Der sechshundertste Geburtstag von Ulrich Rösch nähert sich. Der St. Galler Fürstabt mit Migrationshintergrund hinterliess nachhaltig prägende Spuren. Sein Vermächtnis ist eine wirtschaftliche und imagemässige Chance für die Ostschweiz.
Ulrich Rösch war in verschiedener Hinsicht eine ebenso schillernde wie aussergewöhnliche Persönlichkeit. Diese Einschätzung klingt in zwei Beurteilungen seiner Person an: Der St. Galler Reformator Vadian nannte ihn einen «Hurer». Das Urteil der Mönche fiel freundlicher aus, sie verliehen ihm den Titel «zweiter Gründer der Abtei». Für Historiker ist Rösch eine Schlüsselfigur der St. Gallischen Klostergeschichte.
Tüchtiger Knecht
Bei seiner Geburt deutete nichts darauf hin, dass Ulrich Rösch eines Tages eine herausragende Stellung in der Entwicklung der Ostschweiz zukommen würde.
Die vorherigen St. Galler Äbte waren alle adliger Abstammung. Vadian bezeichnete das Kloster St. Gallen spöttisch als eine «Adelsherberge». Rösch war nicht blaublütig. Umso erstaunlicher ist seine steile Karriere. Er kam 1426 als Sohn eines frommen Bäckers in Wangen in Allgäu zur Welt. Geistliche aus seiner Verwandtschaft vermittelten ihm eine Ausbildung im Kloster St. Gallen. Sein Aufstieg in der spirituellen Städte begann auf der alleruntersten Sprosse: Er wurde zur Hilfskraft in der Klosterküche und diente als Knecht.
Dabei scheint er als besonders tüchtig aufgefallen zu sein, bald schon wurde er in Verwaltungsfunktionen eingesetzt. Im Alter von 37 Jahren war er auf den obersten Karrierestufen angelangt: Der Papst ernannt ihn zum Abt. Rösch wird als schlau, machtbewusst und sehr ehrgeizig charakterisiert. Auch sein Temperament fiel den Chronisten auf. Wegen seiner Haarfarbe bekam er den Spitznamen «roter Ueli».
Aufschwung für das Kloster
Abt Ulrich straffte die Disziplin im Klosterleben, tilgte aufgelaufene Schulden und trieb lange ausstehende Abgaben ein. Die Klosterkasse füllte sich wieder. Durch den Erwerb von weiteren Gebieten, etwa im Toggenburg, vergrösserte er seinen Herrschaftsbereich massiv.
Zudem vereinheitlichte er die Rechtsstruktur und schuf einen Klosterstaat. Dieser gilt unter Experten als einmalig in Europa.
Mit den vier eidgenössischen Schirmorten Zürich, Schwyz, Luzern und Glarus schloss er eine Art Verteidigungspakt. Ein ständiger Abgesandter der Eidgenossen residierte permanent in der Nähe des Hofs und pflegte engen Kontakt zum jeweiligen Fürstabt.
Neue Mönche ergänzten die wenigen verbliebenen Brüder im Konvent. Rösch brachte neues Leben in die Klosterschule und erweiterte die -bibliothek. Begabte Mönche schickte er zum Studium ins Ausland. Ohne sein Eingreifen wäre der St. Galler Konvent seit dem Ende des Mittelalters Geschichte, er stand infolge wirtschaftlichen Niedergangs vor der Auflösung.
Der Klostervorsteher hatte auch eine andere Seite: Die Wiler Witwe Ursula Schnetzer gebar ihm zwei Söhne, Ulrich und Hans Ulrich. Der Erstgeborene studiert später in Tübingen und Bologna, er wirkte danach zeitweise als Pfarrer in Berneck. Zur materiellen Absicherung seiner Familie hatte Abt Ulrich beim Wiler Rat die stattliche Summe von 100 rheinischen Gulden hinterlegt. Die Söhne des Gottesmannes veranlasste Vadian zur Bezeichnung «Hurer».
Kinderschar von Gottesmännern
Die Nachkommen des Abtes waren für die Historikerin Magdalen Bless-Grabher nichts ungewöhnliches. «Auch andernorts pflegten sich geistliche Renaissance-Monarchen mit ihrem Nachwuchs zu umgeben.» Der Zölibat wurde vor der Reformation nicht mehr strikt befolgt. «So sollen damals im grossen Bistum Konstanz alljährlich tausend Priesterkinder zur Welt gekommen sein», hält Bless-Grabher fest.
Ulrich Rösch war mit Wil intensiver verbunden als mit dem Kloster in St. Gallen, schreibt Bless-Grabher weiter. Einerseits lebte seine Partnerin und seine zwei Söhne hier, aber auch eine ganze Reihe von Verwandten, die der Fürstabt in seine Nähe holte. Sie wirkten etwa als Pfarrer sowie als wichtige Beamte im Klosterstaat. «Seine Verbundenheit äusserte sich auch ganz prosaisch in den zahlreichen Güterkäufen, die er in und um Wil tätigte», notierte die Historikerin.
Ursprüngliche Wehrbaute
Für die Wil-Kennerin Bless-Grabher ist die «architektonische Haupttat Ulrich Röschs in Wil, die Errichtung des mächtigen Hofs, der auch heute noch die die Silhouette der Altstadt prägt.» Er entstand zwischen 1468 und 1481 an Stelle einer älteren, kleineren Burg, die auf die Herren von Toggenburg, der Stadtgründer, zurückging.
Der ursprüngliche Wehrturm ist heute in das Gebäude integriert und hat mittlerweile die Funktion eines Treppenhauses und eines Liftschachts.
Für den grosszügigen Ausbau hatten benachbarte Häuser weichen müssen. Bless-Grabher schreibt: «Zu der Zeit, da die meisten Wiler Wohnhäuser bescheidene, oft noch schindelgedeckte Holzbauten waren, dazu niedriger als heute, muss das neue Stadtschloss umso beeindruckender gewirkt haben!»
Geistlicher Machtmensch
Dass Abt Ulrich in Wil eine so stattliche Pfalz errichten liess, kam nicht von ungefähr, ist die Historikerin überzeugt. Bless-Grabher schreibt von einer herrscherlichen Gesinnung Ulrich Rösch. Diese kommt unter anderem auch in einem Fresko in Inneren des Hofs zum Ausdruck, die die Herrschaftswürde des Abts ausdrückt.
«Er, der wegen der gespannten Nachbarschhaft zur Stadt St. Gallen nur sporadisch in sein Kloster kam, hielt sich mit Vorliebe in Wil auf.» Hier empfing er die Gesandtschaften der Eidgenossen, hier wurde auch manche politische Konferenz abgehalten. Diese Angaben relativieren die weit verbreitete Meinung, der Hof zu Wil habe lediglich als Sommerresidenz der Fürstäbte gedient. Vielmehr diente er als eigentliches Machtzentrum des St. Galler Klosterstaates, er war Verwaltungs- und Gerichtsort. Gemäss neueren Forschungen war es dessen faktische Hauptstadt. In Wil waren eine ganze Reihe äbtischer Beamte und Bedienstete wohnhaft.
Laut Angaben von Historikern überstand das Kloster St. Gallen seine schwere Krise während der Reformation um 1529 durch die neuen Fakten, die Rösch zuvor geschaffen hatte. Die Kirchenspaltung erlebte der 1491 verstorbene Fürstabt nicht mehr.
Unter der Bezeichnung Fürstabtei St. Gallen blieb sie bis zur Auflösung, 1798, ein gewichtiger Machtfaktor in der Ostschweiz. Ein zeitgenössischer Schriftsteller bemerkte über Rösch: «Er brachte es dahin, dass die Abtei St. Gallen eine der mächtigsten und angesehensten in Europa wurde.»
Wirtschaftsförderer
Durch zusätzliche Marktrechte für Wil brachte Rösch die Wirtschaft in Schwung. Die Äbtetstadt entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum im regionalen sowie im Fernhandel. Damit legte er einen wichtigen Grundstein zur Prosperität der Stadt. Immerhin wird der Platz vor dem Hof als «Goldener Boden» bezeichnet. Dieser Name nimmt Bezug auf die Händler, Handwerker und Wirtsleute die vor dem Sitz des Fürstabtes gute Geschäfte machen konnten.
In seiner Amtszeit realisierte Rösch zahlreiche Bauvorhaben in der Region. So wurden etwa viele Kirchen aus- und umgebaut. Er erteilte zudem auch viele Aufträge an Künstler und Kunsthandwerker.
Päpstlicher Vermittler
Im Weiteren wurde Rösch mit heiklen päpstlichen und kaiserlichen Missionen beauftragt, etwa als Vermittler bei Konflikten von hochgestellten Persönlichkeiten. Im Gegenzug wusste er sich vom Papst und vom Kaiser abgesichert, insofern war er auch ein geschickter Netzwerker und Machtstratege.
Die päpstliche Berufung zum Kardinal im Jahr 1477 schlug der St. Galler Abt aus.
Neue Einnahmenquelle
Derzeit wird die letzte Renovationsetappe des Hofs zu Wil ausgeführt. Danach wird es im Gebäude unter anderem Angebote in den Bereichen Business und Gastronomie geben. Zudem wird eine sogenannte museale Inszenierung geschaffen, in der die Geschichte des Hofs und seiner Bewohner mit modernsten Methoden vermittelt wird.
Eine Erweiterung des St. Galler UNESCO-Weltkulturerbes ist im Gespräch: Da das Kloster St. Gallen und der Hof zu Wil zentrale Pfeiler des einstigen Klosterstaates waren, sollen sie künftig als Einheit gesehen werden.
Exponenten der Politik und des Tourismus erwarten sich nach Abschluss der Renovation des Hofs zu Wil ein gesteigertes internationales Interesse an der Geschichte des Klosters St. Gallen und seines Umfeldes. Dieses soll sich auch auf der Einnahmenseite deutlich manifestieren.
(Bilder: Adrian Zeller; Stadtarchiv Wil)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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