Wer mit dem Zug an die Côte d’Azur reisen möchte und sich dabei auf den SBB-Fahrplan verlässt, wird sich ärgern. Anstatt auf dem schnellsten Weg wird er auf lange oder umständliche Umsteigeverbindungen geschickt. Schuld daran seien fehlende Datenfiles von Trenitalia, rechtfertigt sich die SBB.
In der «Sonntagszeitung» vom 6. August forderte ein Wissenschaftler, dass Zugreisen ans Mittelmeer billiger werden sollten. Nur so könne man Ferienreisende dazu bewegen, den Zug anstatt das Flugzeug zu nehmen.
Vage Erinnerungen an mein frühes Erwachsenenleben kommen hoch: Stimmt! Oft sass ich nämlich im Direktzug aus der Schweiz nach Nizza und freute mich während der zirka achtstündigen Fahrt auf ein paar schöne Tage an der Côte d’Azur. Fliegen war damals zwar auch schon möglich, aber eine (viel) teurere Option.
Aus Gwunder tippe ich in den SBB-Online-Fahrplan: von Zürich nach Nice-Ville am 14. August, Abfahrtszeit: 7.30 Uhr. Und staune nicht schlecht: Das System spuckt eine TGV-Verbindung über Dijon und Marseille aus (Dauer 12h 3min). Etwas schneller die Verbindung um 8.33 Uhr (10h 11min) mit vier Mal (!) umsteigen. Das will nun wirklich niemand, der mit Gepäck in die Ferien reist.
Bevor die Bahn billiger wird, sollte sie zuerst mal wieder etwas praktischer werden, schimpfe ich. Wo ist bloss mein Zug von damals geblieben, der nach Genua auch an allen Sonnenschirmen entlang der italienischen Riviera – wie wir damals scherzten – Halt machte, einen aber direkt nach Nizza fuhr? Gibt es tatsächlich keine rascheren Verbindungen nach Südfrankreich?
Ich öffne den Fahrplan von Trenitalia und siehe da: Abfahrt Zürich 7.33 Uhr, Ankunft Nizza um 16.11 Uhr (8h 38 min); zwei Mal umsteigen (Mailand und Ventimiglia). Diese praktischste und kürzeste Verbindung gibt es alle zwei Stunden. Einfach nicht bei der SBB.
Auf Anfrage lässt der SBB-Mediensprecher verlauten: «Der Grund für die Diskrepanz sind fehlende Daten in der Fahrplandatenbank beziehungsweise eine unterschiedliche Synchronisation dieser Daten bei SBB, SNCF und Trenitalia.»
Er erklärt, dass jede Bahn ihre Fahrplandaten in eine zentrale Datenbank hoch- und die Daten der anderen Bahnen herunterlade, um daraus Fahrpläne zu erstellen. «Die Frequenz dieser Up- und Downloads ist leider momentan noch sehr unterschiedlich. SNCF macht dies täglich, die SBB wöchentlich und Trenitalia unregelmässig sowie kurzfristiger.» Er verspricht: Sobald Trenitalia die Daten hochlade, werde die Verbindung über Italien als kürzeste Verbindung auch angezeigt.
Schuld sind also die Italiener. Obwohl ich gerade bei Trenitalia die schnelle Verbindung gefunden habe. Und irgendwie klingt das alles unplausibel. Auf www.thetrainline.com und sogar auf der Webseite der Deutschen Bahn (die mit dieser Reise ja gar nichts am Hut hat) werden die raschen Verbindungen nämlich angezeigt. Ob die einen anderen Zugang zu den italienischen Fahrplanfiles kennen?
Immerhin: «Das Thema des Fahrplandatenaustauschs wird aktuell unter allen Bahnen diskutiert, mit dem klaren Ziel einer deutlichen Verbesserung und Abstimmung», verspricht der Mediensprecher.
Ist wohl dringend nötig.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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