Die idyllische Geländesenke im Tannzapfenland zeichnet nicht nur ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung aus, es ist auch eine historisch, biologisch und geologisch faszinierende Region.
Die idyllische Geländesenke im Tannzapfenland zeichnet nicht nur ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung aus, es ist auch eine historisch, biologisch und geologisch faszinierende Region.
Naherholungsgebiet
Heutzutage ist das Tal zwischen Wilen und dem Weiler Anwil durch Wege und Strassen erschlossen. Und das Moor wird durch Drainage reguliert, gleichwohl ist ein etwas mystisches Flair geblieben. Insbesondere in der Morgen- und in der Abenddämmerung ist dieser Eindruck zu erleben.
Grenzmarkierungen
Das Tal wird von Joggern, Velofahrern und Hundehaltern genutzt. Im Winter ist auch das Natureisfeld ein Anziehungspunkt. In vergangenen Jahrhunderten diente es anderen Zwecken. Freizeit-Geschichtsforschende aus der Region suchen seit Jahren im Erdreich nach Überbleibseln von früheren Generationen. Sie besitzen die dazu vorgeschriebene Lizenz des Thurgauer Amtes für Archäologie.
Auf einer ihrer Touren wurden sie in einem Waldstück, im Gebiet Ägelseehalden, auf sogenannte Bannsteine aufmerksam. Diese historischen Markierungen sind unter verschiedenen Namen bekannt, sie werden auch als Grenz-, Güter- oder als Marksteine bezeichnet. Auf ihnen findet man oft eingehauene Hoheitszeichen und/oder Jahreszahlen ihrer Setzung oder ihrer Verschiebung des Standorts.
Unklare einstige Bedeutung
Der Brauch der Grenzsteinsetzung kam insbesondere im Mittelalter auf. Damit wurden unter anderem Weiderechte, Kirchengüter, Gerichtsbezirke, Hoheitsrechte, Wegrechte und Gewässernutzungsrechte markiert. Wo diese Steine noch vorhanden sind, bedeckt sie oft Moos oder Laub, nur selten sind sie auf den ersten Blick erkennbar.
Welche ehemalige Funktion die Marksteine in der Littenheider Gegend hatten, ist bisher unklar; ihre Markierungen deuten auf einen Bezug zum ehemaligen Heilig-Geist-Spital in der Wiler Altstadt hin.
Durchzugsgebiet
Im Weiteren fanden die Geschichtsforschenden in einem Acker unter anderem rund siebzig römische Münzen aus dem Zeitraum von 260 bis 350 nach Christus. Um mehr Klarheit über die Vergangenheit im Areal zu bekommen, engagierte das Thurgauer Amt für Archäologie ein spezialisiertes Unternehmen. Deren Mitarbeitende massen mit Spezialgeräten das Magnetfeld und durchleuchteten das Erdreich mittels Radar.
Sie fanden keine Strukturen von ehemaligen Gebäuden oder andere Hinweisen, die die Herkunft der grösseren Menge an Münzen erklären würde. Sie hätten beispielweise eine Opfergabe in einer früheren Kultstätte sein können. Es scheint jedoch, dass die Region bereits vor rund 1800 Jahren Durchzugsgebiet von Truppen, von Händlern und von Pilgern war.
Durch Gletscher gestaltet
Gemäss geologischen Analysen wurde die Gegend vor allem durch Zungen des einstigen Rheingletschers sowie durch Schmelzwasserläufe geformt. Dabei entstanden auch grössere Kalkablagerungen, die als Baumaterial genutzt wurden. Im 19. Jahrhundert wurden in der Region in acht Öfen Kalk gebrannt, davon berichtet Roman Weber in einem historischen Aufsatz. Der frühere Lehrer in Busswil hat sich eingehend mit geologischen und naturkundlichen Aspekten der Region beschäftigt.
Im Weiteren wurde um 1850 Sandstein gewonnen, der beim damaligen Eisenbahnbau eingesetzt werden sollte. Allerdings war seine Festigkeit zu gering, er zerbröselte. Erfolgreicher war die Nutzung des reichlich vorhandenen Torfs, der als Heizmaterial abgebaut wurde.
Begehrter Dünger
Im heissen Sommer 1865 kam es zu einem tagelangen Mottbrand im Ried von Littenheid. Ausgedehnte Löscharbeiten waren erforderlich. Die entstandene Asche war ein begehrter Dünger. Laut Weber kamen Bauern mit ihren Fuhrwerken aus Frauenfeld, Wängi und aus dem Toggenburg um den begehrten Nährstoff abzuholen.
In der Zeit um den 1. Weltkrieg war der Torf besonders begehrt, da die Einfuhr von Kohle in die Schweiz massiv eingeschränkt war. Ab 1917 bauten auch Arbeiter der Firma Sulzer in Winterthur Torf ab, den sie für industrielle Zecke benötigten. Die Arbeit war strapaziös und die Arbeiter klagten über gesundheitliche Beschwerden, ausgelöst durch die feuchte Umgebung. Zudem hefteten sich zahlreiche Blutegel an ihre nackten Beine. Die Tiere haben dem Äglesee seinen Namen verliehen.
Per Bahn spediert
Der Torf wurde von Hand gestochen und auf ein Förderband geworfen. Eine Maschine zerkleinert und presste ihn zu wurstförmigen Gebilden. Diese wurden dann zum Trocken ausgelegt. Rund vierzehn Tage waren dazu erforderlich.
Im Sommer 1918 waren rund 70 Frauen, Männer und Kinder mit der Torfgewinnung und –verarbeitung beschäftigt, sie wurden dafür relativ gut entlöhnt. Allerdings betrugen die Arbeitstage zehn Stunden. Das gewonnene Material wurde per Lastwagen nach Wil gebracht und von dort per Bahn abtransportiert.
Fisch- und Viehzucht
Durch die Gesteinsverschiebung während den eiszeitlichen Gletscherwanderungen kam es in der Littenheider Gegend laut Weber zu nachweisbaren geologischen Ablagerungen. Dazu zählen etwa Granit, roter und grüner Verrucano, Grünsand sowie Nagelfluh.
Ursprünglich lag im Gebiet ein grösserer See, wie in der Ortsbezeichnung «Ägelsee» anklingt. Er verlandete zunehmend. Ab dem 15. Jahrhundert wurde auf dem Gelände Vieh geweidet. Verbliebene Teiche wurden ehemals vom Kloster Fischingen zur Fischzucht genutzt.
Grosse Artenvielfalt
Zu Zeiten von Roman Weber war das Riedgebiet von einer vielfältigen Fauna bevölkert. Er erwähnt unter anderem Störche, Graureiher, Blässhühner, Stockenten, Eisvögel, Distelfinken, Wasserrallen, Schwalben, Sumpfschnepfen, Füchse, Hasen, Frösche, Kröten und in den Bachläufen Elritzen und Forellen.
Mittlerweile sind im hinteren Teil des Tales auch Biber heimisch geworden.
(Bilder: pd; Adrian Zeller)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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