Der russische Staatschef Vladimir Putin hat angekündigt, das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz auszusetzen. Im Interview mit «Die Ostschweiz» sagt Reto Föllmi, HSG-Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen, was Firmen und Privaten im Geschäft mit Russland nun droht.
Reto Föllmi, wie ordnen Sie die Ankündigung des russischen Staatschefs Vladimir Putin von vergangener Woche ein, die Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz und 37 anderen «unfreundlichen» Ländern auszusetzen?
Reto Föllmi: Ganz generell ist die Androhung ein weiterer Puzzlestein in Richtung Eskalation der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Spätestens, seit der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, war klar, dass es für hiesige Unternehmen, die auf dem russischen Markt tätig sind, wie auch für Privatpersonen immer schwieriger wird, eigene Vermögenswerte und deren Erträge aus Russland herausuzubringen.
Was bedeutet die angedrohte Kündigung des Steuerabkommens für Schweizer Unternehmen, die noch in Russland tätig sind?
Vieles ist noch unklar. Vor allem bedeutet es Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten. Das Risiko ist markant gestiegen, dass Gelder doppelt besteuert werden. Grosskonzerne wie Nestlé können damit wahrscheinlich einigermassen umgehen. Sie können verschiedene Möglichkeiten ausrechnen, wie allfällige Mehrkosten oder Verluste abzufedern oder zu umgehen sind. Für kleine und mittlere Unternehmen kann es hingegen extrem schwierig werden. Allein die Kosten für die spezialisierte Steuerberatung, welche verschiedene Szenarien gegeneinander abwägt, können sehr hoch ausfallen. Kommen zusätzliche Steuerbelastungen dazu, wird es für manche sicher brenzlig.
Was raten Sie den KMU?
Wer sich erst jetzt Gedanken über das Russlandgeschäft macht, und wann der richtige Zeitpunkt ist, sich von dort zurückzuziehen, ist reichlich spät dran. Es ist wichtig, die nächsten Schritte sehr gut abzuwägen und in Szenarien zu denken. Gibt es keine Möglichkeit, Gelder in die Schweiz zu transferieren, nützt es auch nichts, wenn man Russland überstürzt verlässt. Es könnte für Unternehmerinnen und Unternehmer eine Überlegung wert sein, noch zwei, drei Jahre abzuwarten und zu schauen, wie sich die Lage entwickelt.
Und doppelte Steuern in Kauf zu nehmen?
Das Risiko besteht. Wenn die Wahlmöglichkeit besteht, macht es zum Beispiel wenig Sinn, jetzt Ausschüttungen vorzunehmen, die doppelte Steuern nach sich ziehen können. Diese Massnahme Putins wird nicht die letzte sein, um die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen so unangenehm wir möglich zu gestalten.
Was erhofft sich Putin von der Kündigung?
Ich wage zu bezweifeln, dass es ihm hauptsächlich um Mehreinnahmen geht. Dafür ist eine Massnahme wie die Kündigung von Steuerabkommen viel zu kurzsichtig. Putin verspielt das Vertrauen anderer Volkswirtschaften nachhaltig. Dies führt für die russische Wirtschaft zu viel einschneidenderen Verlusten. Das machen keine Einnahmen wett, die er jetzt damit generiert. Offensichtlich will er die Beziehungen zum Westen weitgehend kappen. Da ist auch viel Symbolik dabei.
Sie sagen, es wird nicht die letzte Provokation gewesen sein. Womit ist noch zu rechnen?
Vieles ist denkbar. Er kann Sondersteuern erheben, den Kapitalverkehr noch mehr erschweren oder gar ausländische Vermögenswerte beschlagnahmen.
Was erwartet Expats und andere Privatpersonen?
Auch für sie ergibt sich primär eine hohe Rechtsunsicherheit. Ganz gleich, ob es sich um Schweizerinnen und Schweizer in Russland handelt oder um russische Staatsangehörige, die in der Schweiz ansässig sind. Putin schneidet sich beziehungsweise seinem Volk auch hier stark ins eigene Fleisch. Schon jetzt mehrheitlich im Ausland lebende Russinnen und Russen könnten sich entscheiden, definitiv ins Ausland zu ziehen, um einer Doppelbesteuerung zu entgehen. Dann hat Putin weniger statt mehr Einnahmen.
Wie umfangreich sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Russland?
Was man oft vergisst: Der Handel mit Russland ist ein relativ kleiner Schauplatz. Russlands Volkswirtschaft ist etwa so gross wie die italienische. Die Umwälzungen sind für die Schweizer Volkswirtschaft also in jedem Fall zu verkraften. Was nicht heisst, dass die Probleme mit Russland für einzelne Firmen oder Personen nicht ernste Konsequenzen haben können, die weh tun.
Zur Person: Reto Föllmi ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität St. Gallen (HSG). Er ist Direktor am Schweizerischen Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung und auf makroökonomische Fragen sowie Handelspolitik spezialisiert.
(Bild: Universität St.Gallen)
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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