logo

Entdeckungsort

Hinterthurgau: Noch sind nicht alle Geheimnisse geklärt

Die idyllische Geländesenke im Tannzapfenland zeichnet nicht nur ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung aus, es ist auch eine historisch, biologisch und geologisch faszinierende Region.

Adrian Zeller am 02. Mai 2024

Die idyllische Geländesenke im Tannzapfenland zeichnet nicht nur ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung aus, es ist auch eine historisch, biologisch und geologisch faszinierende Region.

Naherholungsgebiet

Heutzutage ist das Tal zwischen Wilen und dem Weiler Anwil durch Wege und Strassen erschlossen. Und das Moor wird durch Drainage reguliert, gleichwohl ist ein etwas mystisches Flair geblieben. Insbesondere in der Morgen- und in der Abenddämmerung ist dieser Eindruck zu erleben.

Grenzmarkierungen

Das Tal wird von Joggern, Velofahrern und Hundehaltern genutzt. Im Winter ist auch das Natureisfeld ein Anziehungspunkt. In vergangenen Jahrhunderten diente es anderen Zwecken. Freizeit-Geschichtsforschende aus der Region suchen seit Jahren im Erdreich nach Überbleibseln von früheren Generationen. Sie besitzen die dazu vorgeschriebene Lizenz des Thurgauer Amtes für Archäologie.

Littenheid

Auf einer ihrer Touren wurden sie in einem Waldstück, im Gebiet Ägelseehalden, auf sogenannte Bannsteine aufmerksam. Diese historischen Markierungen sind unter verschiedenen Namen bekannt, sie werden auch als Grenz-, Güter- oder als Marksteine bezeichnet. Auf ihnen findet man oft eingehauene Hoheitszeichen und/oder Jahreszahlen ihrer Setzung oder ihrer Verschiebung des Standorts. 

Unklare einstige Bedeutung

Der Brauch der Grenzsteinsetzung kam insbesondere im Mittelalter auf. Damit wurden unter anderem Weiderechte, Kirchengüter, Gerichtsbezirke, Hoheitsrechte, Wegrechte und Gewässernutzungsrechte markiert. Wo diese Steine noch vorhanden sind, bedeckt sie oft Moos oder Laub, nur selten sind sie auf den ersten Blick erkennbar.

Welche ehemalige Funktion die Marksteine in der Littenheider Gegend hatten, ist bisher unklar; ihre Markierungen deuten auf einen Bezug zum ehemaligen Heilig-Geist-Spital in der Wiler Altstadt hin.

Durchzugsgebiet

Im Weiteren fanden die Geschichtsforschenden in einem Acker unter anderem rund siebzig römische Münzen aus dem Zeitraum von 260 bis 350 nach Christus. Um mehr Klarheit über die Vergangenheit im Areal zu bekommen, engagierte das Thurgauer Amt für Archäologie ein spezialisiertes Unternehmen. Deren Mitarbeitende massen mit Spezialgeräten das Magnetfeld und durchleuchteten das Erdreich mittels Radar.

Sie fanden keine Strukturen von ehemaligen Gebäuden oder andere Hinweisen, die die Herkunft der grösseren Menge an Münzen erklären würde. Sie hätten beispielweise eine Opfergabe in einer früheren Kultstätte sein können. Es scheint jedoch, dass die Region bereits vor rund 1800 Jahren Durchzugsgebiet von Truppen, von Händlern und von Pilgern war.

Littenheid

Durch Gletscher gestaltet

Gemäss geologischen Analysen wurde die Gegend vor allem durch Zungen des einstigen Rheingletschers sowie durch Schmelzwasserläufe geformt. Dabei entstanden auch grössere Kalkablagerungen, die als Baumaterial genutzt wurden. Im 19. Jahrhundert wurden in der Region in acht Öfen Kalk gebrannt, davon berichtet Roman Weber in einem historischen Aufsatz. Der frühere Lehrer in Busswil hat sich eingehend mit geologischen und naturkundlichen Aspekten der Region beschäftigt.

Im Weiteren wurde um 1850 Sandstein gewonnen, der beim damaligen Eisenbahnbau eingesetzt werden sollte. Allerdings war seine Festigkeit zu gering, er zerbröselte. Erfolgreicher war die Nutzung des reichlich vorhandenen Torfs, der als Heizmaterial abgebaut wurde.

Begehrter Dünger

Im heissen Sommer 1865 kam es zu einem tagelangen Mottbrand im Ried von Littenheid. Ausgedehnte Löscharbeiten waren erforderlich. Die entstandene Asche war ein begehrter Dünger. Laut Weber kamen Bauern mit ihren Fuhrwerken aus Frauenfeld, Wängi und aus dem Toggenburg um den begehrten Nährstoff abzuholen.

In der Zeit um den 1. Weltkrieg war der Torf besonders begehrt, da die Einfuhr von Kohle in die Schweiz massiv eingeschränkt war. Ab 1917 bauten auch Arbeiter der Firma Sulzer in Winterthur Torf ab, den sie für industrielle Zecke benötigten. Die Arbeit war strapaziös und die Arbeiter klagten über gesundheitliche Beschwerden, ausgelöst durch die feuchte Umgebung. Zudem hefteten sich zahlreiche Blutegel an ihre nackten Beine. Die Tiere haben dem Äglesee seinen Namen verliehen.

Per Bahn spediert

Der Torf wurde von Hand gestochen und auf ein Förderband geworfen. Eine Maschine zerkleinert und presste ihn zu wurstförmigen Gebilden. Diese wurden dann zum Trocken ausgelegt. Rund vierzehn Tage waren dazu erforderlich.

Im Sommer 1918 waren rund 70 Frauen, Männer und Kinder mit der Torfgewinnung und –verarbeitung beschäftigt, sie wurden dafür relativ gut entlöhnt. Allerdings betrugen die Arbeitstage zehn Stunden. Das gewonnene Material wurde per Lastwagen nach Wil gebracht und von dort per Bahn abtransportiert.

Fisch- und Viehzucht

Durch die Gesteinsverschiebung während den eiszeitlichen Gletscherwanderungen kam es in der Littenheider Gegend laut Weber zu nachweisbaren geologischen Ablagerungen. Dazu zählen etwa Granit, roter und grüner Verrucano, Grünsand sowie Nagelfluh.

Littenheid

Ursprünglich lag im Gebiet ein grösserer See, wie in der Ortsbezeichnung «Ägelsee» anklingt. Er verlandete zunehmend. Ab dem 15. Jahrhundert wurde auf dem Gelände Vieh geweidet. Verbliebene Teiche wurden ehemals vom Kloster Fischingen zur Fischzucht genutzt.

Grosse Artenvielfalt

Zu Zeiten von Roman Weber war das Riedgebiet von einer vielfältigen Fauna bevölkert. Er erwähnt unter anderem Störche, Graureiher, Blässhühner, Stockenten, Eisvögel, Distelfinken, Wasserrallen, Schwalben, Sumpfschnepfen, Füchse, Hasen, Frösche, Kröten und in den Bachläufen Elritzen und Forellen.

Mittlerweile sind im hinteren Teil des Tales auch Biber heimisch geworden.

(Bilder: pd; Adrian Zeller)

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.