Hürlimann-Traktoren haben Schweizer Landwirtschaftsgeschichte geschrieben. Ihre Existenz verdanken sie einem mutigen Ostschweizer Jungunternehmer.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Mechanisierung in der Landwirtschaft immer mehr zum Thema. Um entsprechende Maschinen zu bauen, gründete August Högger 1912 in Wil SG eine mechanische Werkstätte, aus der 1936 die Agrar Landmaschinen hervorging. Heute hat sie ihren Sitz in Balterswil als Agrar Landtechnik AG.
Ein Werkzeugschlosser-Lehrling bei Högger war der Toggenburger Bauernsohn Hans Hürlimann (1901-1977). Nach seiner Ausbildung machte dieser Bekanntschaft mit einem Industriellen, der ihn zur Auswanderung in die USA bewegen wollte. Kurz vor der Abreise wurde er als Verkäufer in seinen ehemaligen Lehrbetrieb zurückgeholt.
Auf seinen Kundentouren fiel Hans Hürlimann auf, dass es vielen Landwirten an einem Mehrzwecktraktor mangelte. Der ehrgeizige Tüftler steckt viel Freizeit in die Konstruktion eines Traktor-Prototyps.
Start in der Weltwirtschaftskrise
1929 gründete er in einem leerstehenden Stickereilokal ein Unternehmen für die Serienfertigung entsprechender Fahrzeuge. Der erste Traktor mit der Typenbezeichnung 1K8, mit einem französischen Bernard-Einzylinder-Motor, entwickelte eine Kraft von 8 PS.
Der Start der Firma fiel in die Zeit der Weltwirtschaftskrise und war sehr herausfordernd. Seine Eltern sowie Bürgen verhalfen dem Jungunternehmer zu den nötigen finanziellen Mitteln.
Eingebaute Seilwinden
Die junge Firma stellte 1931 den ersten Vierzylinder-Traktor mit einer Leistung von 18 PS vor. Die ersten Hürlimann-Fahrzeuge waren mit Eisenreifen mit Hartgummi-Stollen ausgerüstet.
In den Folgejahren waren sie auch mit Luftbereifung erhältlich. Hans Hürlimann wollte möglichst viele Komponenten selber herstellen und lediglich die Elektrobestandteile sowie die Reifen von Zulieferern erwerben. Ab 1933 wurden zusätzlich Industrietraktoren ins Produktionsprogramm aufgenommen, sie verfügten unter anderem über eingebaute Seilwinden.
1932 stiess der Automechaniker Josef Köpfli zum Unternehmen, wo er zum Chefmonteur und zum erfolgreichem Verkaufschef für die Innnerschweiz aufstieg. Der Tüftler entwickelte die Ganzranksteuerung sowie die Einzelradbremse, die beide patentiert wurden.
Die nächste Erfindung war die Ganzrad-Vorderachse mit Zahnradlenkung, diese wollte Hürlimann nicht weiter verfolgen. In der Folge verliess Köpfli das Unternehmen und baute ab 1948 seine eigenen Fahrzeuge, die Köpfli-Traktoren.
Aus dem Jura nach Wil
1935 trat Ariste Liengme als Motorenkonstrukteur in die Hürlimann-Firma ein. Er hatte bisher in einem Motoren-Zulieferbetrieb im Neuenburger Jura gearbeitet.
Als dessen Patron starb, wechselte Liengme nach Wil. In der Folge stellte das Wiler Unternehmen 1938 ein völlig neu konstruierter Traktor mit der Typenbezeichnung 4T42 vor.
Er verfügte über ein Fünfganggetriebe mit Seitenschaltung sowie eine Hinterradbremse. 1939 hatte zudem der erste Direkteinspritz-Dieselmotor an der Landi in Zürich seine Premiere.
Wiederholte Innovationen trugen zum guten Ruf der Ostschweizer Traktorenbauer bei. Hürlimann pflegte in einzelnen Bereichen die Zusammenarbeit mit Saurer in Arbon.
Grosser Fabrikneubau
Mittlerweile florierte der Betrieb in Wil so sehr, dass in den Jahren 1937-39 ein grosser Fabrikations- und Bürokomplex im zeitgenössischen Bauhaus-Stil errichtet werden konnte. Er wurde nach dem Krieg erheblich erweitert. In Europa war die Maschinenindustrie als Kriegsfolge weitgehend zerstört.
Die grosse Nachfrage nach Traktoren in den umliegenden Ländern konnte Hürlimann abdecken. Bis 1958 wirkte sich zudem die Kontingentierung sowie von den hohen Einfuhrzöllen in die Schweiz vorteilhaft aus, damit waren die Traktorenbauer vor Konkurrenz geschützt. Rund 500 Traktoren wurden damals pro Jahr im Werk in Wil hergestellt. Gemäss Schätzungen waren bis 1979 rund 28 000 Fahrzeuge zusammengebaut worden.
Positive Kommentare von Liebhabern
Bei den Landwirten galten die Hürlimann-Traktoren als unkompliziert in der Bedienung und als sehr robust. Wegen seiner hohen Qualität war von Hürlimann-Fahrzeugen als «Rolls-Royce» unter den Traktoren die Rede.
Der Firmenpatron galt als Perfektionist. Wie unzählige Kommentare im Internet zeigen, sind die Fahrzeuge bis heute für Liebhaber weit mehr als Arbeitsgeräte, sie haben Kultstatus und werden liebevoll restauriert und gepflegt.
Beliebt bis heute
Wie beliebt die Hürlimann-Traktoren bis heute sind, zeigt der Hürlimann Club Schweiz mit seinen mittlerweile rund 400 Mitgliedern. Die im Jahr 2000 gegründete Organisation hat sich der Erhaltung, der Restaurierung und dem Betrieb von entsprechenden Fahrzeugen verschrieben. Exkursionen in Museen, Besuche von Oldie-Treffen sowie Ausfahrten gehören zum Vereinsprogramm.
Neben Landwirten war auch die Armee sowie die Industrie Abnehmer der Fahrzeuge. Zur Produktepallette gehörten auch Kleinstserien sowie Spezialanfertigungen, etwa für das Anlegen von Gräben für die Wasserversorgung in Nordafrika und im Nahen Osten. Diese Traktoren waren mit Grabenfräsen ausgerüstet.
Ab 1959 wurden die Traktoren im typischen Rot lackiert, zuvor waren sie einheitlich grau. Auf Wunsch waren sie auch in grün erhältlich, da manche Landwirte fürchteten, die rote Farbe könnten ihre Stiere in Rage bringen.
Es wird vermutet, dass die Farbwahl rot mit einem Zwischenfall zusammenhängt: Nach einem Gastspiel in Wil blieben die Fahrzeuge des Zirkus Knie beim Abbau im Morast stecken. In der Not wandte man sich an die Firma Hürlimann, die mit ihren Traktoren die nötige Zugkraft entwickeln konnten.
Gleichentags erwarb das Zirkusunternehmen zwei dieser Fahrzeuge. Die knalligen Farben des Zirkus inspirierten die Traktorenbauer zur Farbänderung, die lange Zeit typisch war.
In den 1970er-Jahren machte sich die sinkende Rentabilität des Unternehmens bemerkbar, Löhne auf Schweizer Niveau sowie hohe Materialkosten liessen die Gewinnmargen schrumpfen. Zudem verkauften Mitbewerber ihre Traktoren zu einem deutlich tieferen Anschaffungspreis.
Seit 1981 ist Hürlimann ein Teil der SDF-Gruppe, zu der auch Markennamen wie Lamborghini Trattori, Deutz-Fahr sowie SAME gehören. Heute werden die Hürlimann-Traktoren im italienischen Treviglio sowie deutschen Lauingen produziert.
Weitere Informationen: huerlimann-tractors.com
Bilder: Wilnet, Adrian Zeller
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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