Projekt konnte untersucht werden, inwiefern sich Blockchain und künstliche Intelligenz für die direkte Vermarktung von Strom aus dezentralen Energieressourcen eignen und welche Rolle der Energieversorger in einem solchen Bottom-up-Ansatz spielt. Die Erkenntnisse dürften hilfreich sein für die zukünftige Entwicklung des Strommarktes», so das Fazit von Benoît Revaz, Direktor des BFE.

Mehr für den Strom bezahlen will kaum jemand

Ein Novum war, dass die Haushalte den minimalen Verkaufspreis ihres Solarstroms und den maximalen Einkaufspreis für Solarstrom vom Nachbarn auf einem Portal selbst festlegen konnten. «Die Teilnehmenden nutzten diese Möglichkeit vor allem zu Beginn häufig. Sie setzten aber ihr Preislimit für den Kauf des lokalen Solarstroms kaum höher als für den normalen Netzstrom», fasst Tiefenbeck zusammen. Weniger als 10 % der Angebote lagen über diesem Tarif. Dies obwohl viele in den vorgängigen Befragungen ihre Bereitschaft erklärt hatten, mehr für lokalen Solarstrom zu bezahlen. Haushalte mit einer Solaranlage ihrerseits wollten ebenfalls profitieren und setzten ihren minimalen Verkaufspreis über dem Einspeisetarif des lokalen Elektrizitätswerks an.

Automatische Preissetzung bevorzugt

Um verschiedene Marktmodelle zu vergleichen, setzten die Forschenden die Funktion zur individuellen Preisfestlegung während eines Monats aus und ersetzten sie durch eine automatische Preisbildung. In Befragungen äusserten etwas mehr als die Hälfte der Haushalte, dass sie ein solches Modell bevorzugen. «Überraschend war, dass Teilnehmende, die das Portal häufig nutzten, eher zu automatischer Preisbildung tendierten und umgekehrt», so Tiefenbeck. «Aufgrund unserer Erfahrungen beurteilen wir eine individuelle Preisfestlegung für einen lokalen Strommarkt in Zukunft nicht als entscheidend.»

Wirkungsvolle Sensibilisierung

Wichtig scheint hingegen, dass die Teilnehmenden Produktion und Verbrauch sowie ihre Ein- und Verkäufe in Echtzeit beobachten können. Diese Funktion war bei den Nutzerinnen und Nutzer sehr geschätzt und trug zur Sensibilisierung bei. Viele Teilnehmende äusserten, dass sie jetzt elektrische Geräte vermehrt dann einzusetzen, wenn draussen die Sonne scheint. Den heute noch geltenden Hoch- und Niedertarif beurteilten sie in Bezug auf erneuerbare Energien als überholt.

Tiefer Energieverbrauch

Während die Blockchain-Software sehr zuverlässig funktionierte, hatte das Projektteam immer mal wieder mit Ausfällen bei der Hardware zu kämpfen. Auch der Stromverbrauch hielt sich in Grenzen. Die kleinen Computer, die als Smart Meter und Blockchain-Knoten dienen, verbrauchten während der gesamten Projektdauer rund 3300 Kilowattstunden Energie. Gemessen am Volumen des im lokalen Markt gehandelten Strom lag deren Verbrauch bei rund 4 %.

Folgeprojekt in Planung

Der Pilotbetrieb des lokalen Strommarkts im Rahmen des BFE-Leuchtturmprojekts ist nun zu Ende. Nahtlos wurde aber ein Nachfolgeprojekt gestartet, das auf einer automatischen Preisfestlegung basiert. Zudem soll die Hardware in den nächsten Monaten schrittweise durch Seriengeräte ersetzt werden. Die Handelsplattform soll zudem zu einem markfähigen Produkt weiterentwickelt werden, so das Ziel des Spin-offs «Exnaton», das Mitglieder des Entwicklungsteams der ETH gegründet haben. Geplant ist beispielsweise, dass die Teilnehmenden anstatt die Preise festzulegen Präferenzen angeben, von wem sie lokalen Solarstrom beziehen möchten – also den Strom vom Dach der Tante oder vom Bauern, bei dem man die Eier kauft. Denn das hat «Quartierstrom» auch gezeigt: Die Emotionen spielen in einem lokalen Markt eine noch grössere Rolle als der Preis.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Die Ostschweiz

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund 300'000 Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG, ein Tochterunternehmen der Galledia Regionalmedien.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.