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Zeyer zur Zeit

Ihr Ostschweizer Rassisten!

Das verbittet sich der wachgerüttelte Leser? Gemach, zurzeit kriegen wir Zürcher es ab. Aber ich sage nur: Textilindustrie. Ich sage nur: die dunkle Geschichte der Ostschweiz. Nur abwarten, kommt.

«Die Ostschweiz» Archiv am 01. Oktober 2020

Jeder Verhaltenspsychologe kennt das Experiment mit dem pawlowschen Hund. Ein russischer Forscher bewies, dass es neben unbedingten Reflexen auch hinzutrainierte gibt. Hunde bekamen Futter, immer dann läutete eine Glocke. Nach einiger Zeit begannen die Hunde auch dann zu sabbern, wenn nur die Glocke schrillte, ohne Futter.

Das gleiche Prinzip gilt auch bei Journalisten. Man kann sie trainieren, ohne eigentlichen Grund mit Sabbern anzufangen. Bis vor Kurzem wäre es – von einigen Irrläufern abgesehen – niemand in den Sinn gekommen, eine Verbindung zwischen Schweiz – Kolonialismus – Sklaverei herzustellen.

Mangels Kolonien und mangels Grossmachtgelüsten war die Schweiz fein raus. Gut, die Beziehungen zu Südafrika, als dort Apartheit herrschte, das Aufbewahren von Blutgeld und Vermögen von Potentaten, das war unschön. Aber sonst? Die einzige Verbindung mit dunklen Sachen war eigentlich nur die Schweizer Schokolade.

So lebten die Eidgenossen fröhlich und unbelastet vor sich hin. Bis sich auch in St. Gallen und anderswo freie Schweizer schuldbeladen niederknieten und «Black Lives Matter» grölten. Aber ein Schuldbewusstsein braucht auch eine Schuld. Und stellvertretend an den rassistischen Zuständen in den USA schuld sein, na ja.

Aber Moment, die Schweiz gab’s doch schon, als der Sklavenhandel aufkam, als die Kolonialmächte Afrikaner, die ihnen übrigens von afrikanischen Stammesfürsten zugetrieben wurden, nach Amerika als Sklaven transportierten. Da geht doch sicher was. Es war nicht einfach, aber im Neuenburger David de Pury wurde der erste waschechte Schweizer Sklavenhändler enttarnt. Okay, der verbrachte sein Leben in Lissabon, und selber Ländereien mit Sklaven hatte er auch nicht. Aber er war an einer Handelsgesellschaft beteiligt, die auch Sklavenhandel betrieb. Als weg mit seinem Denkmal in Neuchâtel.

Seither ist ein de Pury sozusagen das Eichmass für Schweizer Sklavenhandel. Aber geht da nicht noch was? Genau, vor dem Zürcher Hauptbahnhof steht auch so ein Denkmal, von diesem Alfred Escher. Der soll ja eine nicht unbedeutende Rolle beim politischen und wirtschaftlichen Aufschwung der Schweiz gespielt haben. Gotthardtunnel, SKA und so. Wie viel de Pury steckt also in Escher?

Viel, sehr viel. Denn zwei Onkel von ihm betrieben doch tatsächlich eine Kaffeeplantage auf Kuba, mit rund 80 Sklaven. Ertappt, enttarnt, auch sein Denkmal muss weg. Und wenn wir schon dabei sind, das Historische Seminar der Uni Zürich hat gerade die «mannigfaltigen Verwicklungen» Zürichs und der Zürcher in Sklavenhandel und andere Abscheulichkeiten aufgedeckt. Endlich können wir Zürcher uns mit Grund und Schuldbewusstsein schämen.

Wer nun aber in der Ostschweiz frohlockt und «ätsch» sagt, der soll sich nicht zu früh freuen. Ich sage nur Textilindustrie. Baumwolle. Und wo kam die her? Na? Eben, aus den Südstaaten der USA. Und wer pflückte sie dort? Also, geht doch. Aber das ist ja nicht alles. In der Ostschweizer Textilindustrie wurden auch bunte Tücher hergestellt. Rücksichtslos und gnadenlos.

Wieso das? Einfach, auch der Vater von Escher fing ja mal klein an, unter anderem mit einer Spinnerei in Zürich und bunten Tüchern. Da weiss man doch, dass die dann nach Frankreich und zu anderen Kolonialmächten verkauft wurden. Und die tauschten sie dann in Afrika gegen Sklaven ein.

Da frage ich als Zürcher doch die Ostschweizer: Seid Ihr Euch dieser dunklen Vergangenheit bewusst? Akzeptiert Ihr die Schuld, auch über Generationen hinweg? Schämt Ihr Euch auch? Und wenn ja, wie und wo sieht man das?

Ich darf das fragen, ich muss das fordern. Schliesslich bin ich bereits geläutert, weiss um meine Generationenschuld an der Sklaverei und dem Sklavenhandel. Diese Forschungen haben mir die Augen geöffnet; ich spaziere heute mit einem anderen Bewusstsein durch die Altstadt von Zürich. Wie viele Häuser mögen hier wohl mit Gewinnen aus dem Sklavenhandel errichtet worden sein?

Aber wie steht das in St. Gallen? Doch, nicht wegducken, das gilt auch für beide Appenzell. Und für den Thurgau. Ich fordere, dass die HSG entweder aus eigenen Kräften eine solche Untersuchung durchführt – oder aber Zürich um Hilfe bittet. Damit endlich auch dort die dunkle Geschichte der mannigfachen Verwicklung der Ostschweiz in Sklavenhandel und Sklaverei ans grelle Licht der Anklage gezerrt wird.

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